Leidenschaft und Liebe in Bildern

Kevelaer. Noch war niemand ans Rednerpult getreten, noch kein Wort der offiziellen Eröffnung oder Einführung gesprochen, da verbreitete sich die Nachricht schon, fast ehrfürchtig geflüstert: Neuer Besucherrekord, noch nie seien bei der Eröffnung einer Kabinett-Ausstellung im Niederrheinischen Museum in Kevelaer so viele Menschen da gewesen. Das mag in zweifacher Hinsicht erstaunen: Einerseits kann der Künstler als weitgehend unbekannt gelten, andererseits hat er erst in den letzten Jahren vor seinem Tod Beziehungen Richtung Kevelaer geknüpft.
Dass Heinz Henschel dennoch posthum so etwas wie ein Star in der Kunstszene werden könnte, liegt vielleicht daran, dass er das nie beabsichtigte. Dass er auf nicht geklärte, in jedem Falle aber großteils autodidaktische Weise zu einer künstlerischen Reife fand, die selbst die Experten im Kevelaerer Museum und darüber hinaus immer wieder in Erstaunen versetzt. Dass er unfassbar detailreich arbeitete, zugleich aber auch eine schier unglaubliche inhaltliche Breite abdeckte.
Im Kevelaerer Museum sind nun erstmals rund 100 seiner Werke öffentlich ausgestellt. Die Reaktion des Publikums bei der Eröffnung war weitgehend einheitlich: Die Besucher wollen wiederkommen. Denn mit diesen Bildern will sich jeder länger, intensiver befassen.
Die Ausstellungs-Kuratorin und designierte Museumsleiterin Veronika Hebben fasst das unfassbar umfassende Werk Heinz Henschels so zusammen: „Es sind Werke, die aus Leidenschaft an der Kunst und Liebe zum Handwerk entstanden sind.“ Doch dann ist es auch schon vorbei mit der großen Klammer, die das Unfassbare naturgemäß nie ganz zusammenhalten kann: „Präzision, Detailverliebtheit, Farbigkeit, Vielfalt und Vielschichtigkeit sind nur einige Begriffe, die auf das Werk dieses lange unbekannten Künstlers passen.“ Die Reihe lasse sich fast beliebig erweitern. „Wir haben das Glück, dass wir einen sehr guten Einblick in dieses Werk erhalten können, es liegt uns fast vollständig vor.“ Rund 1300 Objekte sind erhalten. „Jedes einzelne Blatt gilt es zu entdecken, jedes ist auf seine Art einzigartig., auch wenn sich Schwerpunkte in der Motivik zeigen.“
Herausforderung für Mensch und Museum
Man ahnt die Herausforderungen für Matthias David, den „Gralshüter“ Henschels, als den ihn Museumsdirektor Burkhard Schwering bezeichnete, wie für die Macher des Kevelaerer Museums wie Veronika Hebben, der von Anfang an klar war: „Wir müssen ihn zeigen.“ Nach Motivgruppen geordnet, sind rund 100 Drucke und Zeichnungen Henschels im Museum zu sehen, dazu die selbstgebaute Druckpresse, einige Objekte, Druckplatten und Werkzeuge. Das mag überschaubar klingen. Doch die Werke selbst sind es, die den Besucher vor eine Herausforderung stellen: Man wird Mühe haben, die scheinbar unendliche Detailfülle der Werke annähernd zu entdecken. Doch auch das hat einen großartigen Effekt, denn man setzt immer wieder neu an, nimmt eine Lupe zu Hilfe, wie es auch der Künstler Heinz Henschel tat, macht an anderer Stelle weiter, entdeckt neue Details – und immer wieder auch freie Flächen. Hat der Künstler sie absichtlich frei gelassen?
Nicht die einzige Frage, die sich bei der bewussten Betrachtung stellt. Einige Bilder erschließen sich schnell, Schiffsmotive, Darstellungen indigener Völker oder auch Porträts. Aber: „Wundern Sie sich nicht, wenn Sie unbekannte Symbole entdecken“, sagt Veronika Hebben, „er schuf seine eigene Symbolschrift, die mittlerweile auch entschlüsselt ist.“
Auf eine Beschriftung der Werke hat man im Kevelaerer Museum verzichtet. Das gibt die Möglichkeit, diesen unbekannten Künstler Heinz Henschel quasi ,auf eigene Faust‘ zu entdecken. Einen dürren Lebenslauf gibt es, Erläuterungen von Gerd Baum zu seiner künstlerischen Entwicklung.
Mit Herz und Verstand
Wer versucht, sich mit Herz und Verstand diesen gezeigten Werken zu nähern, der wird manchmal am Verstand zweifeln, ob der Akribie und des Zeitaufwandes, den das Gezeigte erfordert haben muss. Aber ihm wird auch das Herz aufgehen in einem Kosmos von Farben und Formen, die er in dieser Zusammenstellung noch nie gesehen hat. Irgendwann kommt man dahin, wo Heinz Henschel wohl aufhörte, weil ihn der Tod einholte: In einer Fantasiewelt, die er für sich selbst erschuf – und in die uns heute das Kevelaerer Museum in so liebevoller Form einen Einblick gewährt.