Wenn die Physiker in der Zukunft angekommen sind…

Kevelaer. Das Bühnenbild deutete es schon an: Wohl selten hat jemand eine klassischerweise verquaste Dürrenmatt-Vorlage derart gradlinig verschlankt, wie es das Rheinische Landestheater Neuss mit den Physikern tat. Und dass das klappt, ohne die dramaturgisch wichtigen Ecken und Kanten des Stücks zu verbiegen, wussten vor allem die zahlreichen, an zeitlich begrenzte Aufmerksamkeitsintervalle gewöhnten Schülerinnen und Schüler im Publikum zu schätzen. In weniger als anderthalb Stunden Spielzeit plus Pause war das Thema der Weltrettung minus der drei zuvor ermordeten Krankenschwestern grob gerechnet durch und das Bühnenhaus am Dienstagabend wieder von Wahnsinnigen befreit. Aber die Köpfe der zahlreichen, meist jugendlichen Zuschauer noch lange nicht, denn das Paradestückchen Theater um Weltformel, Weltzerstörung, Weltrettung und Wissenschaft hallt in jedem nicht ganz hohlen Kopf trotz der reduzierten Fassung immer noch lange nach.
Mit beinahe wissenschaftlicher Akribie sezierten Reinar Ortmann (Inszenierung) und Anna-Lena Schulte (Dramaturgie) die Szenen und reduzierten diese auf ihre Grundbausteine. Ein sehr gutes Ensemble nahm die gelegten Spuren auf und arbeitete die Figuren und ihre jeweiligen Aufgaben stringent aus. Fast schon klinisch wirkte diese Umsetzung der komödiantischen Vorlage, und passte sich damit dem Spielort, einem Sanatorium, auf eine ganz besondere Weise gekonnt an.
Vielleicht mag mancher diese klinische Reinheit, das Weiße im Auge des Betrachters, als zu hell und gleichzeitig zu erleuchtet betrachten. Die verspielte Muffigkeit, die Dürrenmatt in den 1960er Jahren in seine Szenerien und Charaktere projiziert, wurde vollends von der Bühne gefegt und durch fast schon zu Science-Fiction-artige Anmutung ersetzt. Eine sehr moderne Art, mit klassischen Fragen umzugehen, das sei zugegeben, doch so lange es um Mensch und Intellekt in der Wissenschaft geht, mag man das Gezeigte sicherlich als Laborsituation darstellen können. Zumal, wenn Regie und Schauspieler sichtlich Freude daran haben, dem ,ollen Dürrenmatt‘ ein wenig Zukunftsfähigkeit – und damit deinem Klassiker gleichzeitig ein wenig Unvergänglichkeit – einzuhauchen.
Die Idee, die hinter der Inszenierung steckt, ist mehr als eine Modernisierung eines Klassikers für ein junges Theaterpublikum. Und es machte viel Spaß, dieses frisch polierte Urgestein des Sprechtheaters anzusehen.