Theaterchor geizt nicht mit Engagement
Schmerzlich haben sie die Bühne vermisst, da sind sich die Mitglieder des Theaterchors einig. Gerne singen sie miteinander.
Schmerzlich haben sie die Bühne vermisst, da sind sich die Mitglieder des Theaterchors einig. Gerne singen sie miteinander.
„Was sind Sie denn für ein Verein?“, wurden die Christmas Carol Singers des Theaterchors Niederrhein gefragt, als sie nochmal in der Adventszeit in Kevelaer unterwegs waren.
„Da müssen die Knöpfe noch ausgetauscht werden, Druckknöpfe springen auf beim ersten Atemholen.“ Gesagt und fast schon getan.
Der Theaterchor Niederrhein kann endlich wieder proben: Das Hotel Klostergarten hatte dem Chor seine Räumlichkeiten für die Proben angeboten.
Die Gemeinschaft irgendwie weiter aufrecht erhalten und den Draht zueinander nicht abreißen lassen – das ist für Chöre in Zeiten von Nicht-Singen-dürfen, Abstand und Kontaktbeschränkungen eine große Herausforderung.
Seit fünf Jahren unterhält der Theaterchor Niederrrhein mit einem vielfältigen Repertoire von 30er-Jahre-Musik bis zum Queen-Rock das Kevelaerer Publikum. Die alljährlichen Konzerte des Chores finden großen Anklang, sogar vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier wurde der Chor nach Bonn eingeladen und kam mit dem Staatsoberhaupt ins Gespräch.
Jetzt wollen die Mitglieder der Chorgemeinschaft ihrer Historie ein weiteres Highlight hinzufügen. Denn der Theaterchor hat sich für die „Nacht der Chöre“ beworben, die von der „Rotkäppchen“-Sektkellerei ausgerichtet wird und Mitte November in Freyburg / Sachsen-Anhalt stattfinden soll – musikalisch unterstützt von dem Popstar Johannes Oerding und dem Komponisten Dieter Falk.
Geschickter Link
„Wir sind da dran gekommen, weil ein Mitglied unseres Chores mal den dazugehörigen Link geschickt hat“, erinnert sich Marloes Lammerts, eine der beiden Gründerinnen des Chores. „Da habe ich spontan gesagt: Das könnten wir doch mal machen.“ Der Vorschlag ging in den Chor-Vorstand und an die Stimmsprecher, die sich mit der Idee sofort anfreunden konnten.
Wie kriegt man es aber hin, sich für so einen Wettbewerb angemessen zu präsentieren? Als Grundbedingung war gefordert, den eigenen Lieblingssong zu singen, sich dabei filmen zu lassen und das Video auf der Internetseite des Unternehmens unter dem Stichwort „Nacht der Chöre“ hochzuladen.
Nur ein einfaches Filmchen, das sollte es eigentlich nicht sein, dachten sich die Verantwortlichen des Chores. Auch da half der Zufall mit: Lammerts, die als Künstlerin Keramik-Skulpturen herstellt und auch mal auf Ausstellungen zu finden ist, traf auf der „Landart“ Ende August im Achterhoek den Foto- und Filmjournalisten Gerry Seybert.
Der drehte dort zufällig einen Imagefilm über die Veranstaltung. „Da habe ich ihn einfach gefragt, ob er nicht was für uns machen könnte. Und er hat spontan zugesagt.“ Am 1. September kam Seybert dann mit seinem Equipment in das Forum Pax Christi, wo der Chor seit ein paar Wochen wieder seine Proben durchführt, drehte einzelne Einstellungen der Proben und führte Kurzinterviews mit einigen Mitgliedern.
Es entstand ein 4:59 Minuten langer Kurzfilm, der die Idee und die Philosophie des Theaterchores in angemessener Form zusammenfasst. „Wir haben uns vor Ort umgesehen und dann spontan entschieden, wer aus dem Chor dazu auch was vor der Kamera sagen kann“, sagt Christina Derix, die zweite Gründerin des Theaterchores.
„Garniert“ wurden diese Aussagen und Probeaufnahmen mitAusschnitten aus den Konzerten, die im Bühnenhaus Kevelaer stattfanden.
Eine Jury, die sich aus dem Sänger Johannes Oerding, Dieter Falk, dem „Rotkäppchen“-Marketing-Manager Tobias Richter, Moderatorin Johanna Klum und dem Model und der Schauspielerin Marijke Smittenaar zusammensetzt, entscheidet Anfang Oktober, welche zwei Gewinnerchöre und SängerInnen dabei sein dürfen.
