Beiträge

Es wird wieder bunt in der Wallfahrtsstadt

Es gibt Dinge, die dauern in Kevelaer etwas länger als andernorts. In diesem Falle ist das gewünscht und man darf sagen: Es ist gut so. Denn dass die Kunstwerke, die während des internationalen Madonnari-Festivals in Kevelaer entstehen, nicht in den zu Bürgersteigplatten gewordenen Staub der Geschichte, sondern auf profane Holzplatten gemalt werden, verlängert ihr Leben, lässt sie überdauern, zumindest eine Weile.
Bedauern muss man das nicht – im Gegenteil, über diese Form der Dauerhaftigkeit freut man sich beim Kevelaerer Stadtmarketing noch heute, zwei Jahre nach der Erstausgabe dieses für Deutschland einzigartigen Festivals. Nach der Präsentation der außergewöhnlichen Madonnenbilder, die 2017 entstanden waren, in Kevelaerer Geschäften und in der Sparkasse, entschieden sich die Organisatoren, die Werke mit Eröffnung der Wallfahrt 2019 der Vergänglichkeit preiszugeben. Die Ausstellung „Kunst Kreuz(t)weg“ zeigt seither eine Auswahl der oft farbenfrohen, vier Quadratmeter großen Darstellungen in den Grünanlagen des Kreuzweges und sorgt bei Kevelaerern wie bei Pilgern und Besuchern der Wallfahrtsstadt für viel Aufmerksamkeit.
Zweite Auflage

Nun steht die zweite Auflage des Festivals bevor, das es so in Deutschland nur in der Wallfahrtsstadt Kevelaer gibt. Am dritten September-Wochenende werden 20 internationale Künstler diesmal drei statt zwei Tage in der Marienstadt zu Gast sein und von der groben Skizze über die Zeichnung bis zur fertigen, detailreichen Ausarbeitung Kunstwerke in Pastellkreide entstehen lassen. Vom 20. bis 23. September sind die Madonnari-Künstler Gäste der Stadt – und die lässt sich das gemeinsam mit den weiteren Organisatoren („FreddArt Streetpainting“, Kirchengemeinde St. Marien und Wallfahrtsleitung, dem Verein „wirksam“ und dem Hauptsponsor Sparkasse Goch-Kevelaer-Weeze) durchaus was kosten. Über Geld spricht man in diesem Zusammenhang von offizieller Seite nicht – ohne die Unterstützung der Sparkasse wäre das Festival in dieser Form aber wohl nicht möglich, betont Stadtmarketing-Chef Bernd Pool.
Eine weitere Besonderheit des Festivals in Kevelaer sei es, dass man die Künstler*innen hautnah bei der Arbeit bewundern könne – und vielleicht sogar mit ihnen ins Gespräch komme, sagt Organisatorin Fredda Wouters, die als künstlerische Leiterin unter den annähernd 30 Bewerbungen die 20 eingeladenen Künstleri*innen ausgesucht hat. Um mehr über diese ihre Geschichten und ihre Kunst zu erfahren, können Interessierte in diesem Jahr vor Ort Biographien zu jedem Künstler lesen und mehr über die interessanten und tiefgreifenden Beweggründe für die Motivauswahl der Madonnari-Bilder erfahren. Das Publikum hat hier die Möglichkeit, über sein Lieblingsbild abzustimmen.
Intensive Auseinandersetzung

Die intensive Auseinandersetzung der Besucher mit den Bildern und Motiven der Künstler stellt einen wichtigen Bestandteil der Veranstaltung dar. Das Ergebnis des Publikumsvotings wird am Sonntag kurz vor der Auktion bekannt gegeben. Der Künstler mit den meisten Stimmen erhält den Publikumspreis. Die über das Festival-Wochenende entstandenen Bilder werden bei einer Auktion im Forum Pax Christi versteigert. Der Erlös kommt den Kunstschaffenden selbst und den besonderen Angeboten des Festivals zugute.
Verlängertes Wochenende

