Vorweihnachtlicher Vortragsabend im Goldenen Apfel

Kevelaer. Eine beeindruckende Lesung mit Texten von Erich Kästner, James Krüss, Heinz Erhardt und zeitgenössischen Schriftstellern wurde im Hotel Goldenen Apfel geboten. Der vorweihnachtlichen Abend, den der ehemalige Lehrer Willi Caelers aus Bochum den gut 40 Zuhörern bot, war erstklassig und sorgte neben lustigen Passagen überwiegend für einen zeitkritischen Blick auf Weihnachten. Zunächst gab Caelers einen groben Überblick über das Leben von Kästner und dessen Sicht auf das Christfest.
Erich Kästner, der ein inniges Verhältnis zu seiner Mutter hatte, konnte die gemeinsamen Weihnachten in der Familie kaum ertragen. „Oh wie schön wäre es gewesen, wenn ich alleine mit den Geschenken gewesen sei.“ Denn er musste als „Zeremonienmeister“ verhindern, dass ausgerechnet am Weihnachtstag die offensichtlich zerbrochene Ehe zwischen seinen Eltern (er selbst war noch nicht einmal seines Vaters Kind, sondern das des jüdischen Sanitätsrates Dr. Emil Zimmermann) in einer Explosion endete. Kästner war schon als junger Schriftsteller ein zeitkritischer Geist. Caelers zitierte „Die Entwicklung der Menschheit“: „Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt, behaart und mit böser Visage. Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt und die Welt asphaltiert und aufgestockt, bis zur dreißigsten Etage… Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn, in zentralgeheizten Räumen. Da sitzen sie nun am Telefon. Und es herrscht noch genau derselbe Ton wie seinerzeit auf den Bäumen.“
Kästner erkannte um 1930 den sozialen Sprengstoff, der, nicht nur in Deutschland, von der Armut breiter Schichten ausging und der heute nicht weniger aktuell zu sein scheint. Er textete dagegen: „Lieber, guter Weihnachtsmann, weißt du nicht, wie‘s um uns steht? Schau dir mal den Globus an. Da hat einer dran gedreht…. Lege die Industriellen kurz entschlossen übers Knie. Und wenn sie sich harmlos stellen, glaube mir, so lügen sie.“ Und in Abwandlung („chemisch gereinigt“) eines Weihnachtsliedes: „Morgen, Kinder, wird’s nichts geben! Nur wer hat, kriegt noch geschenkt. Mutter schenkte Euch das Leben. Das genügt, wenn man’s bedenkt. Einmal kommt auch eure Zeit. Morgen ist’s noch nicht soweit…“
Das Gedicht von Sigrid Heuer, welches Caelers vortrug, beschäftigte sich, in Abwandlung des Gedichts von Freiherr Josef von Eichendorff, zeitkritsch mit unserer Konsumgesellschaft: „Markt und Straßen, volle Gassen, hell erleuchtet jedes Haus, hektisch strömen Menschenmassen, nirgends sieht es festlich aus. All die Fenster haben Frauen oder Männer reich bestückt, nicht, damit die Kinder schauen, nein, damit der Umsatz glückt! … Und ich wandre aus den Mauern bis hinaus ins freie Feld. Denke traurig mit Bedauern, wie so arm doch ist die Welt!“
Aber der ehemalige Lehrer aus dem Ruhrgebiet ließ auch die Lachmuskeln ihre Aufgabe wahrnehmen. Bei James Krüss „Frieda die Letzte“ („Will das müde Jahr sich neigen, und der Winter kommt ins Land, fallen Blätter von den Zweigen und die Fliegen von der Wand…“), Loriots „Advent“ („…In dieser wunderschönen Nacht hat sie den Förster umgebracht. Er war ihr bei des Heimes Pflege seit langer Zeit schon sehr im Wege…“) oder von Heinz Erhardt „Ostern mit Humor“ („Wer ahnte, dass zum Weihnachtsfest
Cornelia mich sitzen lässt?…“) und „Eine Weihnachtsgans“ (Tiefgefroren in der Truhe liegt die Gans aus Dänemark.Vorläufig lässt man in Ruhe sie in ihrem weißen Sarg…“), erschallte herzhaftes Lachen durch den ganzen Gastraum.
Zum Abschluss gab Caelers eine Antwort von Rolf Krenzer auf die Frage: „Wann fängt Weihnachten an? Wenn der Schwache dem Starken die Schwäche vergibt, wenn der Starke die Kräfte des Schwachen liebt, wenn der Habewas mit dem Habenichts teilt, wenn der Laute mal bei dem Stummen verweilt und begreift, was der Stumme ihm sagen will, wenn der Leise laut wird und der Laute still, wenn das Bedeutungsvolle bedeutungslos, das scheinbar Unwichtige wichtig und groß, wenn mitten im Dunkel ein winziges Licht Geborgenheit, helles Leben verspricht, und du zögerst nicht, sondern du gehst, so wie du bist, darauf zu, dann, ja dann fängt Weihnachten an.“