Ganz viel Hilfe aus Kevelaer

Vor dem kleinen Häuschen knubbeln sich die Menschen auf zwei langen Holzbänken. Sie warten, geduldig und ruhig. Es ist heiß, gerade hat es wieder geregnet, die Luft wird dampfig, jede Bewegung treibt kleine Schweißperlen auf die Stirn. Dr. Rüdiger Kerner steckt den Kopf aus der Türe – um sofort wieder zu verschwinden. Keine Pause – das „Wartezimmer“ wird einfach nicht leer. Zwölf Tage lang war der Chefarzt am Marienkrankenhaus mit seinem Team im Buschkrankenhaus der Aktion pro Humanität (APH) in Benin, Westafrika.

Insgesamt war ein 19-köpfiges Team aufgebrochen, ehrenamtlich wieder Dienst zu tun mitten im Busch – Mediziner, Pfleger, Techniker – knapp die Hälfte der Mannschaft kommt aus Kevelaer. Hildegard Kleinen und Silvia Kölbel sind wieder mit im Endoskopie-Team – ein schon eingespieltes Team, auch wenn die Bedingungen im Busch anders sind als in einem Krankenhaus hierzulande. Die Kevelaerer Dr. Elke Kleuren-Schryvers und Peter Tervooeren (APH) haben die Reise wieder vorbereitet – und ihnen fällt ein Stein vom Herzen: „Auch die Zahnarztpraxis läuft.“ Das haben alle gehofft – aber wie das so ist, in Afrika: Man muss gute Pläne auch erst einmal umsetzen können – irgendetwas kommt immer dazwischen.

Die Endoskopen haben nun also neue Nachbarn: Dr. Roland und Dr. Angelika Klein, Zahnarzt und Allgemeinmedizinerin aus, ja auch aus Kevelaer. Die beiden waren im vergangenen Jahr schon in Benin – jetzt hat der Zahnarzt ein kleines Häuschen zum Arbeiten bekommen – und Sohn Martin, zum ersten Mal an Bord, hat den alten Zahnarztstuhl tatsächlich zusammengebaut bekommen – in viele Einzelteile zerlegt war der per Schiffscontainer nach Benin transportiert worden. In der gerade eröffneten Kinderabteilung – einmal quer über das Krankenhausgelände – ist der Andrang auch groß, der Moerser Kinderarzt Hans Hermann Pieper hat zu tun. „Wir werden seit der Eröffnung vor nun knapp fünf Woche fast 600 kleine Patienten hier behandelt haben“, so Kleuren-Schryvers.

Derweil schaut Rüdiger Kerner, dass er all seine Patienten versorgt bekommt. „Unsere Tage sind voll“, sagt er. „Heute zum Beispiel: 7.30 Uhr Frühstück, 8.00 Uhr Visite im Hospital. Danach 13 Gastroskopien, zwei Koloskopien, Sonographien, Punktionen und zu guter Letzt mit unseren neuen, sehr netten Nachbarn eine gemeinsame Patientenbehandlung, sozusagen fachgebiet­übergreifend! Das hat uns allen sehr viel Spaß gemacht, uns aber auch gefordert.“ – Mit den neuen Nachbarn meint er Familie Klein. Die freuen sich, „dass der Stuhl funktioniert, auch wenn seine Anschlüsse eine afrikanische Lösung sind – sie sind außerhalb des Stuhles. Alles sieht proper aus und funktioniert gut, es macht richtig Spaß in ,unser Zweitpraxis‘ zu arbeiten.“ Das Einsatzfeld hat sich von Zähne ziehen um Füllungen, Zahnreinigung und kleinere chirurgische Eingriffe erweitert. „Das Zahnbewusstsein bei jungen Menschen ist da, denn es gibt auch Nachfrage nach Prothesen. Den Wunsch können wir allerdings noch nicht erfüllen.“

