Das Christkind antwortet

„Ich hätte auch noch Spekulatius“, eröffnet Andrea Hoen­selaer mit einem Lächeln das Gespräch über die Kinderbriefe. „Das hier, das sind die letzten Briefe vor dem Urlaub“, verweist die 48-Jährige auf die letzten Exemplare der liebenswürdig verfassten Christkind-Schreiben und zeigt mir den grünen Bogen, der an mich gerichtet ist und worauf „Lieber Alexander“ oben zu erkennen ist.

Das Christkind, das sei eine Phantasievorstellung, „und jedes Kind hat seine Vorstellung, wie das Christkind ist. Das wollen wir den Kindern auch erhalten“, unterstreicht die hochgewachsene Stadtmarketing-Mitarbeiterin. Ein E-Mail-Konto – nein, das habe das Christkind noch nicht. Am Krippenmarkt steht eine Briefbox, wo die Kinder ihre Wunschbriefe hineinwerfen können – und auf die sie dann vom „Christkind“ eine Antwort erhalten. „Wir denken hier die Briefe aus und setzen uns zu Hause hin und schreiben sie dann, verzieren sie mit Weihnachtssternen und so was“, erzählt sie. „Wir schreiben den Umschlag mit kindgerechter Post und schicken den mit der Adresse dann raus.“

Idee aus den 1970ern

Die Idee zu dem Ganzen müsse irgendwann in den 1970er Jahren entstanden sein. „Da gab es ,Das große Weihnachtsbuch‘ vom Otto-Versand mit Liedern in altdeutscher Schrift und darin befand sich auch ein Christkindbrief mit Wunschzettel“, erzählt Hoenselaer und blättert ein Exemplar und die richtige Seite dazu auf. „Noch heute bekommen wir Briefe mit diesem Wunschbrief-Konterfei“, schmunzelt sie. Anscheinend kopierten Schüler und Lehrer die Seite in der Grundschule heraus und organisierten dann eine Aktion, bei der jedes Kind etwas schreiben könne, lautet ihre Vermutung. Damals durften Kinder noch einen Rückumschlag mit 60-Pfennig-Briefmarke beilegen.

Hoenselaer selbst hat 1992 für den Fachbereich mit den Briefen angefangen. „Davor waren es Maria Pooth und Ute Kruss, die werden das da wohl schon betreut haben.“ Das Ganze sei eine Aktion des Verkehrsvereins, „wobei wir eng miteinander verzahnt sind.“

Im Schnitt seien es so 400 bis 600 Teilnehmer pro Jahr. Das macht über die letzten vier Jahrzehnte geschätzte 24 000 Briefe – eine stolze Summe. „Wenn dafür geworben wird, kommen noch mehr Briefe. Letztes Jahr hatten wir extremen Schnee, da waren es weniger.“

Die ganzen Briefe sortierte man dann zuhause. „Eine Kollegin hatte mal die ganze Küche voller Glitter“, schmunzelt Hoenselaer, „ein Kind hatte im Kuvert für das Christkind Glitter eingepackt.“ Oft fänden sich bei den Botschaften auch Schokolade oder andere Süßigkeiten für das Christkind. „Und die Briefe an sich sind schon Kunstwerke“, meint sie mit Blick auf den ausgebreiteten Stapel auf dem Tisch.

Alle Briefe seien handgeschrieben, „manchmal auch von den Großeltern, wenn die Kinder noch nicht so weit sind“, erzählt Hoenselaer. Pauschbilder, Aufkleber, Glitterpappe, ganz viel Selbstgemachtes finde sich bei den Wunschbriefen wieder. „Die schneiden Beilagen zusammen mit Elementen aus Heften, solche Sachen.“ Sie sei jedesmal fasziniert von der Kreativität. „Das ist toll, dass es ein Ritual gibt, bei dem Eltern und Großeltern gemeinsam mit den Kindern nachdenken und das zum Bestandteil ihrer Adventszeit machen.“

Typisch sei, dass die Kinder oft schrieben: „Ich wäre froh, wenn ein paar meiner Wünsche sich erfüllen.“ Bei der Gestaltung der Wünsche werde also schon mit den Kindern gesprochen. „Da wird schon klar, dass es nicht allen Kindern gut geht, und ihnen wird bewusst, dass nicht alle ihre Wünsche erfüllt werden können.“

Auch finden sich Formulierungen wie „Ich will, dass es meiner Familie und meinen Freunden gut geht“ oder „Bestell meiner Oma und Opa im Himmel schöne Grüße.“ So gingen die Kinder mit solchen Situationen eben um.