Coaching mit einem Komponisten
Die sollen dann Anfang November durch ein Coaching mit Dieter Falk – abhängig von der aktuellen Situation – persönlich in ihrer Heimatstadt oder digital auf die „Nacht der Chöre“ vorbereitet werden. Die „Nacht der Chöre“ soll dann am 14. November nach klaren Abstands- und Hygienevorgaben im Lichthof der „Rotkäppchen“-Sektkellerei stattfinden.
„Wir wissen nicht, was da alles genau passiert“, sagten die beiden Frauen. „Da müssen wir uns überraschen lassen.“ Auf jeden Fall glauben sie an die Chance ihres Chores. „Wir haben eine super Bewerbung abgegeben und einen super Imagefilm. Und wenn wir nicht genommen werden, kann man mit dem Film immer super darstellen, was der Theaterchor ist.“
Es war wie eine große Verwandlung, als auf einmal ehrwürdig gekleidete Damen und Herren, die einem anderen Zeitalter entsprungen zu sein schienen, auf den Fußwegen Kevelaers zu sehen waren. Minuten zuvor hatten sich 30 Mitglieder des Theaterchores „Niederrhein“ in den Räumen der Gaststätte „Zu den goldenen und silbernen Schlüsseln“ ihrer Alltagskleidung entledigt, um in ihre wunderbar selbstgemachten Kleider und Jacken vergangener Tage zu schlüpfen.
Unter denjenigen, die als „Christmas Carol“ die Zeit von Charles Dickens und Co. wieder lebendig werden ließen, befand sich auch mit elegantem Kleid und Damenhaube die scheidende City-Managerin Nicole Wagener, die damals die Idee zu der Aktion hatte.
„Ich hatte mit Marloes Lammerts telefoniert und da mal vorgeschlagen, ob man nicht mal als Chor durch Kevelaer zieht und singt“. Da hatte sie aber nicht im Sinn gehabt, dass sich Frauen des Chores mal eben drei Monate hinsetzen und dafür mit Unterstützung von Edeka als Sponsor historische Kleider nähen. „Was da jetzt daraus geworden ist, mit den ganzen Kleidern und den Kostümen, das hätte ich nie und nimmer erwartet. Das ist der helle Wahnsinn“, meinte sie später bei einem Glas Glühwein am Getränkestand nahe des Arche-Noah-Brunnens.
Erstmal zu Edeka
Dass das Wetter leicht ungemütlich und fein-regnerisch daherkam, konnte der Laune des Chores keinerlei Abbruch tun. „Es fühlt sich etwas nass an, aber es ist trotzdem schön“, brachte Stephanie Hiep die Gedanken aller zum Ausdruck. Mit ihren Hauben, Hüten, Zylindern, Mänteln und Spazierstöcken machten sich die Sänger und Sängerinnen mit den Chorgründerinnen Marloes Lammerts und Christina Derix zunächst auf den Weg Richtung Edeka. Dort verteilten sie vor dem Eingang schon die im Korb mitgeführten Walnüsse, Mandarinen und Mini-Schokoladen-Weihnachtsmänner an die Kinder und Passanten. „Wir sind die armen Kinder und verschenken alles an alle“, meinten Amelie und Romy, die im Kinder-Theaterchor mitsingen.
Vor dem Edeka-Kassenbereich stehend, sorgten die Sänger dann für viel Aufmerksamkeit. Einige Kunden zückten schnell das Handy, um den besonderen Moment zu bannen, als der Chor „Träume unter’m Christbaum“ oder „We wish you a merry christmas“ intonierte. Einige sangen sogar mit, applaudierten anschließend.
Verweilen und Innehalten
„Die Aktion soll ja auch die Leute zum Verweilen und Innehalten animieren und den Sinn des Ganzen den Menschen bewusst machen“, meinte André Spittmann als Geschäftsführer von Edeka, der die Idee des Ganzen sofort mit unterstützt hatte. Vor der Krippe im Forum ließ der Chor „Leise rieselt der Schnee“ hören, um dann zu entscheiden, dass eine Aufteilung der Gruppe wie ursprünglich gedacht akustisch nicht so gut funktioniert.
