Wenn einer eine Reise tut…

Wilfried Schotten ist Kevelaerer – und Schottland-Kenner. Auch wenn sein Nachname selbstverständlich auf seinen Vater und damit beinahe unausweichlich auf alten Kevelaerer Schützenadel verweist, scheint eine gewisse Affinität zu den Schotten namentlich vorgegeben.
Nun aber genug der Kalauer. Schotten besuchte mehrmals die Schotten – jetzt ist es aber wirklich gut – und ist selbst Manns genug, den Leserinnen und Lesern des Kevelaerer Blattes heuer diese Geschichte zu erzählen. Was der Korrektor des Kevelaerer Blattes (und Autor diverser Bücher über den englischen Schriftsteller Edgar Wallace* und Kenner des Kävels Platt, der Kevelaerer Geschichte und des hiesigen Menschenschlages) nun an dieser Stelle in zwei Folgen über das schottische Edinburgh tun wird.
*(Lesung für November geplant)
Wir wünschen viel Spaß bei der Lektüre!

So kann ein Weihnachtsgeschenk auch ausfallen – man schenke den Eltern die Flug- und Eintrittstickets für das Military Tattoo in Edinburgh!
Obwohl es ja eigentlich Papas sehnlichster Wunsch war, noch einmal dorthin zu kommen; aber ohne Mama, resp. Ehegattin – das geht ja wohl nicht. Wiederholt hatte ich vom Jahr 1976 erzählt, von der großen Hitzewelle, die über ganz Europa lag; von drei herrlichen Flitterwochen in Schottland, vom einzigen Regentag und das ausgerechnet an meinem Geburtstag, dafür aber „stilecht“ bei Nessie am Loch Ness; und dann der Höhepunkt in Edinburgh – die Stadt an sich und obendrauf das Military Tattoo. Richtig: Obendrauf – nämlich oben auf der alles beherrschenden Burg, „THE CASTLE“.

Die Reise beginnt

Geschlagene 8 Monate mussten wir auf diesen großen Tag warten. Dann ist der 9. August 2016 endlich gekommen. Tochter persönlich, in Begleitung unserer 1,5-jährigen Enkelin („Auto! Auto!“) bringt uns zum praktischerweise nahegelegenen Flughafen, wo uns eine 737-800 mit der Harfe am Leitwerk erwartet.
Eine Stunde und vierzig Minuten dauert der Flug – danach bitte die Uhr um eine Stunde zurückstellen, somit hat praktisch gar keine Flugzeit stattgefunden.
Unser Hotel („A Haven Town­house Hotel“ in Leith, nordwestlicher Stadtteil von Edinburgh, ein Schmuckkästchen aus viktorianischer Zeit) kommt mir doch auf einmal so bekannt vor. Richtig – ich war doch irgendwann schon einmal mit meinen Jungs vom Doppelkoppklub da. Da kann ja nichts mehr schief gehen. Ich erinnere mich sogar noch an das Frühstück: Es ist noch besser geworden. Ein Gedicht – ach was, ein ganzer Gedichtband! Habe aber auf die berühmt-berüchtigten „haggis“ verzichtet – man weiß ja, was da drin ist…(Geschmackssache!)

Nach 40 Jahren erneut in der Stadt

Solchermaßen gestärkt wird es am anderen Morgen Zeit für die erste Stadtbegehung. Was hat sich denn in den letzten 40 Jahren verändert, was ist noch in der (zugegeben verklärten) Erinnerung geblieben? Die ersten Namen und Straßen fallen mir wieder ein: Als Highlights natürlich Princes Street mit dem großen Kaufhaus Jenners oder die Royal Mile zwischen Holyrood Palace und dem Castle. Auf ins Getümmel.
Und das muss man im August inzwischen leider wörtlich nehmen. Die Royal Mile haben wir fast nicht wiedererkannt und das liegt nicht an den verflossenen vierzig Jahren: Parallel zum Military Tattoo findet im August das Alternativ-Festival „The FRINGE“ statt und das bedeutet: Viele Straßenkünstler, teils sehr originell und witzig-pfiffig, Tausende (!) von Touristen, ein Gewimmel, wie man es von den „berühmten“ Stätten Mont St. Michel oder Drosselgasse in Rüdesheim her kennt. Man geht keine zehn Meter ungestört, ohne dass einem der zigste Flyer zu diesem oder jenem „unverzichtbaren“ Event oder zu den unzähligen Kleinkunsttheatern und -bühnen aufgedrängt wird. (Gottlob werden wir etwas später Tipps erhalten, wie man dem Gewusel entgehen und die Stadt genießen kann).
Wir entschließen uns, die Royal Mile zu verlassen. Ich will aber noch einmal die Kirche mit dem Kronenturm, St. Giles’ Cathedral, besuchen und zwar wegen der „Distelkapelle“, einer wunderschönen Deckenkonstruktion, die einer Distel nachempfunden ist, der schottischen Nationalpflanze, die sich auch im Staatswappen findet.

The Military Tattoo – Festival

Nun aber weg von diesem Rummel, der uns draußen sofort wieder umfängt. Wir wehren ein paar weitere Flyer-Angebote ab und streben dem CASTLE zu, wo wir am Abend in Block 5, Reihe M, Sitz 23 und 24, das Tattoo erleben werden. Knapp 10.000 Zuschauer aus aller Herren Länder werden mit uns dort sein. Auf der Esplanade, dem Vorplatz vor der Burg, der gut zehn Monate des Jahres lang als Parkplatz fungiert, sind an drei Seiten Tribünen für besagte Zuschauer aufgebaut, der Blick zur Burg bleibt natürlich frei. Davon gleich mehr.
Am späten Nachmittag, Stunden vor dem Event, kommen wir beim Kauf eines dezent beschrifteten „Scotland T-shirts“ (MUSS!) mit der Verkäuferin in ein kurzes Gespräch. Sie sagt: „Wenn Sie Edinburgh von einer noch schöneren Seite erleben wollen und auf Tattoo und Fringe verzichten können, dann kommen Sie im Mai. Sie werden von der Stadt und dem stabilen Wetter begeistert sein.“

Und da berühren wir einen heiklen Punkt: das Wetter. Ich frage: „Was ist, wenn es heute Abend regnet?“ „Dann werden die Akteure nass und Sie auch“, kam die trockene Antwort.
Und wir wurden nass! Da halfen auch die vorsichtshalber und eilends gekauften Plastik-Ponchos nicht mehr viel. Nach einer guten Stunde (Halbzeit!) stellte sich das bekannte „feeling“ ein, das wir zu Windel- oder Pampers-Zeiten mal gespürt hatten…
Ein kleiner Trost war das attraktive Programm, das die ebenso durchnässten Akteure uns wetter-trotzig boten. Internationale Militärkapellen – natürlich. Artistische Darbietungen einer Motorradtruppe (bei regennassem Untergrund!), bei der die kleinsten und jüngsten Akteure noch keine zwölf Jahre alt waren. Weitere artistische Leistungen, Tanzdarbietungen in den schottischen Traditionstartans – es war für jeden Geschmack etwas dabei.

Auf die Schluss-Szene als Höhepunkt hatte sich der Eingeweihte natürlich gefreut
und wollte sie trotz Dauerregens nicht missen: der einsame Dudelsackspieler auf einer angestrahlten Zinne der Burg vor dem dunklen Abendhimmel… Gänsehaut pur! Dass wir Pech mit dem Wetter hatten, soll keinen Besucher des Tattoos abschrecken – es kommt in Schottland eben hin und wieder mal vor…

Fortsetzung folgt