„Es läuft alles in geregelten Bahnen“

Wenn Anne van Meegern von ihrer Arbeit als Ärztin in der aktuellen Corona-Krise berichtet, wirkt sie gefasst. Die Kevelaererin erzählt nicht von katastrophalen Zuständen im Krankenhaus oder einer Situation, die einem „Schlachtfeld“ gleicht, nein. „Ich glaube, dass wir gut vorbereitet sind; dass frühzeitig Maßnahmen ergriffen wurden. Deshalb läuft es so gut“, sagt die Anästhesistin, die aktuell ihre Weiterbildung zur Internistin auf der Intensivstation des Luisenhospitals in Aachen absolviert. Eine große Herausforderung in Bezug auf Covid-19 sei vor allem, „dass die Patienten alle mit sehr unterschiedlichen Symptomen kommen.“ Die meisten Patienten seien lange ansprechbar und es vergingen oft einige Tage, bis schließlich doch eine Beatmungstherapie nötig werde. Dafür könne man dann schon 10 bis 14 Tage rechnen. Doch einige Patienten habe man bereits erfolgreich wieder auf die Normalstation verlegen können.

„Die Influenza-Welle vor zwei Jahren fand ich von der Arbeitsbelastung her extremer“, sagt die 34-jährige Ärztin. Die Stimmung in der aktuellen Situation sei aber einfach eine andere – auch unter dem Fachpersonal. Man wisse nicht, was einen noch erwartet. Die Stimmung sei beinahe „gespenstisch“, die Notaufnahme im Krankenhaus fast leer. Durch abgesagte elektive Eingriffe seien im Arbeitsalltag Kapazitäten geschaffen worden. Chirurgen sind eingearbeitet worden, um im Zweifel auf den internistischen Stationen auszuhelfen. Aber auch, als sieben ihrer Kollegen auf einen Schlag aufgrund einer Infektion ausfielen, sei die Arbeit noch zu stemmen gewesen, sagt van Meegern. Die Kevelaererin musste sich selbst – nicht mit Covid-19 infiziert – für vier Wochen in Quarantäne begeben. Ihre Familie in der Wallfahrtsstadt hat die 34-Jährige seit Februar nicht mehr gesehen. Zu groß ist die Angst, das Virus unbemerkt weiterzutragen, und zu groß die Verantwortung gegenüber den Patienten und Kollegen.

Beatmungs- und Lagerungstherapie

Eine Herausforderung bei der Behandlung der Covid-19-Patienten sei der unberechenbare Krankheitsverlauf, erklärt van Meegern. „Der Verlauf der Patienten – auch bei jungen Patienten – ist schon lang.“ Jedoch gebe es keine Faustregel, nach der man handeln könne. Zum Beispiel gebe es einen jüngeren Patienten auf der Station, „der hat keine Vorerkrankung und trotzdem ist er nicht besser dran als der 80-Jährige mit Vorerkrankung.“ Allgemein sei ein langer Verlauf üblich. „Wenn die zu uns kommen, sind sie noch in einem relativ guten Zustand“, erklärt van Meegern. Um einer respiratorischen Erschöpfung (Lungenschwäche) vorzubeugen, sei es wichtig, frühzeitig zu erkennen, wann man intubieren und den Patienten damit künstlich beatmen muss. Nach der Beatmungstherapie und der Lagerungstherapie sei „man eigentlich auch schon schnell am Limit“, erklärt die Ärztin. Die Lagerung erfolge vor allem auf dem Bauch, um die Lungenareale zu ‚belüften‘. Auffällig sei, dass die Patienten viele Narkosemedikamente, also viel Sedierung, bräuchten.

Auch van Meegern hatte bereits Patienten, die das Virus nicht überstanden haben und verstorben sind. Viele der Verstorbenen jedoch, betont van Meegern, wären wahrscheinlich auch an ihrer vorhandenen Grunderkrankung gestorben und hätten auch eine herkömmliche Influenza nicht überlebt. Der Behandlungsweg, das wird bei den Ausführungen der Ärztin deutlich, müsse bei jedem Patienten individuell abgestimmt werden. Und eine solche Behandlung sei eben aufgrund der guten Vorbereitung und durch das Krisenmanagement aktuell noch gewährleistet.

„Jeder kommt an die Beatmung, der eine Beatmung braucht.“ Von einer Situation wie beispielsweise in Italien sei man im Krankenhaus „noch meilenweit entfernt“, sagt die Kevelaererin, die auf einer Intensivstation mit 22 Betten arbeitet. Ein Gedanke lasse sie bei all der Routine aktuell dennoch nicht los: „Was ist, wenn ich die letzte Person bin, mit der sie gesprochen haben, die sie sehen? Manchmal sieht man die Panik in den Augen. Das ist ganz schlimm.“ So ist es eben nicht die Routine als Ärztin, die einen vor solchen Gedanken schützt.

Auch die Sorgen der Angehörigen anhören

Auch der Umgang mit den Angehörigen – sowohl der Covid-Patienten als auch aller anderen Patienten – sei ein anderer, sagt van Meegern. Das Besuchsverbot mache vielen zu schaffen. So habe zum Beispiel eine Angehörige eines über 80-jährigen Patienten dreimal am Tag angerufen, um sich nach ihrem Familienmitglied zu erkundigen. Da kämen dann einfach Sorgen auf, weil man seine Liebsten über Wochen nicht besuchen darf. „Das ist furchtbar, das finde ich grausam“, fühlt die Ärztin da mit.

Eine ihrer Sorgen ist außerdem, dass in einigen Monaten auf einmal sehr viele Menschen zum gleichen Zeitpunkt kommen werden – und zwar diejenigen, die aktuell bereits aufgrund persönlicher Beschwerden ärztliche Hilfe benötigen, den Gang zum Arzt jedoch aus Angst vermeiden. „Die ganzen Probleme sind ja nicht in Luft aufgelöst“, sagt die Kevelaererin. Man solle sich auch weiterhin trauen, zum Arzt zu gehen, wenn man wirklich Probleme hat, appelliert sie.

Auch wenn die weiteren Entwicklungen ungewiss sind, hofft van Meegern, dass auch nach der aktuellen Krise die Wertschätzung gegenüber den Pflegekräften – und allen anderen Menschen, die das System aufrecht erhalten – bestehen bleibt. Denn zu vermuten ist: „Bald interessiert es niemanden mehr.“ Zu wünschen sei ein Umdenken in der Gesellschaft auf lange Sicht. „Ich hoffe, dass nach der Krise auch Pflegekräfte besser bezahlt werden und dass gesehen wird, dass man die Leute einfach braucht.“ Trotz der Ungewissheit und des hohen Drucks in der aktuellen Situation laufe die medizinische Versorgung hier immer noch in geregelten Bahnen. „Ich bin momentan total froh, dass ich arbeiten kann, dass ich den Job habe. Am Ende des Tages hat man doch eine sinnvolle Arbeit.“