Daraufhin zog der Tross als Ganzes weiter, durch den Museumsgang hin zur Hauptstraße, wo das Haus Nummer 9 das passende „historische“ Ambiente für ein Weihnachtsständchen bot. Und auch vor dem Musikhaus von Annegret Welbers ließ es der Chor mächtig erschallen, sodass die Besitzerin persönlich erschien, um dem Chor zu danken. „Es ist toll, dass ich das hier erleben darf.“
Bei Optik Mayer schmetterten die Sänger und Sängerinnen ein fröhliches „Gloria“, die Kunden vor dem Modehaus Kaenders genossen das „Ding, dong, merrily on high“. Und im Forum lauschten Willi Selders und seine Frau mit einigen anderen Gästen ergriffen den Klängen von „Träume unter’m Christbaum“. Und sie waren sich einig: „Das ist eine tolle Bereicherung.“
Eine Belohnung für die Arbeit
Am Glühweinstand stärkten sich die Mitglieder des Chores am Ende, sprachen über ihre Eindrücke. „Die Blicke der Leute waren einfach herrlich“, meinte Tanja Koppers. Und Monika Brocks, die als eine der „fleißigen Bienen“ in den Wochen zuvor die Kleider zusammengenäht hatte, bekannte stolz: „Das hat Spaß gemacht – und es ist eine Belohnung für unsere Arbeit.“
Am Sonntag hatte der Chor dann mehr Glück. Bei trockenem Wetter steuerten die Musiker zielgerichtet das belebte Forum an, wo der Chor im Anschluss an das Weihnachtsspiel sogar in der Krippe seine Lieder darbieten konnte – und nicht nur für staunende Blicke sorgte, sondern auch den dort anwesenden Esel „Herrmann“ dazu animierte, sich den Sängern zu nähern und sich vor lauter Begeisterung im Stroh zu rollen.
In das etwas belebtere Vorweihnachts-Ambiente passte der geschlossen auftretende Chor nun fast noch ein Stück besser, fand sich unter anderem wieder auf der Hauptstraße an der Hausnummer 29 und an dem großen Tannenbaum am Roermonder Platz und konnte die Menschen ein weiteres Mal begeistern.
Eine Bildergalerie zum Chor finden Sie hier auf unserer Website.
Gegen viertel vor elf stiegen die Mitglieder des Theaterchores Niederrhein auf dem Parkplatz vor der Dreifachturnhalle in den dort parkenden Bus, der sie über die Grenze in das benachbarte Venray transportieren würde. Gut 40 Mitglieder des Chores hatten sich für diesen ganz besonderen Auftritt zusammengefunden. Den Kontakt zu den Veranstaltern der Feier hatte die Mitbegründerin des Chores und gebürtige Niederländerin Marloes Lammerts geknüpft. An einer Lichtung am „Kasteelplaats“ war ein großes Festzelt aufgebaut, vor dem der Bus hielt und wo die Chormitglieder unmittelbar aussteigen konnten. Dort wurden sie von Jos Gerritsen von der „Stichting Cultuurpodium Geijsteren“ herzlich begrüßt.
„Das ist ein einmaliges Erlebnis – 75 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges, wo Venray befreit worden ist. Heute sind überall Feierlichkeiten“ sagte Gerritsen. Er verwies auf den englischen Friedhof und die 33.000 deutschen Soldaten, die in Venray begraben sind. Inmitten des rot-weiß-gestreiften Zeltes waren drei übergroße Nationenflaggen – die niederländische, die britische und die deutsche Flagge – als Sinnbild der drei beteiligten Länder aufgehängt. Nach und nach kamen die Zuschauer in das Zelt. Vereinzelt waren tatsächlich Veteranen des Kriegs anwesend – darunter auch Soldaten aus Großbritannien – die entweder auf den Stühlen in der ersten Reihe Platz nahmen oder im Rollstuhl die fast dreieinhalbstündige Feier mitverfolgten.
Eine besondere Feier mit mehreren Nationen
Auch der stellvertretende Bürgermeister der Stadt Kevelaer, Johann-Peter van Ballegooy, war gekommen, um an dieser historischen Feier teilzunehmen. „Dass wir als Deutsche mit den anderen Nationen zu dieser Feier eingeladen sind“, das sei das eigentlich Besondere, meinte er und schüttelte dem Ortsbürgermeister und dem Bürgermeister von Venray, Hans Gilissen, die Hand.
Der Ortsbürgermeister einträchtigmit Johann-Peter van Ballegooy für Kevelaer und dem Bürgermeister von Venray. Foto: AF
Im Backstagebereich trafen die diversen Chöre und Musiker ein und stärkten sich mit Tee, Kaffee und Brötchen – neben dem Theaterchor Niederrhein“ waren das noch das „Reünie Orkest Limburgse Jagers“, „The Stuart Singers“ aus dem britischen Minchinhampton und der „Kemmerekoor“ aus Geijsteren. Und Marloes Lammerts verriet bei einer Tasse Kaffee, wie es zu der besonderen Einladung gekommen war. „Jos Gerritsen hatte angerufen, weil er nach einem deutschen Chor suchte. Er hatte unsere ‚Freiheit‘-Konzertankündigung entdeckt.“ Zunächst wiegelte sie ab, weil es ein Konzert mitten in den Ferien sein sollte. Doch die Veranstalter ließen nicht locker – und es kamen tatsächlich genug Sänger und Sängerinnen zusammen.
