Anspruchsvolle Hochkultur

Stimmungsvolles Licht, ein paar kleine Tische mit Stühlen, eine kleine Bar für die Getränke – es war ein sehr intimes Ambiente und ein dementsprechend passender Rahmen in dem „Salon Löwenthal“ für die Musik der kommenden eineinhalb Stunden.

Gastgeber Tom Löwenthal begrüßte die gut 50 Gäste – darunter einige Freunde aus Holland und Mitglieder seines von ihm dirigierten „Theaterchores Niederrhein“ – zu diesem besonderen Abend, der Klaviermusik und Gesang zu bieten hatte, die man in dieser Form sicher eher seltener in der Marienstadt hört.

Zu dem Ereignis hatte der Pianist und Dirigent die Mezzosopranistin Daniela Rothenburg eingeladen, die sonst dem Publikum in Kevelaer nur als Jazzsängerin im „Goldenen Apfel“ bekannt ist.

In der DDR

„Ich habe von Eisler ganz viel in der DDR in der Schule gelernt“, bekannte die in Dortmund lebende Sängerin in der Pause. „Aber heute sehe ich das distanziert, versuche mich in die Zeit zurückzuversetzen und das persönliche Schicksal zu beschreiben“, zeigte sie sich von den „so schönen Melodien des verkannten Komponisten“ Eisler begeistert.

Ihr kongenialer Partner an diesem Nachmittag war der Baritonsänger Wolfgang Baumann, der die bedrückende Einstiegsrede hielt. „Die Erarbeitung des heutigen Programms (..) hat uns beklemmend deutlich gemacht, dass wir uns in einer ähnlichen Situation befinden wie zur Zeit der Weimarer Republik“, lautete sein Befund zu Beginn.

„Viele Menschen suchen und finden einfache, aber bei weitem nicht immer richtige Antworten auf komplexe Fragen. Rechte Populisten, Ignoranten und Hetzer gewinnen an Macht durch Wählerstimmen bei demokratischen Wahlen“, unterstrich er die Botschaft der Lieder Eislers.

„Wir sind uns sicher, dass die Demokratie nicht selbstverständlich ist und kostenlos zu haben ist. Sie kostet uns Zivilcourage und selbstverständlich den Mut, sie jeden Tag wehrhaft zu verteidigen“, rief er das Publikum dazu auf.

Dermaßen vorbereitet, katapultierte das Trio Bergmann/Rothenburg/Löwenthal mit dem Bild Wilhelms II. zwischen sich die Zuhörer zurück in der Zeit.

Rothenburg beschrieb mit den von Kurt Tucholsky verfassten Texten in „Der Graben“ die Bitterkeit des ersten Weltkriegs 1916 („Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben, für das Grab, Kameraden, für den Graben.“) und in „Rückkehr zur Natur“ die Bruchlosigkeit der Weimarer Zeit , wo „noch die alten Bürokraten, die alten Richter und die Traditions-Soldaten“ eine Rolle spielen.

In dieselbe Richtung ging Baumann mit „Gustav Kulkes seeliges Ende“ – und wunderbar beißend transportierte er die radikale Kapitalismuskritik in der „Ballade von den Säckeschmeißern“ aus dem Jahr 1930.

„Für Eisler war zu diesem frühen Zeitpunkt die Emotionalität der Schlüssel zum Verständnis seiner Musik und zu den Menschen“, schlug er die Brücke zur Biographie Eislers, dessen Trennung vom Mentor Arnold Schönberg, den Reisen in die Sowjetunion und der Zusammenarbeit mit Ernst Busch.

Immer dichter und düsterer vollzog sich der Wandel zur Vorkriegs-und NS-Zeit mit den Kampfliedern Eislers und dem von Baumann unfassbar intensiv vorgetragenen „Fallada“-Lied mit Brechts Text von dem bei lebendigem Leibe aus Hunger von den Massen zerschnittenen Pferdes.

Auch Rothenburgs Vortrag machte still – vom „Lied vom SA-Mann“ bis zum „Lied einer deutschen Mutter“ und der gesanglich stark ausgedeuteten „Ballade von der Judenhure Marie Sanders“ von 1933 mit den beklemmenden Brecht-Zeilen „Im Hemd, um den Hals ein Schild, das Haar geschoren. Die Gasse johlte. Sie blickte kalt.“

Harter Tobak

In der Pause sprach man vereinzelt schon von „hartem Tobak“ und der großen Wucht der Lieder, die eigentlich jedes Mal eine Pause des Nachdenkens verdient gehabt hätten.
Nach der Pause setzte sich diese dramatische musikalische Erzählform beider Sänger – brilliant am Klavier begleitet – fort.

Fast prophetisch wirkten die Zeilen „Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne der Mächtigen kommen am Ende zum Halt“ im „Lied der Moldau“. Das „Lidicelied“ bezog sich auf die Vernichtung eines tschechischen Dorfes durch die Nazis 1942. Und beeindruckend wirkte auch die visionäre Beschreibung einer „Heimkehr“ („Feuersbrünste gehen dem Sohn voraus.“).

Auch die Eisler-Phase des „real existierenden Sozialismus“ mit dem Honecker-Bild, dem von Daniela Rothenburg kämpferisch vorgetragenen „Ohne Kapitalisten geht es besser“ und Baumanns „Anmut sparet nicht noch Mühe“ konnte das Trio überzeugend rüberbringen.

Mit der DDR-Flagge und der Nationalhymne „Auferstanden aus Ruinen“ endete die Eisler-Zeitreise, der Abend mit einer kulinarisch dazu passenden „Soljanka“ und einem nachhaltig beeindruckten Publikum.

Am treffendsten brachte das der Fördervereinsvorsitzende des Niederrheinischen Museums und CDU-Politiker Peter Hohl auf den Punkt: „Das war echte Hochkultur – und in der Hinsicht das Beste, was ich in diesem Jahr gehört habe.“