The winner takes it all

Am Ende hielten die 72 erleichterten jungen Menschen auf der Bühne ihr Zeugnis in den Händen (sieben hatten nicht bestanden). Zwei Stunden zuvor war bei einigen von ihnen die Aufregung mit Händen zu greifen, als sie vor der Eingangstür des Bühnenhaus-Saales standen. „Das ist cool, aber man ist auch irgendwie nervös“, fasste John Zinn in vorderster Reihe das Gefühl aller Beteiligten ganz gut zusammen.

Gemeinsam betrat er mit den anderen den Saal, wo sie unter dem Beifall der Eltern, Angehörigen und Freunde Platz nahmen. Im Publikum applaudierte auch Miriam Koc ihrer Tochter Sinem beim Einmarsch. „Ich finde es gut, aber für mich als Mutter ist das natürlich sehr emotional.“

Tim Hendricks sorgte am Klavier für den Einstieg in die Feier, Schulleiter Karl Hagedorn begrüßte alle und erinnerte zugleich nochmal an die „schöne, aber wehmütige Feier“ zum Abschied der Haupt- und Realschule am Tag zuvor. Für die knackig-launige Rede des Vormittags sorgte einmal mehr Bürgermeister Dominik Pichler.

Die andere Seite hören

Bezugnehmend aufs ABBA-Abi­turmotto „The winner takes it all“ zitierte er ein paar Zeilen aus dem Lied. „Das Stück handelt von einer Frau, die ihren Mann an eine andere Frau verloren hat. Was soll uns das im Zusammenhang mit Ihrem Abitur sagen?“, sorgte die Bemerkung für Gelächter im Saal. Wie immer „quälte“ er auch diesen Jahrgang mit einem lateinischen Zitat, diesmal „Audiatur et altera pars“, der sinngemäß „Man höre auch die andere Seite“ bedeutet.

„Wie oft erlebt man es bei Facebook, dass jemand eine Meinung äußert über einen anderen, ohne dass die Frage gestellt wird, wie sich der Sachverhalt denn aus Sicht des anderen darstellt“, schlug Pichler den Bogen ins Heute. Das gelte auch für unkommentierte Hasskommentare im Netz. Da müsse man sich fragen, „was das Schweigen, möglicherweise sogar der Mehrheit, letztlich mit der Gesellschaft macht.“ Man könne „nicht nicht kommunizieren“, zitierte er den österreichischen Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick. 

Auch bei der „Fridays for future“-Bewegung reiche es nicht, nur kluge Ratschläge geben zu wollen oder mit der Debatte um Schulpflicht „Nebelkerzen“ zu werfen, sondern sich der Sachfrage „Klimaschutz“ zuzuwenden. Um dort eine kluge Lösung für alle hinzukriegen, bedürfe es des Austauschs von Argumenten. „Und da sind wir wieder bei „Audiatur et altera pars.“

Pichler rief die jungen Abiturienten dazu auf, ihre erworbene „Lizenz zum Denken“ immer wieder anzuwenden. „Bleiben Sie kritisch und lassen Sie sich nicht von einfachen Lösungen abspeisen.“ Er wünschte für die anstehende Abifeier, dass „niemand aufgrund des übermäßigen Genusses geistiger Getränke ein Waterloo erlebt“, man die „eine oder andere Dancing Queen“ auf der Tanzfläche findet und später beim gedanklichen „Thank you for the music“ die Erkenntnis wächst: „Money, Money, Money ist eben nicht alles im Leben.“

Keine Kinder mehr

Die Schüler waren stolz auf ihre Zeugnisse. Foto: AF

Für die Elternvertretung drückte Andrea Foitzik das Gefühl aus, das sicher viele an diesem Tag bewegte: „Kinder, was seid Ihr groß geworden. Kinder, wie ist die Zeit vergangen.“ Quasi gestern seien die Kinder noch „mit dem Bobbycar um die Ecke geflitzt. Jetzt zucke ich immer wieder zusammen, wenn mir einer von Euch am Steuer eines Autos entgegen- kommt.“

Die vergangenen zwölf Jahre „haben Euch geprägt und zu den Persönlichkeiten gemacht, die Ihr heute seid“, mit all den gemachten Fehlern, der Zeit, den Nerven und der Energie, die sie investiert hätten. Foitzik sprach von gewonnener „Lebenserfahrung und Reife“ sowie dem Schnuppern an der Erwachsenenwelt – mit der Lösung von Konflikten und wie Gemeinschaft gefördert wird.