Elmar Lehnen vermittelte dann den Kontakt zu Uli Wintberg, der als Ersatz für den eingespannten Tom Löwenthal dirigieren und Klavier spielen durfte. Der riet seinen Mitstreitern schlicht: „Lasst alles Negative weg, habt Spaß.“ Er gab entspannt die eine oder andere Anweisung und führte den Chor souverän durch seine Beiträge. „75 Jahre Frieden ist ein wichtiger Anlass“, meinte der Dirigent. Und Frans Overman von der „DiF´Ra Advies Groep“ als Mitgestalter des Tages machte klar: „Das hier ist wichtig, weil Singen zusammen verbindet und die Welt eins macht.“
Die „Koninklijk Sint Willibrordusgilde Geijsteren“ bildete mit Kapellenmusik und zwei Fahnenschwenkern beim Einmarsch den Auftakt der Feier, die von Cynthia van Lijf dreisprachig – in englisch, niederländisch und deutsch – moderiert wurde. „Wir befinden uns auf historischem Boden“, machte sie deutlich. „Vor genau 75 Jahren verlief genau auf dieser Wiese die Frontlinie der Kämpfe. Im Schloss waren deutsche Truppen, auf die geschossen wurde von der Straße hinter uns.“ An diesem Tag „ehren wir alle diese oft jungen Menschen, die auf beiden Seiten gefallen sind. Die drei Chöre und das Militärorchester repräsentieren die drei Länder.“
Vertrauen in Gott und der Heimkehrwunsch
Es gehe aber um „mehr als eine Hommage an die Verstorbenen, denn wir wollen auch gemeinsam unsere Freiheit feiern. Denn hier in Westeuropa leben wir jetzt 75 Jahre in relativer Freiheit, auch wenn es Bedrohungen wie kalten Krieg oder Terrorismus gibt.“ Und dementsprechend würdevoll abwechslungsreich und ergreifend verlief das Programm. Sehr getragen waren die Beiträge des ersten Blocks, der vom Vertrauen in Gott und dem Wunsch, nach Hause zurückzukehren, handelte. Der Theaterchor trug dazu mit „Homeward Bound“ und der Solistin Bärbel Rolf bei.
Das Publikum war begeistert. Foto: AF
Im zweiten Block ging es um Einheit, die Sehnsucht nach Frieden und die Erinnerung, die nicht enden darf – ihren Ausdruck findend in „Ich will nicht vergessen“ mit Marloes Lammerts als Solostimme für das Kevelaerer Ensemble. Die anderen Ensembles sorgten für einen beeindruckenden Beitrag nach dem anderen – ob „Verleih uns Frieden“ vom Kemmerekoor, „One“ von „The Stuart Singers“ oder dem wirklich zu Herzen gehenden „En Aranjuez con tu amor“ mit Trompetensolo.
Richtig gut passten auch die beiden Theaterchor-Lieder „Alles oder nichts“, das die Befreiung von den „Ketten“ beschwor, und „Das Lied der Moldau“, wo von „den hiesigen Plänen der Mächtigen, die zum Halt kommen“, die Rede ist.
Bis heute ein berührender Augenblick
Und nach der Pause sorgten die Kevelaerer Sänger mit „Frei und schwerelos“ und „Don‘t stop me now“ von Queen für frischen Wind im weiten Rund und erhielten dafür viel Applaus – passend zu der feierlich-fröhlichen Grundstimmung des zweiten Teils. Und wer in die sentimental-schimmernden Augen alter Soldaten bei der „Glenn Miller Parade“ des Limburger Orchesters gesehen hat, der verstand, wie berührend für diese Menschen der versöhnliche Augenblick bis heute ist.
Gemeinsam sangen alle dann „Vera Lynn forever“ – und als Johannes Stammen für den Theaterchor „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen intonierte, hielten sich alle Menschen im Zelt bei den Händen und sangen mit – ein Gänsehautmoment für alle.
Und als alle Chöre mit den Taschentüchern zum Abschied winkten, war allen bewusst, dass sie ein bedeutendes, besonderes Erlebnis miteinander hatten feiern dürfen. Hinter der Bühne beglückwünschten sich alle Chöre gegenseitig zu ihren wunderbaren Gesängen und verabschiedeten sich voneinander. So einfach kann es sein, in Frieden vereint zu sein.
Eine Fotogalerie zur Veranstaltung finden Sie hier.