Hüls-Entwicklung voller Fehler

Zu viele Fehlentwicklungen sieht Jürgen Hendricks, Vorsitzender der FDP-Fraktion, in Kevelaer. Wieso dafür auch die Ratsmitglieder mitverantwortlich sind, begründet der Winnekendonker im KB-Interview.

KB: Herr Hendricks, seit im Rat keine Partei mehr eine eigene Mehrheit hat, gibt es immer öfter große fraktionsübergreifende Mehrheiten. Wenn jemand nicht dabei ist, ist das häufig die FDP. Wieso haben Sie so oft den Schwarzen Peter?
Jürgen Hendricks: Weil wir dem Mainstream nicht folgen. Andere Ratsmitglieder lassen zu viel durchlaufen, befassen sich teilweise nicht genug mit den Problemen. Die Ratsmitglieder müssen ihrer Verantwortung mehr gerecht werden. Wenn die Stadt für viele Millionen goldene Projekte bauen möchte, muss der Rat „Nein!“ sagen. Damit meine ich die freiwilligen Maßnahmen, die viel Geld kosten und gemacht werden, weil es Zuschüsse gibt.

Es gibt immer mal den Vorwurf, viele Ratsmitglieder hätten von der Materie zu wenig Ahnung.
Sicher haben wir im Rat mit dem Weggang mancher Mitglieder auch Kompetenzen verloren, beispielsweise durch Ralf Angenendt und Thomas Selders. Das waren Fachleute.

Bräuchte der Rat Fortbildungen?
Alle Parteien haben solche Angebote, wo Leute in der Kommunalpolitik geschult werden. Wir nutzen das als FDP, und ich denke, die anderen auch.

Wenn der Rat häufiger eingreifen soll, heißt das doch auch, dass aus der Stadtverwaltung die falschen Vorschläge kommen.
Das Problem gibt es, darum fordern wir seit vielen Jahren einen technischen Beigeordneten.

Immerhin gibt es inzwischen personelle Verstärkung in der Stadtplanung.
Die zusätzliche Stelle in der Stadtplanung hilft, keine Frage. Aber ein Beigeordneter kann eine Vision für Kevelaer für Jahrzehnte entwickeln, er kann Konzepte für alle Teile Kevelaers zusammenfassen, inklusive Verkehrskonzept. Für die Stadtentwicklung spielt auch die Stadtsoziologie eine große Rolle. Die findet hier aber keine Beachtung.

Zumindest den Gestaltungsbeirat haben Sie bekommen.
Das finden wir toll. Jetzt bin ich beim Integrierten Handlungskonzept gespannt: Gibt es weiter Einzelvergaben oder Wettbewerbe? Vielleicht profitiert davon schon der Peter-Plümpe-Platz. Das kostet zwar etwas mehr, ist aber gut investiert.

Wie wünschen Sie sich den Peter-Plümpe-Platz?
Wir brauchen einen Platz, der die Tradion wahrt – damit meine ich die Kirmes – und Flächen bietet zum Verweilen.

Unter die Erde mit den Autos?
Wir brauchen keine Tiefgarage. Die Betriebswirtschaftlichkeit ist nicht gegeben, dafür müsste ein Hochbau draufgesetzt werden, und den wollen wir nicht.

Wie bewerten Sie die Verkehrssituation in Kevelaer?
Als ich 2004 mit der Kommunalpolitik anfing, hatte ich mit einem Verkehrskonzept zu tun, das gut aussah. OW1, Egmontstraße/Lindenstraße, B9 und Walbecker Straße bildeten ein Carree für den Verkehr.. Dagegen gab es große Widerstände aus der Bevölkerung, darum wurde das nicht umgesetzt. Das heutige Konzept ist verkorkst. Ich habe Fotos aus der Pilgerzeit, die Bahnstraße entlang, die Gelderner Straße entlang – so weit Sie gucken können, Busse. Wir haben eine Situation geschaffen, die den Roermonder Platz zum Verkehrsknotenpunkt gemacht hat. Darüber muss nachgedacht werden.

Wo sollen dann die Pilgerbusse ankommen?
Vorgesehen war dafür mal der Europaplatz. Da dieser bezüglich Entfernung zum Wallfahrtszentrum und durch die starken Verkehre Bahnstraße oder Gelderner Straße als Pilgerweg nicht nutzbar ist, bleibt nach unserer Meinung nur der jetzige Ausstiegspunkt.

Künftig sollen die Pilger auch aus der Stadt zur Hüls gelangen.
Die Stadt wollte ein zweites Standbein schaffen, den Sole- und Pilgerpark und ein Gesundheitszentrum. Ein Ärztehaus gehört zum Krankenhaus! Eine Praxis auf der Amsterdamer Straße oder in der Luxemburger Galerie bringt Frequenz in die Innenstadt, aber nicht eine Praxis auf der Hüls. Überhaupt war von Anfang an klar, dass es für Kevelaer nur 0,5 zusätzliche Facharztstellen gibt, und die vorhandenen Ärzte hatten kein Interesse umzuziehen.

