Orange ist Kult

Es ist – man möge mir den Ausdruck verzeihen – eine Orgie in Orange. „Orange ist doch schön“ mögen manche jetzt denken. Und immerhin kann man in der Ausstellung „Flowerpower & Weltraumdesign“ im Niederrheinischen Museum in Kevelaer eine Zeit eindeutig an einer Farbe festmachen. „Die Kultur der 60er und 70er Jahre“, so der Untertitel der Schau, die bis zum 22. April im Niederrheinischen Museum zu sehen sein wird, ist eindeutig orange. Jeder, der diese Zeit miterlebt hat, kann aus dem Stehgreif mindestens drei Dinge aufzählen, die in ein oranges Gewand gehüllt waren. Fön oder Wecker, Stuhl oder Vase, Fernseher oder Tapete oder Wählscheiben-Telefon – die westdeutsche Welt, denn auf diese beschränkt sich die Ausstellung aus der Sammlung von Dr. Corinna Wodarz, war orange.

Man muss zur Ehrenrettung der anderen Farben sagen, dass sie nicht alle ganz aus der Welt waren – vorausgesetzt sie waren schrill genug. Launiges Lila, himmlisches Blau, giftiges Grün, nach den schwarz-weißen 50ern wurde es bunt in deutschen Küchen und Wohnstuben. Und bald wurde es einigen sogar zu bunt. Denn die Muster wurden riesig, die Gedanken waren frei, die Liebe auch bald, und wem das alles noch nicht genug war, der ging auf die Straße, um zu demonstrieren oder in den Partykeller, um zu feiern – mit Cocktails und Mett-Igel und Lichteffekten von der Lavalampe und/oder Drogen aller Art.

Und eine mögliche Blüte des LSD-Rausches schaffte es sogar auf die Fliesen der orange-grünen Küchen jener Jahre: die Pril-Blume. Die habend die Ausstellungsmacher um Museumsleiterin Veronika Hebben eigens nachdrucken lassen, und jeder Besucher der Ausstellung wird eine bekommen, verspricht sie. Die Aufkleber seien im Übrigen die einzigen Nachbildungen, der Rest seien alles Originale, vom Flokati bis zum Fön, verspricht Hebben und deutet auf ein Original RAF-Fahndungsplakat. Ja, wie der Titel es schon verspricht, gibt es einen gehörigen Spannungsbogen in jenen Jahren, und der wird auch abgebildet, von der umhäkelten Granini-Flasche und der Makramee-Blumenampel über die Krawatte mit Überbreite und dem Minirock mit aufblitzender Unterwäsche bis zu Vietnamkrieg und Ölkrise.

Die einen genießen den Konsum, der durch die rasanten technischen Entwicklungen nach der Mondlandung und die Massenproduktion von Plastik möglich wird. Die anderen protestieren dagegen und treiben ihre Natürlichkeit so weit auf die Spitze, dass sie alles käufliche von sich weisen, einschließlich ihrer Kleidung. Jeder mag so seine eigenen Erinnerungen an diese Zeit haben, viele wird er wiederfinden in der Ausstellung, schmunzeln oder die Stirn runzeln, immer aber erstaunt sein, dass es die eigenen Erinnerungsstücke mittlerweile ins Museum geschafft haben. Und übrigens auch, dass einiges inzwischen wieder in Mode kommt.

Originalgetreue Zimmereinrichtungen aus Wohnstube, Küche, Kinderzimmer und Partykeller, Musikkultur, Mode, die Werbung, Kinofilme, aber auch Kinderspielzeug sind einige Themen, die man in der Ausstellung als übergeordnete Schwerpunkte wiederfindet. Und vielleicht auch ein(en) Teil seines eigenen Lebens. Muss ja nicht gleich eine Orgie in Orange sein. Vor der Tür der Ausstellungshalle findet sich auch noch ein 1971er VW Käfer. Aus Kevelaer. Im Originalzustand. Und in hellblau.