Das verlängerte Wochenende (Programm siehe Info-Box links) bietet aber nicht nur das eigentliche Festival im bei den Künstler*innen sehr beliebten – weil überdachten – Forum Pax Christi, sondern auch ein umfangreiches Rahmenprogramm rund um das Thema „Kunst und Kultur“. Der Verkaufsoffene Sonntag lädt zudem von 13 bis 18 Uhr zum Bummeln. „Kreativität ausleben“ heißt es bei verschiedenen Workshop-Angeboten im Forum Pax Christi. Die Künstlerin Tatjana van Went veranstaltet einen Straßenmal- und Pastellkreide-Workshop. Für kreative Entspannung sorgt der Quilling-Workshop von Günter Grader, bei dem aus aufgerollten Papierstreifen faszinierende Kunstwerke entstehen. Zudem gibt es die Möglichkeit, mit Wachs zu malen beim Encausting-Angebot. Unter dem Titel „Madonn – art for me!“ bietet das Niederrheinische Museum am Samstag einen Workshop für Kinder ab 8 Jahre an. Nicht nur die Madonnari-Künstler werden an diesem Wochenende von Thomas Molderings verpflegt, auch auf die Besucher des Festivals warten kleine Leckereien. Thomas Molderings wird Ende September in der Maasstraße das Brauhaus „Kävelse Lüj“ eröffnen. Das Speisenangebot beim Festival reicht von Pizzabrötchen bis hin zu Kuchen und Waffeln. Für Kaffee und kühle Getränke ist natürlich auch vor Ort gesorgt. Auch eine Auswahl an Weinen und Bier aus dem Sortiment „Kävelse Craft Beer“ wird angeboten.
Musikalische Begleitung

Für musikalische Begleitung und eine besondere Atmosphäre sorgen an den Festivaltagen Paul Vens mit Klangschale und Gitarre sowie „mentalLift“ mit „Syavash Rastani“, mit ihren Instrumenten Hang, Gubal, Gitarre und persischer Trommel und auch Daniel Wouters mit seiner Steelstring-Gitarre. Straßenmusik wird nicht fehlen: Am Sonntag treten auf der Haupt- und Busmannstraße abwechselnd Vincent Theyhsen, bekannt als „Zentzer“, und das „Akustik Duo“, bestehend aus Salina Thür und Josa Fiedler auf. Ermöglicht wird dies von den beiden Straßenwerbegemeinschaften.
Kunst und Konzert

Samstagabend wartet als besonderes Highlight für alle Gitarrenliebhaber: Das preisgekrönte Gitarrentrio Erik Trutsch, Alessia Baumgart und Paulina Heinrichs geben gemeinsam mit ihrem Dozenten Markus Birkhoff im KUK-Atelier ein Konzert, das dank der freundlichen Unterstützung von Musikhaus Welbers ermöglicht wird. Kunstliebhaber können die Vielfalt der Kevelaerer Kunstszene bei einem kostenfreien, geführten Galerienbummel erkunden. Der Rundgang startet am Forum Pax Christi.

Foto: Wallfahrtsstadt Kevelaer


Das Festival 2019 – das Programm

Freitag, 20. September:
9-17.30 Uhr Straßenmalerei
18 Uhr Marienlob, Begrüßungsandacht (Kerzenkapelle)
20 Uhr Offene Willkommens-Feier (KUK-Atelier)
Samstag, 21. September:
9-17.30 Uhr Straßenmalerei
10-12.30 Uhr Kinderworkshop „Madonn – art for me!“
(Niederrheinisches Museum)
11 Uhr Encausting- und Quilling-Workshop mit Günter Grader
ab 11 Uhr Straßenmal-/Pastellkreide-Workshop mit Tatjana van Went
11-18 Uhr Musik mit Paul Vens
14 Uhr Encausting- und Quilling-Workshop mit Günter Grader
15 Uhr Öffentliche Führung „Madonna in tausend Bildern“
(Niederrheinisches Museum)
16 Uhr Encausting- und Quilling-Workshop mit Günter Grader
18 Uhr Marienlob (Kerzenkapelle)
19 Uhr Konzert Gitarrentrio (KUK-Atelier)
20.00 Uhr Abendlob und Lichterprozession (Kapellenplatz)
Sonntag, 22. September:
9-15 Uhr Straßenmalerei
12 Uhr Encausting- und Quilling-Workshop mit Günter Grader
12 Uhr Musik mit Daniel Wouters
ab 13 Uhr Straßenmusiker in der Innenstadt
13-18 Uhr Verkaufsoffener Sonntag
13.30-15.30 Uhr Konzert „mentaLift“ mit „Syavash Rastani“
14.00 Uhr Geführter Galerienbummel
14 Uhr Encausting- und Quilling-Workshop mit Günter Grader
15 Uhr Ende des Publikumsvotings
15.30 Uhr Prämierung Künstler
16 Uhr Auktion Madonnari-Bilder
21 Uhr Finnisage mit Aftershow-Party (KUK-Atelier).
Das Festival 2019 – die Künstler

