Die Suche nach der Begegnung

Liebe Leserinnen und Leser, wir stehen kurz vor dem Weihnachtsfest und das gibt mir die Gelegenheit, mit Ihnen einige Gedanken bezüglich dieses schönen Festes, das uns seit Kindesbeinen an bewegt, zu teilen. Ich beginne mit einem kurzen Wort, was uns Klaus Hämmerle geschenkt hat, der frühere Bischof von Aachen:

„Eine Krippe hinter der Tür. Glauben wir an die Krippe hinter der Tür des Anderen? Und klopfen wir geduldig, freundlich und zugleich eindringlich an seine oder ihre Türe? Doch vergessen wir dabei nicht auch den Schlüssel in unserer Tür umzudrehen, um öffnen zu können? Und wenn wir glauben, ihn verloren oder verlegt zu haben, unterlassen wir dennoch nicht, ihn zu suchen. Er ist da. Lässt sich finden.“ Er lässt sich finden.

Ich stehe hier an der Krippe, die einen Szene im Moment darstellt, Maria und Elisabeth, die einander begegnen, menschliche Wärme schenken. Beide haben ein Kind in ihrem Leib. Er lässt sich finden, dieser Schlüssel zur Begegnung zum Anderen. Ja, das kann wirklich Weihnachten sein. Den Schlüssel zu finden, einem Anderen zu begegnen.

Dass das gar nicht so einfach ist und dass uns manchmal auch etwas verloren gehen kann, das habe ich selber vor einigen Jahren sehr eindrucksvoll erleben dürfen. Es gibt so ein ganz festes Ritual für mich: Am 23. Dezember jeden Jahres, wenn alles fertig ist und eigentlich das Fest schon ganz kurz bevorsteht, dann marschiere ich runter in den Keller, hole meine alte Weihnachtskiste raus. Und in der Weihnachtskiste sind etliche Utensilien, weihnachtliche Utensilien.

Und an einem Abend an einem Weihnachtsfest vor einigen Jahren war alles aufgestellt und aufgebaut. Mein Weihnachtsbaum erleuchtete schon die weihnachtliche Stube. Der Krippenstall stand unter dem Baum. Und ich habe angefangen, die Krippenfiguren, die alten Krippenfiguren, die ich seit vielen, vielen Jahren habe, vom Weihnachtspapier zu lösen und aufzustellen. Alles war fertig. Aber eine Figur fehlte. Das Jesuskind. Mir war das Jesuskind abhanden gekommen.

Alles Suchen und Nachdenken half nichts mehr und ich bin auch einigermaßen traurig ins Bett gegangen und irgendwann war er da, dieser Weihnachtsmorgen. Und mit diesem Weihnachtsmorgen ein heller Moment: Ich erinnerte mich daran, dass ich im Sommer des gleichen Jahres eine Predigt gehalten hatte für meine Kommunionkinder.

Ich hatte mein Kommunionkreuz auf der einen Seite mitgebracht und das Jesuskind auf der anderen Seite. Krippe und Kreuz. Ich bin wieder in den Keller marschiert, habe die Kommunionkiste aufgemacht und inmitten meiner Kinderbilder der Kommunionkinder des letzten Jahres fand sich auch Jesus. So konnte mein privates Weihnachtsfest doch noch mit ihm in der Krippe stattfinden.

Aber ich habe abends, nachdem ich mit guten Freunden zusammen gegessen hatte und ich die Liturgie gefeiert hatte, noch lange vor meiner weihnachtlichen Krippe gesessen und an die vielen Menschen gedacht, denen in ihrem Leben Jesus manchmal weit weg ist.

Menschen, denen Jesus verloren gehen kann. Aber ich habe mich auch daran erinnert, dass es stimmt, was diese Tür dort sagt: Dass wir Neuland betreten, indem wir Türen öffnen und manchmal das Verlorene suchen. Jesus hat uns das ja selber gesagt, dass er nicht auf die Welt gekommen ist, um irgendwie Gerechten nahe zu sein, vielleicht Selbstgerechten, sondern dass er auf diese Welt gekommen ist, um das Verlorene zu suchen.

Und da sind wir wieder bei der weihnachtlichen Krippe. Wenn wir Weihnachten hier zusammenstehen werden, wird sie ganz aufgebaut sein. Und da steckt auch viel von dieser Verlorenheit drin. Da ist vielleicht jener Strohhalm, an den sich jemand klammert, weil es nichts anderes mehr gibt. Da hat jemand vielleicht in diesem Jahr geackert wie ein Ochse, aber er hatte den Eindruck, es war umsonst. Oder dass vielleicht eine Frau, die Last der Familie so sehr trägt – ich sag jetzt mal: wie ein Lasttier, wie ein Esel. Und manchmal haben wir das Gefühl, dass wir darunter zerbrechen können.

All das lehrt uns die weihnachtliche Krippe und mittendrin Jesus. Und auch wenn wir manchmal meinen, er geht uns verloren, dann ist er genau da mittendrin. Geboren in einem Stall. Und ganz ehrlich, auch wenn es mit Blick auf Weihnachten ein wenig provokativ ist, ich bin ich mir sicher, in diesem Stall von Bethlehem, da roch es weder nach Lagerfeld noch nach Gucci, noch nach Nina Ricci und was sie sonst so einzupacken mögen zu Weihnachten. Ich gönne Ihnen diese Düfte von Herzen, aber der Stall von Bethlehem riecht anders.

Dass was nicht gut riecht, dass was schwierig ist im Leben, dass was zerreißt und zerbricht, das dürfen wir mit vollem Vertrauen jenem Kind im Stall, in der Krippe hinhalten in dem Wissen darum, dass er deshalb geboren ist. Und deshalb braucht Jesus auch keinen Ort wie ein Fünf-Sterne-Hotel. Ihm reicht, glaube ich, der eine Stern, der darüber leuchtet.

Und dass Sie diesen Stern, der darüber leuchtet, auch immer wieder neu entdecken dürfen – vielleicht, wenn Sie mal das Gefühl haben, ihn verloren zu haben –, das ist mein tiefster Wunsch für Euch und Sie alle an diesem Weihnachtsfest. Deshalb darf ich Ihnen, auch im Namen unserer schönen Wallfahrtspfarrei, die Freude und den Frieden des Weihnachtsfests wünschen, Ihnen, Ihrer Familie und den Menschen, mit denen Sie sind.

Nehmen wir die mit rein, von denen wir wissen, dass es ihnen in dieser Zeit vielleicht nicht gut geht. Die unser Beten und Denken brauchen. Und wenn Sie – vielleicht, egal von wo – jetzt diese Ansprache lesen, dann darf ich Ihnen zusichern, dass ich am Weihnachtsabend hier an der Krippe, aber auch daheim in meiner Weihnachtsstube an Sie denke und auch für Sie bete. Frohe Weihnachten!