Björn Lohmann

Testen, testen und testen!

Unverantwortlich – anders kann man das Verhalten vieler Menschen nicht bezeichnen, die in den vergangenen Tagen in Cafés dicht beisammen saßen, sich auf Spielplätzen trafen oder sogar Partys feierten. Sie gefährden nicht nur sich selbst – zahlreiche Todesfälle durch Covid-19 sind inzwischen für gesunde Menschen mittleren Alters dokumentiert –, sondern vor allem die Gesellschaft als Ganzes. Sie sind der Grund, weshalb „social distancing“ – Kontaktminimierung – als Maßnahme die Ausbreitung des Virus nur geringfügig verlangsamt, wie aktuelle Studien aus anderen Ländern zeigen. Im Ergebnis würde sich mittelfristig mehr als die Hälfte der Bevölkerung infizieren, wie Berechnungen zeigen. Für Deutschland hieße das eine sichere sechsstellige Zahl Todesfälle, vor allem Ältere und anderweitig Immungeschwächte. Dafür dürfen wir uns bei den eingangs genannten Personen bedanken.

Bedanken dürfen wir uns bei ihnen auch dafür, dass die Bundesregierung eigentlich nicht mehr anders kann als einigen Nachbarländern zu folgen und eine Ausgangssperre zu erlassen. Geht es nicht freiwillig, muss die Kontaktminimierung erzwungen werden. Noch streitet das Bundeskanzeramt ab, dass eine solche Maßnahme erforderlich oder geplant sei. Das liegt jedoch an der Zögerlichkeit der Regierung. Die Fakten sprechen eine klare Sprache. Nicht zuletzt hatte das Bundesgesundheitsamt Spekulationen über die Schließung von Geschäften als Fake News bezeichnet, zwei Tage bevor die Regierung sie dann verkündete.

Allerdings hat die Strategie der Ausgangssperre einen dicken Haken: Sie müsste so lange aufrechterhalten werden, bis ein Medikament oder ein Impfstoff in ausreichender Menge verfügbar sind – ansonsten würde die Infektionskurve wieder nach oben schnellen. Die Hoffnung ruht auf bereits zugelassenen Medikamenten, die sich als ebenfalls gegen Covid-19 wirksam erweisen könnten. Kandidaten gibt es, Sicherheit keine. Auf ein neues Medikament oder einen Impfstoff müssten wir jedoch mindestens ein halbes Jahr warten. Denn bei der Zulassung eines Präparats für zig Millionen Menschen darf auch in Eile kein Risiko eingegangen werden.

Die heutige Situation und erst recht eine Ausgangssperre möchte sich niemand für ein halbes Jahr vorstellen. Nicht nur die wirtschaftlichen, auch die sozialpsychologischen Folgen wären katastrophal. Die wissenschaftlichen Analysen der vergangenen Tage zeigen noch einen anderen Weg auf – den vieler asiatischer Länder: Dort wird jeder Verdachtsfall isoliert und – zweifach – getestet. Selbst bei einem negativen Ergebnis folgen zwei Wochen Quarantäne. Wer positiv getestet wird, kommt ins Krankenhaus, bis er geheilt ist (und nicht etwa nur, bis er symptomfrei ist). Niemand kommt unbeaufsichtigt in häusliche Quarantäne, auch nicht bei milden Symptomen. China hat ein vierschichtiges Quarantänesystem, bei dem Verdachtsfälle in zweckentfremdeten Hotels in Quarantäne kommen, bis hin zu den schweren Infektionen, die im Krankenhaus isoliert und behandelt werden.

Während bei uns viele Epidemiologen Tests als Möglichkeit sehen, die Epidemie zu quantifizieren, sehen ihre asiatischen Kollegen Tests als Möglichkeit, die Epidemie unter Kontrolle zu bringen. Jeder Kontakt eines Verdachtsfalls wird in Asien ermittelt, auch mittels Mobilfunkdaten, und ebenfalls getestet. Wer glaubt, er könne infiziert sein, wird sofort getestet. Die Methode zeigt Wirkung und hat das Potenzial, die Fallzahlen so stark zu senken, dass das gesellschaftliche Leben gedämpft weitergehen kann, lange bevor ein Medikament verfügbar ist. Bei uns hingegen hört man von einer Berliner Ärztin, die am Freitag drei Intensivpatienten testen ließ und bis Montagabend kein Ergebnis hatte, weil das Labor am Wochenende nicht arbeitet. Man hört von Menschen, die Kontakt zu bestätigten Fällen hatten, denen aber der Test verweigert wird, weil sie (noch) keine Symptome zeigen. Auch das ist: unverantwortlich.