Und dann hat das Endoskopie-Team noch Verstärkung bekommen: Rosaline Tuinenborg, internistische Assistenzärztin am Kevelaerer Krankenhaus, ist auch zum ersten Mal in Benin und packt überall da an, wo Hilfe gebraucht wird. „Sie wollte unbedingt mit“, freut sich Rüdiger Kerner. „Um ihrem Bestreben Nachdruck zu verleihen, hat sie schon mal ihren holländischen Reisepass bei meiner Sekretärin da gelassen, damit wir sie ja nicht vergessen. Rosa verstärkt tatkräftig unsere Mannschaft. Und sie senkt mit ihren 27 Jahren deutlich den Altersdurchschnitt bei uns Beninfahrern.“

Nicht zuletzt ist da noch das OP-Team mit Chirurgen, Anästhesisten, Intensiv-, OP- und Pflegepersonal – aus Xanten, Wesel, Geldern, Maastricht. Vier neue Hüften sind u.a. eingesetzt worden. „Dieser OP-Container ist ein Segen für die Menschen hier“, so Dr. Johannes Kohler, langjähriger Chefarzt am Xantener Krankenhaus und nun, im Ruhestand, Chirurg im OP-Container und „Chef de Mission“ in Benin.

++ Live aus Benin +++ Live aus Benin ++

Per Whatsapp haben wir mit den Kevelaerern in Westafrika in Kontakt gestanden – und ein paar der Nachrichten, die am späten Abend aus dem afrikanischen Busch an den Niederrhein geschickt wurden, haben wir hier zusammengestellt.

„Die Lebens- und Überlebensschicksale, das Erkranken ohne eine Perspektive haben zu können, das Sterben – alles ein ewiger natürlicher Zyklus hier. Ein Gesetz, gegen das man sich kaum aufbäumt. Bei uns in Europa ist das eher eine Frage von Machbarkeit, eine Frage des who is who, eine Frage des Versicherungsstatus.“
„Die wahrzunehmende Wiederzunahme an Aidserkrankungen und Aidswaisen bedrückt. Aber es gibt auch die Freude und tief empfundene Dankbarkeit dafür, dass wir auch viele Menschen – im Wortsinne – wieder zurück ins Leben holen dürfen.“
Dr. Elke Kleuren-Schryvers

„Wir haben Verstärkung bekommen. Modeste ist Krankenpfleger, hoch motiviert und interessiert an der Zahnheilkunde und er spicht englisch! Ein Schatz, da wir kaum ein französisches Wort sprechen, wie auch viele unserer Patienten, und Modeste kann übersetzen.“
Dr. Roland Klein

„Tief berührend ist die Patientenzahl im Projekt. So viele Patienten habe ich den sieben Jahren, die ich jetzt hier sein darf, noch nicht gesehen. In mir ist die Freude groß und ich bin glücklich dabei. Aber wie vor drei Jahren bei der Installation des OP-Containers ist da auch ein mulmiges Gefühl ob der Verantwortung gegenüber so vielen Menschen, die ihr Vertrauen und ihre Hoffnung in uns und das Centre Medical in Gohomey setzen. Ohne Gottvertrauen geht hier gar nichts und du würdest auch verrückt ob der vielen Dinge, die zu tun sind.“
Peter Tervooren

„Und so sind alle aus unserem Team, die fit genug waren, zum Blutspenden gegangen für die Menschen hier – Blut ist hier genauso knapp wie bei uns. Aber das Blut wird hier nicht wie bei uns für große OPs in Massen gebraucht, sondern meistens für Kleinkinder, die an Blutarmut leiden aufgrund von Malaria und Mangelerscheinungen.“
Silvia Kölbel

„Wir waren heute im Nachbardorf und haben Monsieur Amou besucht, der vor einiger Zeit einen Schlaganfall erlitten hatte. Wir waren schon 2016 bei ihm – ihn in der Hütte zu sehen war seinerzeit eines der prägendsten Erlebnisse der Reise. Es hat uns schlagartig deutlich gemacht, unter welchen Umständen die Menschen hier leben und was es bedeutet, krank zu werden – oft nämlich den Tod. Monsieur Amou ist nur deswegen noch am Leben, weil er als ehemaliger APH-Mitarbeiter weiter Gehalt bekommt – und Medikamente. […] Macht weiter, es ist so wichtig!“
Steffi Neu