Meine geflüchtete Familie

„Schatz, wir sind doch nicht auf der Flucht!“ Wie oft haben wir diesen Satz schon ausgesprochen, wenn wir es mal wieder eilig hatten oder der eine bei der gemütlichen Fahrradtour etwas heftiger in die Pedale trat als der andere. Wir sind nicht auf der Flucht – Gott sei Dank! Wir haben ein gemütliches Zuhause und ein friedliches Leben. Das ist in unserer Welt gar nicht so selbstverständlich – und war es auch noch nie.

Wir gehören zu der Generation, deren Eltern noch den Krieg erlebt haben. Mein Vater war als Soldat weit weg von seinem Zuhause, musste seine vertraute Umgebung und die ihm nahestehenden Menschen auf unbestimmte Zeit verlassen. Es gab keine Gewissheit, ob er diese jemals wiedersehen würde. Es ist gut gegangen! Anderenfalls wäre ich jetzt nicht auf der Welt.

Mein Schwiegervater flüchtete mit 18 Jahren aus der DDR, saß deshalb sogar im Gefängnis. Ganz allein machte er sich auf den Weg in den Westen – in eine unbestimmte Zukunft. Es ist gut gegangen!
Meine Schwiegermutter musste im Krieg ihre Heimat verlassen. Der Weg von Ostpreußen bis in den Westen Deutschlands war weit und alles fremd. Niemals hat sie ihre alte Heimat wiedergesehen. Es ist gut gegangen!

Und meine Mutter wurde im Krieg zusammen mit ihrer Mutter evakuiert, die restliche Familie verstreut. Ungewiss war, ob man sich jemals wiedersehen würde und ob die Stadt, aus der man kam, noch existierte. Sie verlor ihren Bruder, aber sonst ist auch das gut gegangen.

Für viele andere Menschen ist das nicht gut gegangen, sie haben großes Leid erfahren. Sie haben die Flucht nicht überlebt und hatten nicht das Glück, von ihren Mitmenschen aufgefangen und beherbergt zu werden.

Das alles ist lange her, aber trotzdem ist das Thema allgegenwärtig. Mitten unter uns leben inzwischen viele Menschen, die einen ähnlichen Weg hinter sich haben. Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben in eine ungewisse Zukunft.

Als wir die geflüchtete Familie kennenlernten, sprachen sie kein Wort Deutsch und auch kein Englisch. Wie sollte das gehen? Es ging! Mit Händen und Füßen, mit Theater und Malen, mit allem, was uns gerade einfiel, konnten wir uns langsam immer mehr verständigen. Wir lernten genau wie sie eine fremde Welt kennen, die für uns nicht einfach war zu verstehen. Und ganz langsam entstand ein vertrauensvolles Mitein­ander.

Es ist etwas ganz anderes, in den Medien von Flucht, Not und Gräueltaten zu hören und zu lesen, als es von Mensch zu Mensch zu erspüren. Welche Not steckt dahinter, wenn man sich mit vier Kindern, darunter ein Baby, auf den Weg macht in eine ungewisse Zukunft? Es ist gut gegangen!

Vor drei Jahren kamen sie hier an und wurden konfrontiert mit einer völlig fremden Kultur und Sprache. Sie waren unsicher und angewiesen auf die Unterstützung ihnen ganz fremder Menschen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als diesen Fremden zu vertrauen.

Die Kinder lernten schnell und haben sich mittlerweile gut integriert – Schule, Kindergarten, Sportverein – es läuft. Und auch die Erwachsenen machen Fortschritte, die Sprache wird besser und auch der Alltag wird bewältigt.

Viele Menschen haben geholfen und mit daran gearbeitet, dass dieser Familie das Leben in der Fremde gelingt, und das macht mich unglaublich froh. Denn es ist ein Zeichen der Hoffnung. „Meine“ geflüchtete Familie hat nicht aufgegeben. Dieses Vertrauen, dass es gut gehen wird, hat sicherlich auch mit dem Glauben zu tun, der immer wieder aufs Neue Kraft gibt.

Denn auch hier holt sie die Not in ihrer Heimat ein, durch die Berichte im Fernsehen, aber auch durch schlimme persönliche Nachrichten, die sie per Handy aus aller Welt erreichen. Denn ihre Angehörigen sind über viele Länder verstreut. In diesem Fall ist es ein Segen, dass es die modernen Medien gibt, ansonsten wäre es kaum möglich, in Kontakt zu bleiben.

Flucht, Vertreibung, Krieg und Gewalt ziehen sich durch die ganze Menschheitsgeschichte und machen auch vor dem Heute nicht halt. Der Einzelne kann nicht die ganze Welt retten, aber jeder kann etwas tun, um in kleinen Schritten etwas zu bewegen. Nicht aufgeben und darauf vertrauen, dass es gut gehen wird. So wie Maria und Josef, als sie sich auf den Weg machten an den Ort ihrer Geburt, um gezählt zu werden. Die Not war groß, als sie keine Herberge fanden, aber da waren auch Hoffnung und Vertrauen. Und damals ist es auch gut gegangen.