Abraham Burciaga
– Mexiko
Agnes Preszler
– Italien/ Ungarn
Ehecatzin
– Mexiko
Alex Maksiov
– Ukraine
Axel Theyhsen
– Kevelaer
Fabio Maria Fedele
– Italien
iVann Garc
– Mexiko
Joel Yau
– USA
Ketty Grossi
– Italien
Leonie Selders
– Kevelaer
Margarita Botello
– Mexiko
Marion Ruthardt
– Rheinhausen
Marya Kudasheva
– Russland
Melina Berg
– Detmold
Michele Buscio
– Reichelsheim (Odenwald)/Italien
Tadeo Mendoza
– Mexiko
Tiberio Mazzocchi
– Italien
Vanessa Hitzfeld
– Kevelaer
Vero Gonzales
– Mexiko
Victor Adolfo Boni
– Italien

Martin Luther King steht Kopf

Es war eine bunte, wenn auch im Vergleich zum vergangenen Jahr etwas übersichtlichere Gruppe an Menschen, die sich am Sonntagnachmittag im Marienpark zur fünften „interreligiösen Wallfahrt“ versammelte. Etwas mehr als Hundert Menschen waren zusammengekommen, um auf Einladung von Elke Kleuren-Schryvers von der „Aktion pro Humanität“ für den Frieden zu beten.
Auch Klarissenschwestern hatten den Weg zum gemeinsamen Innehalten unter dem Motto „Friede sei in Euren Mauern – Geborgenheit in Deinen Häusern“ gefunden. „Es ist ganz wichtig, dass wir auch globaler denken. Wir sind alle Geschöpfe Gottes und sind aufgerufen, uns gemeinsam auf den Weg zu machen, um den Frieden wiederherzustellen“, machte Schwester Marlies deutlich.
„Dass alle Religionen in Frieden leben“, war auch der Wunsch des eines Lehrers, der mit seiner Frau vor einem Jahr aus der Türkei nach Bedburg-Hau geflüchtet war und gemeinsam mit ihr und dem Ausländer-Initiativkreis der Stadt zur Wallfahrt erschien.
Den Themenkreis hatte Kleuren-Schryvers im Vorfeld der Wallfahrt schon hervorgehoben: „Wie mit Flüchtlingen in Europa umgegangen wird, die hier ja nur ihr Leben und das ihrer Familien leben wollen – und wie wir vermeiden, dass Menschen zu Flüchtlingen werden.“
Vor der eigentlichen Prozession bat Michael Rubinstein vom jüdischen Landesverband Nordrhein die Anwesenden, die verschiedenfarbigen Zettel auszufüllen, die verteilt wurden. Auf diesen Zetteln standen Leitgedanken der diversen Religionen. Diese sollten mit eigenen Gedanken ergänzt werden.