„Ihr haltet heute Euer Abiturzeugnis in den Händen und dürft gehen, weggehen, weitergehen.“ Sie erinnerte an die vielen Wegbegleiter: die Eltern, „die euch buchstäblich an die Hand genommen“ haben und die ganze „Background-Arbeit“ (vom Korrekturlesen bis zum Butterbrote­schmieren) übernommen haben. Sie dankte den Lehrern, die „das nötige Wissen vermittelt“ und „die Pubertät unserer Kinder ausgehalten“ haben und dem „Mysterium Eva“ .

Zum Schluss hielt sie eine kleine Schultüte, „gefüllt mit Dingen, die Euch in Eurem Leben begleiten mögen“, hoch. Darin „enthalten“ waren Eigenschaften wie „Manieren“, „Moral“, „Respekt“, „Charakter“ oder „Verstand“. Die Aufzählung endete mit der „Liebe“: „Folgt Eurem Herzen und werdet glücklich.“

Musikalische Unterhaltung

Atousasadat Seyedian war die einzige Abiturientin, die „künstlerisch“ selbst zur Feier beitrug: Beim Song „Feeling good“ von Michael Bublé merkte man ihr die Aufregung nur kurz an. Ansonsten bewältigte sie die Aufgabe zur Begeisterung des Publikums souverän.

Als Schülervertreterin blickte Hannah Geßwein auf die diversen besonderen Erinnerungsmomente der Schüler zurück, die im Laufe der Zeit „trotz Diskrepanzen“ zusammengefunden haben, was sich in solchen Momenten wie der Literatur-Aufführung gezeigt hätte. Und sie ließ es sich nicht nehmen, die Kritik an dem nicht genehmigten „Randale-Tag“ seitens der Abiturienten klar zu formulieren.

Schulleiter Karl Hagedorn sprach zu den Abiturienten. Foto: AF

Schulleiter Karl Hagedorn quittierte die Bemerkung unter anderem mit einem „Hab ich drauf gewartet“. Er zeigte sich zuversichtlich, „dass jeder Schüler „seine Nische im Leben findet und eine erfolgreiche berufliche Karriere“ verwirklichen wird. Symbolisch dafür seien die Luftballons, die die Schüler mit ihren Wünschen hatten aufsteigen lassen.

Besondere Zeugnisvergabe

Hagedorn forderte die Schüler auf, „Werte wie Toleranz, Achtung und ihr soziales Engagement“ mitzunehmen, die sie in der Schulzeit erfahren haben und auf diese Zeit „mit vielen positiven Erinnerungen zurückzudenken.“ Man habe an der Schule zwar „auch nur mit Wasser“ gekocht, so Hagedorn, „aber wir haben gute Rezepte und kochen schmackhaft und lecker.“

Und auch die Übergabe der Abiturzeugnisse sorgte für erinnerungswürdige Momente. So stellte sich Laura-Marie Dombek nach dem Austausch mit Karl Hagedorn in die Schülerreihe und vergaß, ihr Zeugnis entgegenzunehmen. Hagedorn versprach sich bei einem Lob für eine Streitschlichterin: „Das sind die Schüler, die bei den Jüngeren den Streit stiften.“ Manuel Schulz lief zur Musik von „Löwenzahn“ auf die Bühne und Annika Schwartges verweigerte dem Direktor demonstrativ den Handschlag und ging an ihm vorbei. Am Abend folgte dann in edler Garderobe die abendliche Abifete, die die Beteiligten hoffentlich frei nach Pichler genossen haben.