Um 13 Uhr endet die Inklusion

Die Schulglocke schrillt, fünf Integrationshelfer gehen nach Hause, die fünf Kinder mit Beeinträchtigungen, die sie begleitet haben, gehen oder fahren im Rollstuhl hinüber zu den zwei Containern in die „Oase“. „Im Moment endet die Inklusion um 13 Uhr“, sagt Nadja Hübinger, Fachleiterin für die Offenen Ganztagsgrundschulen (OGS) der Caritas Geldern-Kevelaer. Räumlich gesehen also an den Türen zu den vier Gruppenräumen der OGS gegenüber dem alten Backsteingebäude der Hubertusschule.
Dann bleibt nur das Engagement des Caritas-Teams um Anette Erretkamps. „Seit zehn Jahren Koordinatorin aus Leidenschaft“ wie Nadja Hübinger sagt und man gleich spürt. Zusätzliche Belastungen sind eigentlich nicht drin. 123 Stunden in der Woche kann Erretkamps im Dienstplan verteilen. An fünf Tagen ist damit die Zeit zwischen 11.30 und 16 Uhr für bis zu 121 Kindern­ abzudecken, darunter eben fünf mit ganz unterschiedlichen, herausfordernden Beeinträchtigungen und neu fünf Flüchtlingskinder bislang ohne Deutschkenntnisse.
Mehr geht nicht, obwohl Kevelaer wie auch die übrigen sieben Kommunen die Landesmittel freiwillig aufstocken, in denen die Caritas in 14 Schulen die OGS und in vier weiteren Übermittagbetreuung in der Sekundarstufe 1 anbietet.
Gute Organisation und Einsatz sind gefragt. Damit gelingt es trotz schwieriger Rahmenbedingungen, das Angebot nicht auf Betreuung einzuschränken, sondern den Aspekt Bildung einzubringen. Auch bei den behinderten Kindern sind deutliche Fortschritte erkennbar. Knapp bleibt es dennoch und Anette Erretkamps ist klar, dass sie es mit den acht Fachkräften allein nicht stemmen könnte. Vielleicht könnte man damit die diversen Ecken im Raum in Blick behalten und Schlimmes verhüten. Aber zum Beispiel die Kinder an der echten und langjährigen Gebrauch zeigenden Werkbank anzuleiten, damit sie dort weiter allein ihre Fantasie in Werkstücke umsetzen können, ginge wohl nicht.
Für ein gutes Angebot für die vielen nicht-inklusiven Kinder reicht es. Viel Engagement zusätzlich braucht es, um auch die Kinder mit Beeinträchtigung einbinden zu können. Das bringen die Caritas-Mitarbeiter aus ihrer persönlichen Haltung und Einstellung heraus ein. Das zusätzliche Programm in der OGS wäre allerdings damit nicht zu bewältigen. Hier springen noch ein halbes Dutzend Ehrenamtlicher ein. Herr „Bäcker“ zum Beispiel, der nicht so heißt, aber von den Kindern so genannt wird. Der 80-Jährige backt immer freitags mit ihnen und wird dafür heiß und innig geliebt. Kunstprojekte, Einradtraining, afrikanisches Trommeln, oder Feste mit Familien und Freunden. Ein breitgefächertes Programm und dazu kommen natürlich noch die vielen Elterngespräche und die immer umfangreicheren Leitungsaufgaben.
„Eigentlich ist das nicht zu leisten“, kommen Erretkamps bei der Aufzählung selbst Bedenken. Aber offensichtlich irgendwie dann wohl doch. Und das Team nimmt sich noch Ex­trazeit für die beeinträchtigten Kinder und die Flüchtlingskinder.
Für all diese Anforderungen „gibt es nur sehr geringe gesetzliche Standards“, erklärt Nadja Hübinger: Eine Erzieherin reicht theoretisch als ausgebildete Fachkraft im Team. Doch nicht nur im Südkreis Kleve ist die Caritas mit einer anderen Idee in die OGS eingestiegen und beschäftigt in diesem Bereich mittlerweile über 120 Mitarbeitende. Es ging vor allem darum, die Kinder- und Jugendhilfe mit der Schule zu verzahnen, frühzeitig von Problemen in den Familien und der Kinder zu erfahren, um ihnen Hilfe anbieten zu können.
Das Konzept überzeugt offensichtlich. Mit vielen Fachkräften zu arbeiten und sie nach Tarif zu beschäftigen ist teurer. Trotzdem hat die Caritas Geldern-Kevelaer gegenüber günstigeren Mitbewerbern den Zuschlag an zwei weiteren Schulen bekommen.
Nach der Idee des Gesetzgebers ist die OGS kein Betreuungs- sondern ein Bildungsangebot. Deshalb fordert er Anwesenheitspflicht für alle angemeldeten Kinder bis 15 Uhr. Dieser Bildungsaspekt soll künftig noch gestärkt werden. „Wir entwickeln für die einzelnen Bereiche jetzt überprüfbare Standards“, sagt Hübinger. Standards für Inklusion seien auch vorgesehen. Schön wäre es, wenn der zusätzliche Aufwand wie in der Schule auch anerkannt würde und das Gelingen nicht dem in der „Oase“ glücklicherweise vorhandenen Engagement der Mitarbeiterinnen überlassen bliebe. Höhere Standards für die OGS, die finanziellen Niederschlag fänden müssen, wünschen sich Erretkamps und Hübinger von der Landesregierung. Die vom Land beschlossene jährliche Erhöhung der Fördersätze um drei Prozent reiche dafür nicht aus.