Wallfahrtsrektor Gregor Kauling bezeichnete die „interreligiöse Wallfahrt“ als „wunderbaren Impuls, zurückgehend auf Rupert Neudeck“, den verstorbenen Begründer der Hilfsorganisation „Cap Anamur“. Dessen Geist sei „mit uns hier“, unterstrich der Erzbischof des Niger, Laurent Lompo. Es sei „wichtig, dass alle Religionen die Hände zusammen einschlagen, dass Gott ein Gott der Einheit ist.“ Im Niger lebten nur 1,5 Prozent Christen, die unter anderem in einer interreligiösen Gruppe hart dafür arbeiten, dass Frieden in dem Land herrscht, in dem Dschihadisten immer wieder für Tote sorgen.
Deutlich wurde, wie sehr die Geistlichen aller Religionen die aktuelle Weltlage umtrieb. „Wir spüren immer mehr, dass Nationalismen und Egoismen die Welt in einer Weise auseinander treiben, die wir so lange nicht mehr kannten“, sagte Kauling in seinem Grußwort. Umso wichtiger sei es, sich als Mensch zu begegnen, „egal welche Rasse, Religion oder Nationalität uns voneinander trennt.“
Die evangelische Pastorin Karin Dembek meinte später, dass ihr Angst mache, dass der Traum Martin Luther Kings, dass alle Menschen gleich miteinander leben können, umgekehrt scheine.
Vom Marienpark aus zogen die Menschen los, sangen beim Gang durch die Hauptstraße „Hevenu shalom alejchem“. Sie trugen Schilder wie „Juden, Christen, Muslime – guter Wille verbindet“ und hielten an den Stufen der Basilika. Dort empfing sie der Familienchor mit dem Lied „Come let us sing“.
Was Menschen an Gutem tun können, um in den Himmel zu kommen, darum gehe es, unterstrich der Dialog- und Kirchenbeauftragte des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Ahmad Aweimer.
Das diesjährige Motto könne nicht besser gewählt sein, verwies Michael Rubinstein auf ein Zitat Salomon Korns: „Wer ein Haus baut, will bleiben.“ Viele Juden zweifelten, ob Deutschland noch ihr Zuhause sei. „Ja, es ist Zuhause, aber das funktioniert nicht von allein.“ Er dankte deshalb allen, dass sie immer wieder kommen und diesen Gedanken damit stützen.
Der Pfarrer der evangelisch-freiheitlichen Kirche, David Burau, unterstrich, wie wichtig allein schon der gemeinsame Weg zum Kapellenplatz sei. „Frieden und Geborgenheit gibt es nur, wenn wir nicht aneinander vorbeigehen.“ In dem Sinne war auch die Idee zu verstehen, dass sich die Anwesenden vor Ort untereinander begrüßten und vorstellten.
Zum Abschluss führte der Weg an die Friedensstele nahe dem Forum Pax Christi. Dort trugen die Gläubigen ihre Gedanken auf den eingangs ausgeteilten Zetteln vor: „Keine Atomwaffen mehr“, „Offenheit gegenüber allen Menschen“, „Freiheit für allen Muslime“ oder „Türen öffnen, wo Kevelaer ein sicherer Hafen geworden ist“.