Auch „Friede und Gerechtigkeit“ sei oft in den Briefen verstärkt zu finden. Kinder registrierten schon, was in der Welt so los ist. „Und das kommt ja auch nicht von ungefähr“, meint Hoen­selaer.

Was die „materiellen Wünsche“ angehe, würden Handys selten gewünscht. Mal sei eine Playstation dabei. Manchmal sei es nur ein besonderer Koffer für eine Reise, ein kleines Stofftier oder Dino-Figuren zum Ausmalen.

Wunsch- und Sorgenbriefe

Neben den vielen Wunschbriefen finden sich immer auch eine Handvoll „Sorgenbriefe“ in dem Stapel. „Die sind meist sogar von Erwachsenen, denen es gut tut, sich an eine Person zu wenden, der sie nicht nahestehen und der sie sich mitteilen können.“ In ihren Unterlagen findet sie das Schreiben einer 18-Jährigen. Darin steht: „Ich weiß ja, dass der Brief nicht ans Christkind geht, weil es das nicht gibt. Ich wünsche mir meine Mutter wieder lachen zu sehen.“ In solchen Fällen werden die Antwortschreiben vom „Christkind“ abgeändert, sodass eine persönliche Ansprache dabei rauskommt. „Du sorgst Dich um Deine Mutter – seid füreinander da. Lebt das ganz bewusst miteinander“, steht dann da. „Ich will ja Licht in die Situation bringen und aufbauen“, sagt Hoenselaer. In ganz, ganz seltenen Fällen nehme man tatsächlich schon mal Kontakt auf.

„Ein Kind wollte, dass das Christkind bei Papa im Himmel vorbeigeht“, schildert Hoenselaer ein anderes Beispiel. Der Brief sei sicher auch ein Stück weit von der Mutter, vermutet die Briefefee. „Im Herzen ist man immer füreinander da und Deine Mana ist immer da!“, lautet hier der Versuch eine versöhnlichen Antwort.

Briefe wie solche seien aber nicht immer so einfach zu „verpacken“. Man spüre halt da die Traurigkeit durchschimmern, „und da vergießt man schon mal eine Träne.“ Und daran merke man: „Da muss man persönlich werden.“

Das hole einen auch selbst immer wieder aus diesem Stress raus, der in den letzten zwanzig Berufsjahren immer größer geworden sei. „Das ist auch viel Arbeit, aber da stöhnt keiner von uns drüber, weil es das wert ist.“ Schon im September stehe bei ihr im Kalender der Vermerk „Christkind“.

In der Regel fertigt sie den Brief vor, jedes Jahr etwas anders in der Gestaltung und auch in der Farbe. Dieses Jahr ist es grün. Eine Kernbotschaft steht immer drin: „Nicht nur Geschenke sind wichtig zu Weihnachten, sondern füreinander da sein. Nehmt euch Zeit miteinander.“ Und: „Es ist wichtig, immer Respekt voreinander zu haben.“ Der Brief werde dann gemeinsam besprochen, bis der Feinschliff passt.

Weihnachten, das merke man an diesen Briefen, das sei mehr als nur Konsum, sagt die 48-Jährige „Und es ist so schön, dass man oft sieht, dass die Kinder der früheren Kinder schreiben. Es ist schön, dass die Idee so weitergegeben wird.“

Problematisch wird es nur, wenn wie in einem Fall sich ein Kind eine Brieffreundschaft mit dem Christkind wünscht. „Da hab ich geantwortet: Das Christkind hat über das Jahr so viel zu tun, das schafft das nicht.“ Die Kreativität der Kinder begeistere Hoenselaer. „Das wünsche ich mir manchmal zurück, dieses einfache logische Denken, diese Ursprünglichkeit.“