Aber der Ärztemangel ist doch ein Problem in Kevelaer.
Ja, wir haben auch zu wenig Fachärzte für Allgemeinmedizin. Ich weiß aus dem Seniorenbeirat von älteren Menschen, die zugezogen sind und nach Geldern zum Arzt müssen, weil sie hier keiner mehr aufnimmt. Das können wir kommunalpolitisch aber nicht ändern, dafür ist die Kassenärztliche Vereinigung NRW zuständig.
Stattdessen bekommen wir ein Medizinisches Versorgungszentrum – mit 2500 statt der geplanten 5000 Quadratmeter – zur intensivmedizinischen Pflege von unter anderem Lungenpatienten und eine große Zahnarztpraxis. Wir bekommen ein Hotel ohne Wellness, ohne Sauna. Ein Hotel ist gut, aber das hätten wir gerne auf dem Antwerpener Platz oder dem Holtappels-Gelände gesehen, da hätte es der Innenstadt genutzt. Wenn wir alles auf die grüne Wiese verlagern, wird die Innenstadtentwicklung nicht leichter.

Wird der Gesundheitspark denn funktionieren?
Im Pilger- und Solepark haben wir ein Gradierwerk und ein Kommunikationsgebäude. In Hamm steht das Gradierwerk in einem 40 Hektar großen Park – bei uns zwischen dem Schulzentrum mit bald vielleicht einem Skatepark und künftig 270 Häusern im neuen Baugebiet. Wo ist dann die Stille im Sole- und Pilgerpark? Wie soll die Anbindung an die Innenstadt funktionieren? Warum sollen Pilger überhaupt dorthin gehen?

Sind Sie gegen die Wohnbebauung auf der Hüls?
Es gibt in Kevelaer 300 bauwillige Menschen. Wir hatten deshalb zunächst 2,6 Hektar Wohngebiet auf der Hüls ausgewiesen – einverstanden. Jetzt wurde die Fläche auf 8,6 Hektar erweitert, wir brauchen nun ein Regenrückhaltebecken. Und wir werden weitere Infrastruktur bauen müssen, Kindergärten, Schulplätze…

Verschließt die Politik zu oft die Augen vor den Folgekosten?
Wir bauen zurzeit ganz viel mit Hilfe von Fördermitteln. Aber sobald Land und Bund nicht mehr dabei sind, tragen wir immer noch die Unterhaltungskosten. Die Schulen nutzen nur einen Teil ihrer reservierten Schwimmzeiten, da hätte es beispielsweise kein zusätzliches Schwimmbecken gebraucht.
Der Haushalt ist zwar schwarz, aber das verdanken wir unseren super Unternehmen, die sehr gut gearbeitet haben. Aber wer viel verdient, investiert dann vielleicht auch mehr und schon sinken die Gewerbesteuern wieder. Auch die Gesamtverschuldung der Stadt ist mit 50 Millionen Euro im Vergleich nicht schlecht, aber die Schulden müssen irgendwann zurückgeführt werden, und die Zinssituation wird sich drehen.

Auch in die Schulen investiert Kevelaer viel Geld.
Das ist auch richtig so. Allerdings werden bald erhebliche Investitionen in den Gesamtschulstandort Weeze nötig. Welchen Teil wird Weeze tragen? Ich bin zwar sicher, dass wir uns dort einigen werden, aber wenn wir viel investieren, sollte der Standort Weeze auch auf Dauer gesichert sein.

Tut die Stadt für die Wirtschaft genug?
Wir sind im Flächenpool mit dem Kreis, um Standorte zu entwickeln und haben Potenzialflächen in der Nähe der Autobahn. Wir haben gute produzierende Unternehmen, die wir weiter unterstützen müssen.

Und im Einzelhandel?
Die innenstädtischen Trends treffen uns wie alle. Wir müssen die Händler dazu bringen, zusätzlich Onlinehandel anzubieten. Wir haben aber den großen Vorteil der personellen Frequenz durch die Wallfahrer. Das ist Kevelaers erstes und wichtigstes Standbein. Wir haben eine tolle Infrastruktur mit den Schul- und Sportstätten. Eine Stadt ist nicht dazu da, ein zweites Standbein zu erfinden, sondern muss vorhandene Stärken unterstützen. Die Leerstände sind übrigens auch ein Eigentümerproblem, viele leben nicht mehr in Kevelaer und die Stadt ist ihnen egal. Da muss die Stadt häufiger ihr Vorkaufsrecht wahrnehmen, um eine zielführende städtebauliche Entwicklung umsetzen zu können.

Der Einzelhandel hat auch in Ihrem Heimatdorf Winnekendonk ein Problem.
Sie meinen Edeka. Edeka wird den bisherigen Standort scheinbar nicht mehr verlängern, aber wir haben eine Potenzialfläche auf dem alten Sportplatz. Mit dem Eigentümer, der Kirche, werden wir uns sicher einig. Das bedeutet allerdings die Verlegung der sportlichen Aktivitäten ins Sportzentrum, und dann reicht dort das Gebäude nicht mehr aus.

Zum Schluss ein Satz zum Bürgermeister.
Der Bürgermeister macht einen guten Job. Er ist als SPD-Kandidat angetreten, muss aber die Mehrheiten suchen, um seine Ziele zu erreichen. Das finde ich gar nicht schlecht. Da haben die Kleinen, und dazu gehören wir auch, mehr Gewicht.

Das Interview führten Björn Lohmann und Rudolf Beerden.