700 Pilger liefen von Bocholt nach Kevelaer

Die Anstrengung steht vielen der Frauen und Männer ins Gesicht geschrieben, die am 24. August gegen 16 Uhr durch Uedemerbruch laufen. Immer voran: das Kreuz. Trotz der Anstrengung sind von der Gruppe Gebete und Gesänge zu hören. Kurz hinter dem Ortsausgang, an einer Gaststätte, löst sich die Gruppe kurzzeitig auf. Getränke werden herumgereicht, die müden Beine ausgestreckt, Schatten gesucht. 20 Minuten später aber geht es weiter. Rund 3,5 Stunden werden sie noch marschieren müssen, bis sie ihr Ziel erreichen.
Mehr als 700 Pilger haben sich in diesem Jahr auf den rund 50 Kilometer weiten Weg von Bocholt nach Kevelaer gemacht. Eine Tradition, die seit 286 Jahren gepflegt wird, wie Alfons Schmeink, Vorsitzender der Fußprozession, bei dem Zwischenstopp in Uedemerbruch erklärt. Obwohl sein Tag bereits um 4.25 Uhr in der Früh‘ begann, macht er noch einen fitten Eindruck. „Ich bin schon als Kind mit dem ,Virus Fußprozession‘ infiziert worden“, sagt er lachend. Entsprechend stolz sei er über die Frage gewesen, ob er nicht im Vorstand helfen wolle. Und auch wenn er schon so oft mitgelaufen ist, die Atmosphäre und der Zusammenhalt auf dem Weg begeistern ihn immer wieder.
Die Hilfsbereitschaft untereinander schätzt auch Andreas Hagemann, Pfarrer von St. Josef in Bocholt, der sich unter die Pilger gemischt hat. „Ich laufe zum achten Mal mit, bin dieses Mal aber erst in Rees-Empel zur Gruppe gestoßen. Man muss auch seine körperlichen Grenzen kennen“, erklärt Hagemann. Dennoch genieß er die „tolle Atmosphäre“, die er auch in diesem Jahr wieder erleben dürfen. „Alleine würde man die 50 Kilometer wahrscheinlich nicht einfach so an einem Tag laufen, in der Gruppe tragen sich die Pilger aber gegenseitig“, erklärt er.
Um 16.20 Uhr versammeln sich die Pilger wieder auf der Straße, die begleitenden Polizeifahrzeuge sperren die Kreuzung und die Gruppe zieht weiter in Richtung Kevelarer. Minuten später wiederholt sich das Geschehen: Die zweite Gruppe kommt in Uedemerbruch an, aus logistischen Gründen laufen die gut 700 Menschen in zwei Gruppen mit rund 20 Minuten Abstand. Nach den Pausen in Empel, Marienbaum und Uedemerbruch ist noch eine letzte Rast in Winnekendonk eingeplant, bevor die Pilger aus Bocholt nach 13,5 Stunden Fußmarsch in Kevelaer ankommen.
Sonntags stehen, wie in jedem Jahr, neben der Pilgermesse auch noch der Kreuzweg und eine Andacht auf den Programm, bevor dann am Montagmorgen wieder die Wanderschuhe geschnürt werden – zurück nach Bocholt geht es ebenfalls zu Fuß. Wie schon auf dem Hinweg übrigens ständig begleitet vom Roten Kreuz. „Polizei und Rotes Kreuz sind bei uns gar nicht wegzudenken“, erklärt Schmeink, „die Helfer vom Roten Kreuz sind bei kleinen und größeren Blessuren immer sofort zur Stelle und finden eine Lösung. Dafür können wir uns nur ganz herzlich bedanken“, sagt er.

Das Jawort des Glaubens

Bereits eine halbe Stunde vor Beginn saßen die zahlreichen Pilger und Gläubigen in der vollbesetzten Basilika zusammen. Dort übten sie zu den Klängen von Basilikaorganist Elmar Lehnen bereits erste Gesangspartien wie „Maria breit den Mantel aus“ – ein mehr als deutlicher Hinweis auf den besonderen festlichen Charakter des Tages als der „äußeren Feier Maria Himmelfahrt.“

Um Punkt 10 Uhr betraten dann der Kevelaerer Wallfahrtsrektor Gregor Kauling und sein Gast – der rumänische Bischof László Böcskei – die Stufen der Basilika, um mit den Gläubigen dieses große Ereignis zu feiern. Kauling begrüßte die zahlreichen Pilgergruppen, ließ auch eine ausführliche Einleitung auf niederländisch folgen. In seinen einleitenden Sätzen erinnerte sich Böcskei daran, wie er nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ nach 1989 die Ehre haben durfte, das Bildnis der Gottesmutter in Kevelaer sehen zu dürfen.

„Maria ist für uns Christen Schutz, in guten Zeiten wie in Zeiten der Bedrängnis und Verfolgung“, unterstrich er sicher auch angesichts der eigenen Erfahrung Rumäniens mit Diktatur und Unterdrückung ihre Bedeutung. Man fühle sich in der Nähe Marias „immer gut begleitet zu Hause – und ich fühle mich in Kevelaer zuhause.“

Eine Zumutung und ein Zutrauen

Glaube, so führte er später in seiner Predigt aus, müsse „aus dem Fundament der Zuversicht“ kommen. „Glaube verbindet und ist verbindlich“, zog er die Parallele zum Jawort am Traualtar. „Das Jawort des Glaubens ist ein verbindliches und verbindendes Versprechen.“ Die Treue müsse sich beweisen, das Glaubensversprechen eingehalten und eingelöst werden. Glaube sei so gesehen für die Menschen eine Zumutung und ein Zutrauen. „Er traut uns etwas zu, nimmt uns ernst und in die Pflicht.“ Die heilige Schrift kenne dafür das Wort des „Gehorsams“.

