Sie nutzt die Musik als Mutmacher in der Krise
Wenn Lea Brückner über die aktuelle Situation ihrer Künstlerzukunft nachdenkt, kommen bei ihr gemischte Gefühle zum Vorschein. „Momentan stehen die Chancen bei 50 zu 50, wie sich das nach Corona entwickeln wird“, will sich die 22-jährige Geigerin und frühere Kevelaererin, die trotz des Umzugs nach Straelen noch gute Drähte zur Wallfahrtsstadt hat, da noch nicht abschließend festlegen. Auf der einen Seite sehe sie den Zusammenbruch der öffentlichen Kulturlandschaft. „Viele Musiker sind als freischaffende Künstler unterwegs. Für die ist es sehr, sehr schwierig – vor allem für die, die nicht Studenten sind.“ Aber auch alle Musikstudenten, die als Aushilfen bei Festivals da sind, verdienten nichts. „Ich habe ein Riesenglück, dass meine Familie nicht weit weg wohnt und ich da wohnen kann. Aber ich habe einen Haufen von Freunden an den Musikunis, viele aus dem Ausland, die sind auf das Geld angewiesen. (…) Und dann fallen halt Konzertanfragen weg.“
Die andere Seite: Vielleicht erschaffen kreative Köpfe in diesen Zeiten ganz andere Formen von Konzerten und Kultur, die vorher noch niemandem eingefallen sind. „Es gibt in solchen Krisen immer Leute, die neue Ideen haben“, hofft Brückner. „Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass der Andrang an Kulturveranstaltungen und Zusammenkünften, das normale Leben und Genießen danach eher steigen wird.“ Dazu komme noch die massive Onlinepräsenz mit Live-Konzerten in Wohnzimmern. Da sieht Brückner eine „Riesenchance, weil wir den Leuten viel mehr Einblicke zeigen können – was wir spielen, wie unser Leben so aussieht.“ Viele klassische Musiker zeigten sich jetzt online. So schaffe man Neugier, „dass, wenn Corona zu Ende ist, viele sagen: Da kann ich doch mal vorbeigehen.“ Vielleicht könne die Krise so gesehen auch etwas Positives bewirken, „wenn man von den Geldschwierigkeiten absieht.“
Neue Erfahrungen sammeln
Selbst hat die 22-Jährige, die ihren Master in „Professional Performance“ im Bereich Solo-Geige macht, damit schon Erfahrungen machen können. „Es gab zwei Anfragen für Online-Konzerte, die ich hätte aufnehmen sollen, live. Das ging hier aber nicht, weil ich zu Hause langsames Internet habe.“ So schwenkte sie um, nahm an einem Online-Wettbewerb des „Duo Klier“ aus England teil und nahm sich selbst dazu mit zwei verschiedenen Klangpartien auf. „Das war gar nicht so einfach, das hat gut zwei Tage gedauert, bis es funktioniert hat.“ Zwar habe sie schon erste Studioaufnahmen gemacht, „aber da war ich nicht mein eigener Toningenieur“, um erst die Solopartie und dann das Pizzicato von Vittorio Monti „Czardas“ aufzuzeichnen.
„Da habe ich neue Erfahrungen mit gemacht“, was Technik angeht, aber auch ihr eigenes Spiel, wie man sich als Duo-Partner fühlt. Das Problem sei gewesen, die Melodie einzuspielen und sich dann damit zu begleiten. „Wenn andere Musiker das sehen, werden sie sicher motiviert. Man muss sich neue Aufgaben suchen, um den Alltag zu meistern.“ Und da das Duo Klier sie als Favoritin ansieht, so Brückner, wollen sie ihr ermöglichen, ein weiteres Video zu machen und zu teilen, um so auf sie aufmerksam zu machen.
Senioren freuten sich über die musikalische Darbietung
Am morgigen Donnerstag spielt sie mit ihrem Konzertpianisten Roman Salyutov zu Hause sechs Mozart-Sonaten ein. Die sind für die Langenfelder „Weik-Stiftung“ bestimmt. Diese Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, für Menschen mit Behinderung den Zugang zu Musik über Online-Aufnahmen zu ermöglichen. Daneben bietet Brückner Pflege- und Seniorenheimen an, für die Bewohner klassische Musik zu spielen. „Da stehe ich im Innenhof, da werden alle Fenster aufgemacht und die Leute stehen dann da und hören zu.“ So geschah es auch am vergangenen Sonntag am „Regina Pacis Haus“ in Kevelaer. „Sehr rührend war: Ich stieg aus und da saßen ein paar Seniorinnen schon bereit. Und als ich da vorbei ging mit Sicherheitsabstand, sagte eine Dame: Ich finde es ja toll, dass Sie sich in dieser Zeit Zeit für uns nehmen.“
Und das Feedback nach dem Konzert war toll. „Die waren so begeistert. Das Ziel war, dass sie mal alles vergessen können, was so läuft zur Zeit – in Erinnerung schwelgen, an die Familie denken können.“ Da sei auch die eine oder andere Träne geflossen. „Und danach saßen fast alle mit einem Strahlen da.“ Es habe den Menschen gutgetan, das Thema Corona gedanklich kurz beiseitezuschieben. „Da war eine Dame, die wollte, dass ein Stückchen davon auf ihr Handy aufgenommen wird. Das ist ja toll, wenn sie das am Abend im Bett nochmal sieht und damit einschläft.“ Daran habe man gesehen, wie überflüssig die Debatte über den Sinn von Kunst und Musik und der Zahlung von Geld an Künstler sei. „Wie die Leute in dieser Zeit auf eine halbe Stunde Musik reagieren, da eine halbe Stunde Pause für sich haben, da sieht man, was das in Menschen auslöst. Eine bessere Heilung für die Seele gibt es nicht“, sagt die Musikerin. Und ihr habe es Freude gemacht, „die Musik zu nutzen, nicht nur, um perfekt zu spielen und um Leistung zu zeigen, sondern die Musik zu nutzen für die Leute, die es schwer haben.“ Insgesamt liegen ihr ein weiteres halbes Dutzend Anfragen aus Geldern, Straelen und Kevelaer vor, die sie in der kommenden Woche wahrnehmen möchte.