Pilgern ist eine urmenschliche Erfahrung

Mit einem Pontifikalamt in der Basilika eröffnet der Bischof von Limburg, Dr. Georg Bätzing, am 1. Mai vor bis zu 150 Gläubigen um 10 Uhr die Wallfahrtszeit. Im KB spricht der Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz über die Wallfahrt, den Synodalen Weg und seinen persönlichen Bezug zu Kevelaer.

Das Motto der Wallfahrt lautet „Ich bin da, wo Du bist“. Kann die Kirche dieses Versprechen halten, wenn nur bedingt öffentlichen Gottesdienste gefeiert werden können?

Bätzing: Das Wallfahrtsmotto beziehe ich zunächst einmal auf unseren Gott und auf die Gottesmutter. Das ist ja die große Zusage, aus der wir leben. Unser Gott ist der „Ich bin da“. Und Maria hat als Mutter des Herrn in der harten Stunde des Leidens und Sterbens ihres Sohnes gezeigt, dass sie bleibt und nicht wegläuft. So bezeugt es das Evangelium. So ist Maria die Mutter der Kirche geworden. Für uns Menschen in der Kirche ist das Wallfahrtsmotto Ansporn und Herausforderung. Und die gelingt auch in dieser Zeit! Wie viele Gläubige sind in Hilfsdiensten, in Gebetsinitiativen, in der Krankenpflege und Altenfürsorge, in Beratungsdiensten und in seelsorglicher Begleitung gerade jetzt gefragt. Und sie sind für andere da. Ich habe in den vergangenen Wochen so viele wunderbare Beispiele kennengelernt, dass ich mehr denn je überzeugt bin, wir haben als Christinnen und Christen einen wichtigen, unersetzbaren Auftrag in der Gesellschaft.

Sie waren 2012 Leiter der Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier. Was fasziniert die Menschen auch heute noch am Pilgern?

Bätzing: Pilgern ist ein Bild des menschlichen Lebens, eine urmenschliche Erfahrung. Die Weggemeinschaft als einzelne oder in Gemeinschaft bestärkt für den Alltag. Und als Unterbrechung des Alltags führt das Pilgern auf den Weg nach innen. Vieles Unbewusste kommt durch den Rhythmus des Gehens und des Betens ins Bewusstsein. Manches kann geordnet und geklärt werden, mit manchen Erfahrungen mag ich mich versöhnen. Pilgern ist ein heilsames Wegstück, und dabei spielt das Ziel eine wichtige Rolle. Wenn mich am Ziel, ein so ehrliches Bild wie die kleine Ikone der Trösterin der Betrübten empfängt, dann kann ich mich mit meiner ganzen Lebensgeschichte dort geborgen fühlen. Und ich gehe getröstet nach Hause.

Was verbinden Sie mit Kevelaer?

Bätzing: Es sind ganz frühe Kindheitserinnerungen: Lange, bevor ich das erste Mal in Kevelaer war, sehe ich vor mir die singende Pilgergruppe, die von der Musikkapelle begleitet, an meinem Elternhaus in Niederfischbach (Kreis Altenkirchen) vorbei, zum Bahnhof zieht. Das war jedes Jahr am Samstag nach Maria Himmelfahrt, und da durften wir als Kinder früh aufstehen, um die Prozession zu sehen. Mein Opa gehörte zum Organisationsteam der Siegprozession, und nach der Rückkehr bekam ich immer ein kleines Mitbringsel aus Kevelaer.

Wie wichtig ist es, mit Blick auf die Trösterin der Betrübten, dass die Kirche gerade in diesen Zeiten Trost spendet?

Bätzing: Solch eine Krisenzeit habe ich noch nie erlebt. Wie gefährdet ist unser Leben? Wie viele Menschen sind an diesem neuen Virus bereits gestorben? Wie viel Isolation und Einsamkeit müssen Menschen in den Altenheimen, den Krankenhäusern und zu Hause zur Zeit ertragen? Und der leibliche Trost durch Menschen, die einfach da sind in dieser Ausnahmesituation, der fehlt ja häufig. Da ist der geistliche Trost ganz wichtig – im Wissen, dass die Gottesmutter den Betrübten nahe ist. Ich weiß von vielen Menschen, die sich in dieser Zeit ganz besonders der Fürsprache der Mutter Gottes anvertrauen.

Der katholischen Kirche wird oft vorgeworfen, auf Innovationen mit gewisser Schwerfälligkeit zu reagieren. Wie erstaunt sind Sie über das Tempo, mit dem in der Krise neue Formate zur Feier des Gottesdienstes und zur Seelsorge gefunden werden? Welche Initiativen haben Sie besonders beeindruckt?

Bätzing: Wir haben in dieser Krisenzeit wirklich viel gelernt. Wir sind erfahrener im Umgang mit und im Einsatz von digitalen Medien geworden. Mich hat die Fähigkeit fasziniert, ganz schnell umzudenken und Wege zu suchen, wie wir für andere dasein können, ihnen Angebote machen, miteinander zu beten, Gottesdienst zu feiern, dem Glauben einen Ausdruck zu geben in einfachen Symbolen. Vermutlich ist in vielen Häusern und Familien lange nicht mehr so intensiv miteinander gebetet und über den Glauben gesprochen worden, wie in dieser Zeit – gerade mit Kindern, die ja gerne Fragen stellen. Und wenn wir bald wieder zu einer größeren Normalität des Alltags auch in der Kirche zurückkehren können, werden wir unsere Erfahrungen sorgfältig bedenken – und hoffentlich manche Formen und Angebote, die uns in dieser Zeit geholfen haben, weiter pflegen und ausbauen.

Lassen die vergangenen Wochen Sie hoffen, dass die Dynamik auch auf weitere Reformprozesse, Stichwort „Synodaler Weg“, überspringt?

Bätzing: Wenn wir im Herbst, so Gott will, zur zweiten synodale Versammlung in Frankfurt zusammen kommen, werden wir sicher nicht einfach zur Tagesordnung über gehen. Wir haben in der Krise Erfahrungen auszutauschen, zu bedenken und zu fragen, was sie mit unseren vier Schwerpunktthemen zu tun haben.
Und vor allem: was sie uns sagen für den Weg der Kirche in der Zukunft. Wir wollen ja eine Kirche an der Seite der Menschen von heute sein. Das haben wir miteinander verabredet, und darauf suchen wir gemeinsam Hinweise und Antworten. Das wird ein spannender Prozess, und ich freue mich sehr auf die künftigen Begegnungen.