Er sprach dabei von dem „christlichen Glaubensgehorsam Gott und der eigenen Berufung gegenüber.“ Es gebe keinen anderen Weg zum Heil und zu einem sinnvollen Leben. „Das lehrt uns der Weg Gottes und der Gottesmutter selbst.“ Mit Bezug auf das Lukas-Evangelium und die Begegnung zwischen Maria und der schwangeren Elisabeth, deren Kind im Bauch bei der Begrüßung durch Maria zu hüpfen beginnt, machte er deutlich: Der lebendige Glaube habe Maria durch alle Herausforderungen geleitet, ihrem Leben Richtung und Sinn gegeben. „Die wahre menschliche Größe hat nur in Gott seinen Ursprung.“

Den päpstlichen Segen erteilt

In Zeiten von „Umwälzungen und Verwirrungen unserer Tage, wo wir rechts und links nicht mehr unterscheiden können“, sei Maria eine „tatkräftige Hilfe, von der wir lernen können“, führte Böcskei weiter aus. Es gebe eine Reihe von „Zerrbildern“ in diesen Tagen, „die uns den Blick verstellen.“ Der „Blick auf Maria“ aber schaffe „Klarheit und geistige Beständigkeit.“ In Rumänien gebe es zahlreiche Statuen, die Maria als „glaubende Frau“ darstellten – und das sei der entscheidende Kern. „Sie hat geglaubt, was Gott ihr offenbart hat.“ Und diejenigen, die zu ihr pilgern, „haben in ihr ein starkes Vorbild und eine Wegbegleiterin“, so der Bischof, der im Anschluss an das Hochamt dann auf den Stufen der Basilika den päpstlichen Segen erteilte.

Nicht nur seine Worte hinterließen bei den Anwesenden Eindruck – Gleiches galt auch für den musikalischen Rahmen der Feierlichkeiten. Der Basilikachor unter der Leitung von Romano Giefer bot im Zusammenspiel mit Elmar Lehnen an der Orgel wie schon zur Wallfahrtseröffnung am 1. Mai die „Messe solennelle“ opus 16 von Louis Vierne dar.

„Friede sei in deinen Mauern, Geborgenheit in deinen Häusern“

Für das Vorbereitungsteam der Interreligiösen Wallfahrt schreibt Dr. Elke Kleuren-Schryvers, Kevelaer:

„Weit entfernt und immer unerreichbarer wirkt in der Welt von heute, in unserer Zeit, dieser Friede. Zunahme nationalistischer Denk- und Handlungsweisen, Rechtspopulismus, Spaltung der Gesellschaften, Angst vor Überfremdung und Dominanz fremder Religionen sind zumindest hier in Deutschland keine Friedensstifter. Kriminalisierung der Seenotrettung. Menschenwürde mehr als in Frage gestellt. Tagelang müssen erschöpfte Flüchtlinge zu Hunderten an Bord von Rettungsschiffen dümpeln. Europa demonstriert gerade zum x-ten Mal mit dem Leben der Menschen, die wie wir ein Recht haben, sich frei dorthin zu bewegen, wo ihre Chancen auf Zukunft gut oder wenigstens passabel sind, wie es um die Menschlichkeit auf unserem Kontinent bestellt ist.

Sie finden keine Aufnahme, keine Allianzen für ihre Zukunft in Frieden und mit einer Perspektive für ihr Leben. Wir geben enorm viel, um flüchtende Menschen abzuwehren. Aber wir haben offenbar wenig bis nichts dafür übrig – im Wortsinne – unser Leben, unsere Güter mit ihnen zu teilen. Maßnahmen zum Frieden in der Welt sind aus anderen Gedanken gewebt, erfordern anderes Handeln wie uns große Friedensaktivisten in der Geschichte unserer Welt zeigten.

Ethnische Kämpfe, djihadistischer Terror, Wirtschaftskriege, die sich anbahnen. Aufrüstung, neues Wettrüsten, Machtgehabe allenthalben und das „we first“ sind unsere Zeit-Zeichen! Konsumgesellschaft, Spaßgesellschaft, Profit-Maximierung – und wir beten für den Frieden?! Ja, denn mit Dr. Rupert Neudeck Neudeck, dem Mitbegründer der Interreligiösen Friedenswallfahrt, meldete sich 2015 im August ein zeitgenössischer Aktivist für Frieden und die Menschenrechte mit dem Zitat Martin Luther King´s zu Wort: „I have a dream“.

