Zwischen den Zeiten

Ein Klavier, ein Steh- und ein Sitztisch, zwei Stühle, ein Pult und ein verschiebbarer Vorhang: Schlicht und reduziert wirkten die Requisiten für den besonderen Kulturnachmittag, der sehr viele Kulturbeflissene und Neugierige am vergangenen Sonntag unter das Dach der Öffentlichen Begegnungsstätte gelockt hatte.
Ende November hatten der holländische Pianist und Komponist Tom Löwenthal, der Bariton Wolfgang Baumann und die Mezzosopranistin Daniela Rothenburg in einer Art „Hauskonzert“ in den Räumen Löwenthals das Programm einer ausgesuchten Schar vorgestellt. Jetzt wurde das Programm, das das Werk Eislers von der Zeit der Weimarer Repubkik über die Vorkriegszeit und den Nationalsozialismus bis zum Kriegsende und seinem Wirken im „real existierenden Sozialismus“ darstellte, einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.
Die drei Akteure hatten sich dabei von den Ideen des Regisseurpaares Peter van Aar und Dorette Ploegmakers inspirieren lassen. Mit ein paar ergänzenden Kleinigkeiten und neuen Impulsen entstand eine sehr publikumsnahe, mit „Action“ erfüllte Aufführung mit Dramatik, Intensität und Intimität. Dazu trugen auch die Lichteffekte bei, die Volker Meisel verantwortete.
Zum Auftakt verdeutlichte Baumann, wie sehr das Programm „uns beklemmend deutlich gemacht hat, dass wir uns in einer ähnlichen Situation befinden wie zur Zeit der Weimarer Republik“. Erneut suchten und fänden „viele Menschen einfache, aber bei Weitem nicht immer richtige Antworten auf komplexe Fragen“, gewännen „rechte Populisten, Ignoranten und Hetzer“ an Macht wie einst zu Zeiten Eislers. Die Demokratie sei nicht selbstverständlich. Man benötige den Mut, „sie jeden Tag wehrhaft zu verteidigen“.
Vor dem entblößten Konterfei Wilhelm II. beschrieben die beiden Sänger in „Der Graben“ die Bitterkeit des Ersten Weltkriegs im Jahr 1916: „Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben, für das Grab, Kameraden, für den Graben.“
Das Konterfei erst abstaubend, um sich berlinernd in Stimmung zu bringen, interpretierte Rothenburg die „weinenden Hohenzollern“ angesichts des gesellschaftlichen Umbruchs, verteilte im Publikum dabei Tücher und trocknete sogar Tom Löwenthals „Tränen“. Der akzentuierte mit dramatischem Spiel immer wieder treffend die jeweiligen Textpassagen, sang zeitweilig sogar selbst mit.
Bitter-böse sang Rothenburg das „Lied vom Trockenbrot“ („Wer nicht arbeitet , muss nicht essen“) über die Armut der damaligen Zeit, verteilte Rosen. Und sie setzte ihrem Kollegen Wolfgang Baumann in „Gustav Kulkes seliges Ende“ eine Schüssel auf, um die Rolle des gleichnamigen Berliner Schutzmanns, der die Republik hasst, ins Abtruse zu verkleiden. Beißend zugespitzt sang Baumann die radikale Kapitalismuskritik in der „Ballade von den Säcke­schmeißern“. Beim „Einheitsfrontlied“ reckten beide die Fäuste und forderten das Publikum auf, sich mit ihnen gemeinsam „aufzulehnen“.
Tiefe und Bedrückung bot Baumanns Darbietung von „O Fallada, da du hangest“, in der er aus der Perspektive eines bei lebendigem Leibe aus Hunger von den Massen aufgefressenen Pferdes berichtete. Ähnlich fühlten die Anwesenden auch bei Rothenburgs Darbietung, als sie das „Lied vom SA-Mann“ , das „Lied einer deutschen Mutter“ und die „Ballade von der Judenhure Marie Sanders“ von 1933 vortrug. Bitter-zynisch kam das im Duett vorgetragene „Rosen auf dem Weg gestreut“ mit den zynischen Brecht-Worten „Und spürt ihr auch in eurem Bauch den Hitler-Dolch / Küsst die Faschisten“ zum Tragen.
Das Publikum war beeindruckt. „Das ist super, am Gedenktag der Auschwitz-Befreiung.
Einiges lässt sich auf heute übertragen. Wir müssen ganz schön aufpassen“, meinte Heinz Lamers. Ähnlich sah das auch Karin Dembek. „Ich dachte, das ist nicht mehr notwendig.
Aber es klingt so seltsam vertraut“, meinte die evangelische Pfarrerin. „Das ist eine wunderschöne Erinnerung für mich an Berlin“, befand Ilse Derksen aus Goch. „In der Schulzeit gab es die Weimarer Republik nicht so deutlich. Gut, das heute so mitzuerleben.“ „Komisch, über die Faschisten von deutscher Seite so zu hören“, meinte die gebürtige Ukrainerin Tatjana Fedorenko.
Nach der Pause setzte das Trio seine beeindruckende Darbietung fort. Rothenburg brachte das „Lied vom Weib des Nazisoldaten“ zum Kippen, als dieses „aus dem weiten Russland nur den Witwenschleier“ zurückbekommt.
Visionär wirkten die Zeilen „Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne der Mächtigen kommen am Ende zum Halt“ im „Lied der Moldau“. Das „Lidicelied“ bezog sich auf die Vernichtung eines tschechischen Dorfes durch die Nazis 1942 und der „kleine Radioapparat“ stand beim Vortrag der beiden Sänger am Tisch tatsächlich auf dem Boden.
Nur kurz streiften die drei die Eisler-Phase des „real existierenden Sozialismus‘“ mit dem gelüfteten Honnecker-Bild („Isser nich‘ schön in Farbe?“), dem von Daniela Rothenburg kämpferisch vorgetragenen „Ohne Kapitalisten geht es besser“.
Gemeinsam sangen Rothenburg und Baumanns „Anmut
sparet nicht noch Mühe“ von Brecht, ein Lied, das 1992 bei der „Arsch huh“-Demonstration in Köln gegen rechts sogar als Alternativ-Nationalhymne vorgetragen worden war.
Mit der DDR-Flagge und der Nationalhymne „Auferstanden aus Ruinen“ endete eine großartige Eisler-Zeitreise, die unterstrich, wie viel Aktualität sein Werk noch heute hat.