Die Kinder sollen nicht kommen

Nach einer ausführlichen Debatte lehnte der Stadtrat mit den Stimmen von CDU und KBV die Aufnahme von maximal zehn unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus dem griechischen Lager Moria in Kevelaer ab. Elke Kleuren Schryvers von der „Aktion Pro Humanität“ hatte zuvor in der Fragestunde ausführlich die Zustände in dem Lager Moria beschrieben, wo man mit ärztlichen Kollegen in Kontakt stehe.

Dort lebten 20.000 Menschen in einem für 3.000 Personen ausgelegten Lage. Jede Nacht kämen weitere rund 100 Kinder und Jugendliche in Schlauchbooten dort ausgekühlt an. Sie ständen stundenlang für Essen und Trinken an, drei Stunden für eine kalte Dusche von zwei Minuten. Dauere das länger, gäbe es auch Messerstechereien. Mädchen gingen nachts nicht zur Toilette. Die Kinder schliefen auf dem nackten Boden, hörten dort „reihenweise auf zu sprechen, hätten Steine in der Hand, seien aggressiv und verweigerten die Nahrung. Kindern zwischen sieben und neun Jahren seien Suizidversuche anzusehen.

Kölner Kollegen, Angehörige des Schriftstellers Navid Kermani, berichteten von Gesprächen der Kinder mit Psychotherapeuten und einer Lage, die „explosiv und hoffnungslos für Kinder“ sei. Viele Jungen und Mädchen hätten keine Lust mehr weiterzuleben. „Die Kinder im Moria sind ein Symptom an der Oberfläche wie die Menschen in Seenot“, unterstrich Kleuren-Schryvers, die sich im vergangenen Sommer auch für Kevelaer als „Sicherer Hafen“ stark gemacht hatte. „Mitmenschlichkeit ist der uns angeborene Impuls“, zitierte sie die Worte Kervanis zum Tod von Rupert Neudeck, dem „Cap Anamur“-Begründer. Politisches oder strategisches Denken dürfe da nicht das erste Gewicht haben. Es drohe dort eine „menschliche Dürrekatastrophe.“ Es gehe bei der Aufnahme von Kindern, „denen wir das Herauskommen in begrenzter Zahl erlauben wollen“, um das „Senden eines mitmenschlichen Signals für die Stadt Kevelaer.“

Kein Öffnen eines Einfalltores

Auch Bürgermeister Pichler argumentierte mit „verheerenden Zuständen“ auf Moria. Er machte deutlich, dass sich die 29 Städte (von Dortmund bis Krefeld), die sich zum „Sicheren Hafen“ erklärt haben, gemeinsam dazu entschlossen hätten, nach dem Abklingen der Seenotkrise durch den Rücktritt des italienischen Innenministers Salvini auf anderem Wege humanitär zu wirken. Man wolle gemeinsam den Bund auffordern, auf Basis des Artikels 17 der Dublin-III-Verordnung zusätzliche Aufnahmeplätze für diese hilfsbedürftigen Menschen in den Auffanglagern zur Verfügung zu stellen. Er sprach von einer „einmaligen humanitären Geste“, die nichts mit dem Öffnen eines Einfallstores zu tun habe, sondern damit, dass unbegleitete Minderjährige nicht ihren Antrag auf Asyl in so einem „Schreckenslager“ unter diesen Bedingungen stellen sollten.

„Die Vorlage wäre nicht erforderlich, wenn die Bundesregierung meiner Meinung wäre. Ich traue der Bundesregierung ohne einen Tritt in den Hintern keine Lösung auf nationaler und auf europäischer Ebene zu“, sagte Pichler ganz deutlich. Man könne sie nicht zwingen, „aber man kann sagen, an mir soll es nicht scheitern. Ich würde welche nehmen.“ Und dabei sei man nicht allein. Zehn Kinder könne man „von der Betreuung“ her aufnehmen. „Wenn der Rat sagt, nur fünf, dann ist das so.“ Was die Kosten für die Kinder angehe, konnte Pichler mit 500.000 Euro im Jahr für zehn Kinder und 250.000 Euro für fünf Kinder nur eine grobe Schätzung vornehmen. Man biete das für die Dauer des Asylverfahrens an. „Ich kann nur dafür werben, das steht Kevelaer gut zu Gesicht und ist eine humanitäre Grundhaltung.“ Es wäre ein Maß an Solidarität mit dem EU-Staat Griechenland angezeigt, „Wir kehren nicht vor der Haustür, sondern im eigenen Haus. Und es gibt gute Gründe, dass ich mitunter anderer Meinung bin als die Bundes-SPD.“

