Das Debakel der Demokratie

Kevelaer. „Oh“, war am Donnerstagabend die erste Reaktion von Bürgermeister Dr. Dominik Pichler, als ihm der Zettel mit der Auszählung der geheimen Wahl eines neuen stellvertretenden Bürgermeisters übergeben wurde. Einziger Kandidat in der Ratssitzung war der von der CDU nominierte Ratsherr Michael Kamps. Pichlers zweite Reaktion bestand darin, selbst noch einmal die Stimmzettel auszuzählen. Nach weiteren Sekunden des Schweigens stellte er leiser und ernster als sonst fest: „38 abgegebene Stimmen. Elf Ja-Stimmen, 26 Nein-Stimmen, eine Enthaltung.“ Was meist eine Formalie ist, war zum Fiasko geworden: Michael Kamps war fraktionsübergreifend abgelehnt worden.
Seitdem diskutieren nicht nur in der Politik viele, was bei der Nominierung schief gelaufen ist. Kamps hatte sich bei einer fraktionsinternen Abstimmung dem Vernehmen nach mit einer Stimme Vorsprung gegen drei Mitbewerber durchgesetzt. Üblicherweise hätte nun die Fraktion geschlossen hinter ihrem demokratisch gewählten Kandidaten stehen sollen. Und auch die übrigen Ratsfraktionen hätten traditionell dem CDU-Vorschlag zugestimmt, denn aus den Kommunalwahlergebnissen resultiert der Anspruch der Fraktion, den 1. Stellvertreter zu stellen. Bislang bekleidet Jürgen Aben dieses Amt, wird es aber zum Monatsende abgeben.
„Es gab bisher eine Übereinstimmung der Fraktionen, über die Kandidaten der anderen nicht zu urteilen“, betont Paul Schaffers, Fraktionsvorsitzender der CDU, im Gespräch mit dem KB. Seine Fraktion habe ihr Versprechen gehalten, den Posten der vierten Stellvertreters aufzugeben, sobald der erste Stellvertreter wieder voll einsatzfähig wäre. Der vierte Stellvertreter war eingeführt worden, nachdem Jürgen Aben krankheitsbedingt für längere Zeit sein Amt nicht ausüben konnte. Nach dem Tod von Egon Kammann wird der Posten des vierten Stellvertreters nun nicht neu besetzt.
Öffentlich möchte keine der anderen Fraktionen zu den Vorgängen Stellung nehmen. Die Abstimmung sei geheim, über die Entscheidungen und Motive anderer Fraktionsmitglieder daher keine Aussage möglich. Inoffiziell hört man unterschiedliche Gründe, weshalb Ratsmitglieder gegen Michael Kamps gestimmt haben.
Da ist zum einen die alte Debatte darum, ob Kamps überhaupt seinen Lebensmittelpunkt in Kevelaer habe. Das allerdings soll Kamps nach KB-Informationen noch zu Zeiten von Bürgermeister Axel Stibi eidesstattlich versichert haben. Lägen die Fakten anders – was auch jüngst wieder behauptet wurde – würde sein Ratsmandat grundsätzlich in Frage stehen. Eine Ablehnung in geheimer Wahl ist jedoch wenig dienlich, diese Frage zu klären.
Vereinzelt werden Kamps auch frühere politische Manöver vorgehalten. Mehrheitlich jedoch wird es still, wenn man nach konkreten Gründen für die Ablehnung fragt. Am schlüssigsten ist da noch die Einschätzung, Kamps sei einfach nicht der richtige Typ für die Aufgaben eines stellvertretenden Bürgermeisters, werde aber beispielsweise als Ausschussvorsitzender durchaus geschätzt.
Paul Schaffers ist jedenfalls ratlos. Der Kandidat war den anderen Fraktionen angekündigt worden, Kamps hat im Vorfeld sogar das persönliche Gespräch gesucht. Eine so deutliche Ablehung war beiden nicht signalisiert worden – wohl aber, dass es Gegenstimmen geben werde. „Vorurteile und Intoleranz“ sähe Schaffers darin, wenn jemand Kamps abgelehnt hätte, weil er ihm die Aufgabe nicht zutraut.
Das vielleicht größere Problem für Schaffers, der kurz sogar erwogen hatte zurückzutreten, ist aber die eigene Fraktion. Da nach KB-Informationen mindestens zwei Mitglieder anderer Parteien für Kamps gestimmt haben, müssen mindestens sieben der 17 CDU-Mitglieder gegen den eigenen Kandidaten votiert haben. Der CDU-Chef hofft, dass eine Fraktionssitzung am Freitag Aufklärung bringen wird. Spekuliert wird unter anderem darüber, ob ein Zusammenhang mit der damaligen Fax-Affäre besteht, bei der Thomas Selders aus dem Amt des CDU-Vorsitzenden gedrängt wurde – und an deren Anfang die Wohnsitzfrage eines potenziellen Ratsmitglieds stand.
In den anderen Fraktionen hofft man nun auf einen neuen Vorschlag der CDU, der einstimmig beschlossen werden könne. Doch den werde es laut Schaffers bis auf weiteres nicht geben. Für Pichlers Stellvertreter Brigitte Middeldorf und Johann-Peter van Ballegooy bleibt die Terminbelastung damit hoch. Und für künftige Personalien stellt sich die Frage, ob der fraktionsübergreifende Konsens endgültig dahin ist, die Kandidaten der vorschlagsberechtigten Partei zu akzeptieren. Das könnte dann zu unschönen öffentlichen Personaldebatten führen, wie sie jetzt schon Michael Kamps erdulden muss. Demokratisch wäre das – aber auch wünschenswert?