Diesen Traum haben wir noch nicht aufgegeben. Mehr noch: Wir wollen hier in Kevelaer weiter und immer mehr gemeinsam als abrahamitische Religionen vor allem nach Dialog, nach besserem Verständnis, nach Brücken und Gemeinsamkeiten suchen. Nicht das Trennende darstellen und betonen, sondern das, was uns allen gemeinsam ist. Wir wollen jede Art von Furcht überwinden durch das Bestärken unseres Vertrauens in einen Gott, der jeden von uns, gleich welcher Hautfarbe, welcher Religion, welchen Alters oder Geschlechtes ausgestattet hat mit dem angeborenen Impuls, der natürlichen, starken Kraft des Mitgefühls.

Versammlung am 25. August im Marienpark

Aus diesem Grunde versammeln wir uns am Sonntag, 25. August 2019, neuerlich um 16 Uhr im Marienpark in Kevelaer. Von dort ziehen wir mit den Mitgliedern der Religionsgruppen der Juden, der Muslime und der Christen sowie mit allen Menschen guten Willens von der Musik der unterschiedlichen Religionen begleitet über die Hauptstraße zum Kapellenplatz. Christel Neudeck und Veit Neudeck, Ehefrau und Bruder des verstorbenen Dr. Rupert Neudeck, haben ihr Kommen bereits im Vorfeld der Veranstaltung fest zugesagt.

Auf dem Kapellenplatz erwartet uns der Familienchor der Basilikamusik zum gemeinsamen interreligiösen Singen und Beten, zum Friedensgruß, zu Friedensgedanken und zum Schreiben von Friedensbotschaften. Diese werden gegen Ende der interreligiösen Wallfahrt für den Frieden an der Friedenslichtstele an eine große Klagemauer geheftet. Dort verbleiben sie eine Weile. Als sichtbares Zeichen, dass es den fehlenden oder sehr fragilen Frieden unserer Zeit zu beklagen gilt und dass wir nicht müde werden dürfen, immer wieder neu um Frieden zu bitten, für Frieden aktiv zu werden. Im Gebet, im konkreten Tun.

Der Kevelaerer Männergesangverein wird an der Friedenslichtstele ebenfalls gemeinsam mit allen Friedenspilgern versuchen, diesen großen interreligiösen Chor noch einmal zum Klingen zu bringen. Um 18.00 Uhr endet die diesjährige Interreligiöse Wallfahrt für den Frieden.“

Ein würdiger Abschied

Als Elmar Lehnen auf den Altarstufen an die Kanzel ging, um das Publikum zu begrüßen, geriet er ins Schwärmen. „Es ist eine Freude, ihn spielen zu sehen und zu hören. Ich habe selten einen Musiker mit so viel Leidenschaft und Begeisterung für das Instrument Orgel gesehen“, meinte er mit Blick auf Marco Heise, der neben ihm stand. 

Es sei ihm eine „Herzensangelegenheit“ gewesen, dieses Konzert zu Ehren von Mariä Himmelfahrt nicht allein zu bestreiten und dem jungen Mann, der ihn ein halbes Jahr vertreten hatte, die Gelegenheit zum Spiel zu geben. „In dem halben Jahr lernt man so viel im Dienst. Und er hat ein halbes Jahr lang hier nur gegessen, getrunken, gespielt und geschlafen.“

Ein persönliches Konzept

Selbst wünschte der 20-jährige gebürtige Hesse den Zuhörern in dem gut gefüllten Gotteshaus „viel Freude“ für die kommende Stunde und stellte persönlich sein Konzept vor, in dem er früheren Basilikaorganisten an diesem Nachmittag mit ihren Arbeiten die Ehre geben wolle.

Danach ging es für die beiden Musiker ans Instrument – den Anfang machte der etablierte Maestro Lehnen. Er hatte sich für Johann Sebastian Bach als Komponist entschieden und bot zunächst die „Sínfonia“ aus der Kantate BMV 29 in der Transkription von Alexandre Guilmant.