Die CDU will nicht vorpreschen”

Die Vertreter der CDU folgten dieser Argumentation nicht. Ihr Fraktionsvorsitzender Paul Schaffers führte aus, dass es um Menschen gehen, die „in einem sicheren EU-Land untergebracht sind, wo keine akute Lebensgefahr besteht.“ Lager wie Moria gebe es auch in der Türkei oder Syrien. „Wo fangen wir an, wo hören wir auf?“ Die Flüchtlingspolitik sei „eine Sache der Bundesregierung und eine europäische Sache“, so dass man sich als Kommunalpolitiker „nicht damit beschäftigen könne und solle. Wir können zum Bund und Land Signale setzen, aber können uns nicht ständig Sachen rüberholen, für die wir nicht zuständig sind“, machte er klar. „Wir wären ohne Wenn und Aber auch bereit, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, als wir müssten, aber wir müssen nicht vorpreschen“, zumal die Bundesregierung einen Vorstoß der Linken mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP abgelehnt habe. Deshalb müsse man es ablehnen, sagte Schaffers.

So sah es auch Mario Maaßen (CDU). Die Dublin III –Klausel sei von der Stimmenmehrheit im Bundestag nach einem Antrag der Linken abgelehnt worden. Natürlich sei es „indiskutabel, die unmenschlichen Lager in Griechenland, Jordanien oder Libyen kleinzureden. Da muss geholfen werden.“ Man könne aber um den Weg streiten und nach realistischeren Wegen suchen. Die Migrationspolitik stehe Ende März in Europa auf der Agenda. Da sei „symbolisches Störfeuer in der Verhandlungssache nicht immer hilfreich.“ Merkel habe 2015 rund 5.000 Menschen ins Land gelassen und damit eine Flüchtlingswelle ausgelöst. Man sei da halt etwas vorsichtiger geworden. „Wir sind in der gleichen Sache unterwegs, müssen den Vorschlag aber ablehnen.“

Günter Krüger (KBV) nahm ähnlich wie die CDU eine ambivalente Position ein. Mit den Infos des Tages sei es wesentlich einfacher, dem zuzustimmen als sie abzulehnen. „Aber was wird passieren, wenn wir der Verwaltungsvorlage zustimmen?“ Es werde so nicht kommen. Denn solange die Bundesregierung nicht entscheide, was zu machen und nicht erst Europa aktiv werde, würden die Kinder nicht hierherkommen. „Das ist letztendlich nur eine Aufforderung an die Bundesregierung, tätig zu werden.“ Auch die KBV argumentierte, dass es nicht sinnvoll sein, an dem Punkt vorzupreschen und die Schleuser davon profitierten. „Und was passiert, wenn die hier alle zehn Asyl beantragen und abgelehnt werden?“ Das Thema eigne sich nicht für Diskussionen, meinte der Grüne Ulrich Hünerbein-Ahlers. „Man hat eine Haltung oder nicht“, zeigte sich der Grünen-Fraktionschef von der Position von CDU und KBV enttäuscht. Er dankte dem Bürgermeister aber für seine Initiative und den Kirchen für ihren „eindrucksvollen christlichen Appell an den Rat“, für die Aufnahme.

„Es geht nicht um große Politik, sondern um Menschlichkeit“

Die SPD stellte sich hinter Pichler. „Wir haben in der Fraktion nicht lange diskutiert, waren von vornherein einverstanden mit der Vorlage“, sagte deren Fraktionschef Horst Blumenkemper. „Es geht nicht um große Politik, sondern um Menschlichkeit“, ergänzte sein Fraktionskollege Norbert Baumann. „Ich bin geschockt von dem Umfeld hier. Wir reden von Kindern. Wenn jede Kommune die Hand reicht und jeder nimmt einen kleinen Teil, dann kommt was Großes dabei raus. Man muss nur wollen“, meinte Karin Raimondi.

Jürgen Hendrix (FDP) machte es kurz und bündig: „Es ist gut, wenn aus der Fläche was kommt, Und es sind viele, die teilnehmen“, sprachen sich die Liberalen pro Kinder aus. Aufgrund der Konstellation fand der Antrag der Verwaltung aber keine Mehrheit.