Virusgrüße aus Tirol
14 bestätigte Covid-19-Fälle gab es am Montagmorgen, 23. März 2020, in Kevelaer. Zur gleichen Zeit waren es in der Kevelaerer Polizeiwache bereits sieben – zumindest ist das die Zahl, die mehrere Personen dem Kevelaerer Blatt berichtet haben. Die zuständige Kreispolizeibehörde hält sich bedeckt und bestätigt auf Anfrage lediglich, „dass mehrere Beamte der Wache Kevelaer positiv auf Corona getestet wurden“. Weiter heißt es: „Angaben zu den Infektionswegen werden wir aber – auch, um die betroffenen Kollegen zu schützen – nicht machen, denn diese wären letztlich immer spekulativ.“ Das KB begab sich auf Spurensuche – und fand Zusammenhänge, die wenig spekulativ erscheinen und auf ein systemisches Versagen hindeuten.
Am Anfang der Infektionskette steht wohl auch in Kevelaer wieder jener Urlaubsort, der für einen großen Teil der Covid-19-Epidemie in Europa verantwortlich ist: die österreichische Wintersporthochburg Ischgl. Auch ein Mitarbeiter der Kevelaerer Polizeiwache hat dort Anfang März seinen Urlaub genossen und war am 12. März 2020 nach Kevelaer zurückgekehrt. Tags darauf war er wieder zurück im Streifendienst, wenig später erhält er das positive Testergebnis. In den Tagen danach werden weitere Kollegen der Wache positiv getestet.
Die Details dieser Tage sind – zumindest für die Öffentlichkeit – nicht ganz klar, da sich die Polizeibehörde mit Verweis auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte ihrer Mitarbeiter – der Information verweigert. Nach KB-Informationen soll der Ischgl-Rückkehrer sich des Risikos bewusst gewesen sein und den Arzt aufgesucht haben. Ob behördenintern oder beim Gesundheitsamt ist nicht bekannt. Dort soll ihm mitgeteilt worden sein, dass er zunächst keine Maßnahmen ergreifen müsse, da er keine Symptome zeige – eine schwere Fehlentscheidung, die man aber wohl nicht dem Arzt oder der Polizeibehörde ankreiden kann.
Letztere teilt dazu mit: „Im Umgang mit den infizierten Beamten und deren Kontaktpersonen in der Behörde agieren wir streng nach den Vorgaben des Gesundheitsamtes und gemäß den Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes, um eine weitere Verbreitung des Virus zu vermeiden.“ Doch das Robert-Koch-Institut hat im Fall Ischgl versagt, wie die Chronologie belegt. Es hat die Region Tirol, in der der Skiort liegt, erst am 13. März zum Risikogebiet erklärt, an jenem Tag, als der Kevelaerer Polizist erstmals nach seinem Urlaub wieder den Dienst antrat.
Problem war bekannt
Längst war zu dieser Zeit bekannt, dass Ischgl ein Hort der Covid-19-Infektion ist. Island hatte den Urlaubsort bereits am 5. März als Risikogebiet eingestuft, weitere europäische Länder wie Dänemark folgten. Sie hatten unter Reiserückkehrern aus Ischgl enorm hohe Infektionsraten festgestellt. Auch in Deutschland reagieren verspätet einzelne Landkreise, darunter der Ostalbkreis, der am 12. März mit großem Aufwand allen Mitgliedern einer zurückgekehrten Ischgl-Reisegruppe nachspürt. Warum hat das RKI da nicht längst reagiert? Die Begründung, die man seitens der Bundesregierung findet, ist so einfach wie schockierend: Weil Österreich lange dementiert hat, dass es in Ischgl ein Covid-19-Problem gibt. Tatsächlich gab es aus Ischgl selbst zunächst kaum positive Testergebnisse, doch wie viele Personen überhaupt getestet wurden, ist unklar, und die positiv getesteten Reiserückkehrer waren längst bekannt und hätten auch deutsche Behörden alarmieren müssen.
Auch die Kevelaerer Polizei? Wahrscheinlich schon, doch diese agiert als Behörde ebenso wie das Kreisgesundheitsamt zunächst nach den Vorgaben von oben. Dort wurde Ischgl jedoch für Kevelaer einen Tag zu spät zum Risikogebiet erklärt. An diesem Tag gab es im Kreis Kleve zehn bekannte Infektionen. Neun davon ließen sich nach Ischgl zurückverfolgen. Doch in Kevelaer fand die Infektionskette ihre Fortsetzung. Wäre der Polizist einen Tag später aus Ischgl zurückgekehrt, hätte er für zwei Wochen vorsorglich in häuslicher Quarantäne verbleiben müssen, die Ansteckungen seiner Kollegen wäre wahrscheinlich vermieden worden – denn auf eine zweite Infektionsquelle haben unsere Recherchen keinen Hinweis ergeben.
Genausowenig konnten wir bislang jedoch bestätigen, dass die erkrankten Polizisten die Quelle der übrigen nachgewiesenen Covid-19-Infektionen in Kevelaer sind. Mindestens ein Fall ist der Redaktion bekannt, der einen Kontakt zum Personal der Wache ausschließen kann. Dennoch könnte jeder, der ab dem 13. März 2020 Kontakt mit einem Mitarbeiter der Kevelaerer Polizei oder auch mit dessen privaten Kontaktpersonen hatte, sich infiziert haben. Nachgegangen wurde dem von Behördenseite anscheinend nicht, eine Information der Öffentlichkeit sogar vermieden.
Dabei wäre eine Identifizierung dieser Personen in Verbindung mit Tests und Quarantäne ein Leichtes gewesen, um die Ausbreitung der Krankheit in Kevelaer zu verlangsamen. Wie viele Personen in Kevelaer auf diesem Weg infiziert wurden und vielleicht als symptomlose Träger die Krankheit weiterverbreitet haben, ist unbekannt. Immerhin zeigt die Zahl nachgewiesener Infektionen in Kevelaer weiterhin ein eher lineares Wachstum, was hoffen lässt, dass in Verbindung mit der Kontaktsperre bald der Punkt erreicht wird, an dem die Neuerkrankungen zurückgehen.
Was die Polizeiwache Kevelaer betrifft, so versichert die Behörde trotz der hohen Zahl erkrankter Mitarbeiter: „Der Wachbetrieb in Kevelaer läuft wie gewohnt, die Kolleginnen und Kollegen vor Ort sind zu den üblichen Geschäftszeiten erreichbar.”