Toleranz am Kreuz
Zu meinen Lebzeiten tobte an unserem Niederrhein und auch weit darüber hinaus der 30-jährige Krieg von 1618 – 1648. „Kevlaar“ war eine kleine Bauernschaft mitten in der Heide.
Mit zwei Zahlen möchte ich das verdeutlichen, worum es mir heute geht:
Vor knapp 380 Jahren, genau 1642, erbaute ich das erste „Kapelleken“ oder den Bildstock, den meine liebe Mechel in ihrer Vision gesehen hatte. Viele verzweifelte Menschen suchten Trost an dieser Stelle. Denn fünf Jahre zuvor wütete noch überall die Pest und forderte landauf, landab Tausende von Opfern.
Und ein weiteres Drama traf die damaligen Kevelaerer. Gut Hundert, also fast alle, wurden ermordet, hatten an einem Augusttag 1635 in einer Schanz“befestigung“ vergeblich Schutz gesucht vor marodierenden, kroatischen Söldnern des Piccolomini-Heeres. Der Name Kroatenstraße entstand natürlich erst viel später, weil es in der damaligen Heide nichts als Feldwege gab. Im Gedenken an dieses Massaker errichtete man das Kroatenkreuz mit der bekannten Texttafel, auf der dieser furchtbare Vorfall beschrieben steht.
So weit – so schlimm.
Es gab Veränderungen an dem Kreuz: Zum einen war es teilweise in der Erde versunken, darum ließ es Kaplan und Chordirektor Aenstoots vor mehr als 100 Jahren auf einen Sockel heben. Die zweite Veränderung, ebenfalls heute gut sichtbar, betrifft eine weitere Texttafel aus dem Jahr 1985, angebracht von kroatischen Wallfahrern mit dem ehrlich gemeinten Gebet, „es möge sich nie wiederholen, was hier geschehen ist“.
Hier schieden sich zunächst die „Kevelaerer Geister“, die „Geschichtsfälschung“ befürchteten und „dass Täter zu Opfern“ wurden. Hatten doch die kroatischen Pilger, die sich übrigens jedes Jahr an diesem Kreuz zum Gebet versammeln, auf dieser Tafel den leidvollen Kreuzweg ihres eigenen Volkes und somit auch ihre eigenen Toten beklagt. Besonnene Kevelaerer wie u.a. Josef Heckens und Karl Dingermann sorgten letztendlich für allgemeine Beruhigung und dafür, dass Kevelaer seit über 30 Jahren mit dieser zweiten Tafel seinen Frieden geschlossen hat.
Mechel nickt dazu und meint voller Überzeugung: „Dat nenn ich doch mal gelebte Toleranz.“
Euer Hendrick