„Wenn nicht jetzt, wann dann?“
Sportlich – das war Erich Schmitz schon immer. „Das war seit der Jugend immer da – von Fußball über Handball, Tischtennis, auch ein bisschen Radsport und Jogging mit Volksläufen. Und ich hab Reitsport gemacht“, erzählt der 61-Jährige. In jungen Jahren, „mit 16, 17, 18“, ging es dann aufs Rennrad „aus Spaß an der Freud´“. „Bewegung war mir immer wichtig – immer Neuland zu entdecken. Das Wandern in den Dolomiten und mit den Kindern den Wald erforschen“, das gehörte für ihn später auch dazu.
Der Bezug zur Natur kam dabei über die Familie. Der Großvater väterlicherseits hatte einen Bauernhof in der Eifel. Der Großvater mütterlicherseits war Holzfäller. „Da durfte ich auch mal mit, Bäume kennenlernen.“ Die Natur zu erleben, das sei auch ein ganz großer Aspekt, der sich in den ausgewählten Radstrecken widerspiegele.
Als seine kleine Gefahrgut-Transportfirma mit Sitz in Duisburg Konkurs anmeldete und sich die Trennung von seiner Ehefrau vollzog, bekam der Aspekt des Radfahrens eine neue Bedeutung. „Man kommt ins Grübeln, ob man alles richtig gemacht hat – alles erreicht, alles verloren, was jetzt ?“ Was wirklich wichtig ist, das war seine Frage.
Die Antwort für ihn lautete: „Back to the roots.“ Er kaufte sich ein Mountainbike, eine Campingausstattung und machte Touren in den Schwarzwald, in den Harz, ins Sauerland. „Meine Urlaube habe ich im Zelt verbracht.“ Schmitz beschreibt das als „prägende Zeit“. „Weniger ist manchmal mehr als das, was man vorher hatte.“
Der Sport mutierte zu einer Art „Bewältigungsmechanismus, sich selbst zu finden“ und zu „einem Sprungbrett ins neue Leben. Ich führe seitdem ein bewussteres Leben.“
Seitdem absolviert Schmitz 15 000 bis 20 000 Kilometer im Jahr auf dem Rad, das Auto hat er längst verkauft. „Ich habe seit zehn Jahren fast komplett auf das Auto verzichtet, fahre auch mit dem Rad zur Arbeit nach Weeze hin und zurück, um keine weitere Energie zu verschwenden als die eigene.“
Er will keine „Energiespuren hinterlassen“, und in gewissen Situationen sei das Auto überflüssig, findet er. „Oft wird man belächelt, aber das Auto ist nicht das Wichtigste im Leben.“ Das sei einfach für viele ein „Wohlstandsding“: „Oft ist die Wohnung billiger, als manche ihr Auto halten.“
Häufig geht es für Schmitz mit dem Rad nach Delft an die Nordsee. „260 Kilometer und eine Übernachtung, dann zurück. Oder nach Zoutelande, nach Trier.“ Vor drei Jahren fuhr er zum Bodensee und mit dem Zug wieder zurück. „Vor vier Monaten hatte ich das Dreiländereck mit Eupen, der Eifel und 320 Kilometer Richtung Münster.“ Und auch das französische Namur hat er schon angesteuert.
Ins Schwärmen gerät Schmitz, wenn es um die Radinfrastruktur in den Niederlanden geht. „Von deren Radautobahnen werden wir in Deutschland in zwanzig Jahren noch träumen“, prophezeit der frühere Kernkraftgegner, der gegen den „Schnellen Brüter“ auf die Straße ging.
Das Faszinierende an seinen Touren seien die menschlichen Begegnungen. „Ich habe vor gut acht Jahren im Harz einen Vater mit drei Kindern getroffen, der kam zu mir rüber. Am ersten Abend haben wir stundenlang geredet, und die Töchter haben Spaghetti gekocht.“ Daraus wurden fünf intensive Tage. „Diese Urlaubsbekanntschaften sind in Ordnung, aber ich tausche keine Adressen mehr aus und gehe damit keine Verpflichtung ein“, stellt er klar. „Das ist offener – und man schützt sich vor Verlust.“
Ab und an tourt er mit seinem Freund Manfred Mölders zum Ijsselmeer oder in die Eifel. Zwei- bis dreimal nutzt er die Chance, um eine komplette 200-Kilometer-Nachtfahrt zu machen. „Diese Stille, diese Ruhe, diese Empfindungen sind nochmal intensiver.“ Das Schärfen der Sinne und das Aufnehmen der Natur, das fasziniert ihn.
Und häufig macht er von den Touren auch Fotos, zumeist in schwarz-weiß, „damit sie eine egenständige Note erhalten“. Mehrere hätten ihn schon auf die Bilder angesprochen. Ein Freund aus Mülheim habe ihm für dessen Café schon angeboten, mit den Bildern eine Ausstellung zu machen. „Vielleicht mache ich irgendwann mal eine“, lässt er sich diese Option offen.
Zu seinem 60. Geburtstag ist Schmitz im vergangenen Jahr 520 Kilometer an einem Stück gefahren, „in 24 Stunden über Deutschland, Belgien und die Niederlande.“ In diesem Jahr hat er sich als Ziel Venedig ausgewählt. Losgehen soll es am 1. September, ankommen möchte er in neun Tagen.
„Alle Orte sind nur Ziele des Ankommens. Der Weg dahin ist mir wichtig“, sagt Schmitz. Über Köln, den Rhein, Bingen, Worms, Stuttgart, Ulm, Kempten, Innsbruck und den Brenner führt der Weg nach Bozen, am südlichen Gardasee entlang nach Verona und bis Venedig.
Ursprünglich waren auch mehrere Pässe vorgesehen, aufgrund einer mehrwöchigen Erkrankung zuvor hat er darauf verzichtet. „Hauptsache unfallfrei und gutes Wetter, der Rest wird sich ergeben“, freut er sich darauf, „mit 61 Jahren wieder auf einer Isomatte mit sechs Zentimetern Dicke ins Zelt zu kriechen“. Und „radfahrtechnisch war ich noch nie in den Alpen. Wenn nicht jetzt, wann dann?“