Sankt Martin möchte was hören

Da sage noch einer, der Herbst sei eine ungemütliche Jahreszeit. Beeinflusst von so manchen Wetterberichten und -prognosen mag dieser Eindruck vordergründig ja stimmen. Aber da fallen einem nach kurzem Überlegen doch bestimmt auch so schöne Dinge ein wie erleuchtete Fenster, die ihren gelben, warmen Schein nach draußen schicken, hinter denen man sich sogleich ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer vorstellen kann. Und in demselben steht ein warmer Ofen, der mitsamt dem Duft von gebratenen Äpfeln Behaglichkeit pur ausströmt…
Oder komme ich nun mit diesem Bild von einem alten Ofen doch etwas zu altmodisch daher? Sind Erinnerungen altmodisch, weil von gestern, von früher?
Ein Sprichwort sagt, sie seien „das Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann“. Wie komme ich nun zu dem Thema in der Überschrift?
Ich erinnere mich an vergangenes Jahr, wo ich am Martins-Abend am Straßenrand stand und viele Kinder mit ihren Lampions vorüberziehen sah. Sie folgen alljährlich einer alten Tradition, haben dafür sogar in vielen Stunden sehr kreativ die eine oder andere Laterne oder Fackel mit einem bestimmten Motiv gebastelt, empfangen traditionell am Ende ihres Fußmarsches eine wohl gefüllte Tüte mit allerhand Leckereien. Also: Tradition = Erinnerung. Aber fehlt da nicht etwas?
Nein, eigentlich nicht, denn vor mir zog eine Schulklasse vorbei, die lauthals ein bekanntes Martinslied (Tradition!) sang. A l l e Kinder dieser Klasse sangen, wie „es sich gehört“ (Tradition!). Und eine Minute später kommt eine weitere Klasse vorbei, mindestens ebenso lautstark, ich höre aber nur Rufen und Geschnatter, sehe gegenseitiges Geschubse. „Singen ist doch uncool“, sagte mir ein Steppke, den ich aufforderte, in den Gesang der anderen Gruppen mit einzustimmen.
Da wächst jedes Jahr meine Achtung vor den begleitenden Lehrpersonen und Eltern, die mit ihrem lauten Gesang für die Jüngeren ein Vorbild abgeben. Das Herz geht einem auf, wenn am Ende des Umzuges unser „Wor hör ek t’hüß“ erklingt. Für manche lieben Kleinen ist die gefüllte Tüte „cool“, aber dafür auch zu singen ist „uncool“. Ich kann sagen, bislang sind die „Uncoolen“ gottlob in der Minderzahl. Hoffentlich setzt sich wenigstens diese Tradition fort.
Meine liebe Mechel meinte: „Lott se doch, de meste hebbe doch best gesonge. Un nauw komm nor Hüß, ek heb de Pöfferkes färch.“
Euer Hendrick