Eine melodiöse Illusion

Danach machte er sich an Bachs „Triosonate C-Dur“- und tatsächlich gelang es dem Basilika-Organisten, mit seinem flinken, leicht anmutenden und zugleich differenzierten Anschlag die melodiöse Illusion zu erzeugen, „als stünden tatsächlich drei Musiker im Raum und würden musizieren.“ Diese Impression hatte er zuvor angekündigt.

Im Anschluss daran spielte Lehnen eine „Fantasie über den Introitus des Hochfestes Maria Aufnahme in den Himmel“, die in ihrem improvisatorischen Stil fast dem Charakter einer eigenständigen, fast modern anmutenden Filmmusik nahekam. Mit unfassbarer Dynamik und mit Feuer beendete er ein bewegendes Stück Musik.

Nach so einer hohen Messlatte durfte Marco Heise an der Seifert-Orgel sein Können unter Beweis stellen. Zum Einstieg wählte er Gustav Buschs „Passacaglia in f“, ein durchaus eigenständig-dichtes, noch etwas zurückgenommenes Werk, das er am Ende hymnisch „groß“ werden ließ.

Ein großes Talent

Auch Max Regers „Moto Ostinato“ aus dem Op. 69, Nr. 3 wirkte schon etwas komplexer, kontrastreicher, ebenfalls mit einer fast „filmischen“ Klangsprache. Düster, temporeich, dabei flacher im Anschlag als Lehnen interpretierte er die „Toccata B-Moll“ aus dem Opus 53 von Louis Vierne. 

Getragen, aber im Ausdruck noch nicht so stark gerieten dann die beiden Böse-Choralbearbeitungen „Nos autem Gloriari“ und „Viri Galilaei“ über Introitusgesänge aus den thematischen Choralvorspielen.

Wolfgang Seifens „Introduktion“ geriet sehr moll-lastig, der „Choral“ getragen mit versöhnlichem Ende und die „Toccata“ mit klug eingesetztem Stakkato mit spannenden Klangspektren und großer Macht. Höhepunkt des Konzerts wurde aber sein eigenes Finale über „Salve Regina“, bei dem er förmlich eine schäumende Brandung an Klangwellen durch das Kirchenschiff jagte – schnell, flirrend, virtuos, mit großem Feuer und Verve.

Ergriffene Zuhörer

Das Publikum, ergriffen von der Darbietung, quittierte das Ende mit minutenlangem Applaus. Einige gratulierten ihm nach dem Konzert spontan, eine Dame meinte: „Das kommt ja an Lehnen und an Seifen dran.“

Lehnen lobte sein „brilliantes Gehör, seine Aufassungsgabe, seine guten Ideen und seine Selbstdisziplin.“ Und Heise drückte aus, was er aus seiner Kevelaerer Zeit für sein Orgelstudium in Berlin mitnehmen wird: „Die Gelegenheit, diese Orgel zu spielen – und die Bekanntschaft vieler netter Leute.“

Es war ein erster Schritt

Dass zwei Priesterinnen am Ausgang der Jesus-Christus-Kirche stehen, um die Gemeinde miteinander zu verabschieden, war durchaus kein gewöhnliches Bild. Am vergangenen Sonntag, 18. August 2019, standen die Kevelaerer Pfarrerin Karin Dembek und ihre Gelderner Amtskollegin Sabine Heimann einträchtig nebeneinander, nachdem sie den ersten gemeinsamen Gottesdienst beider Gemeinden inklusive Taufe miteinander gestaltet hatten.

Im Gottesdienst hatte Heimann mit Bezug zum Matthäus-Evangelium und der Geschichte von den drei Knechten davon gesprochen, dass Gaben sowohl eine Zumutung als auch eine Ermutigung zur Bewältigung bestimmter Aufgaben sein können und man sich mit Gottes Geist als gutem Begleiter ermutigt auf eine „Entdeckungsreise für unser Leben“ begeben soll.

Als „Ermutigung“ empfand Dembek die Feier und den anschließenden Austausch im Generationenhaus seitens der Kevelaerer Gemeindemitglieder mit den vielen Gästen aus Geldern. „Ich bin positiv überrascht, dass so viele da sind. Und ich hoffe, dass nach Geldern auch so viele Kevelaerer den Weg finden.“ Man wolle angesichts der demographischen Entwicklung und der schwierigen Situation, was den Pfarrernachwuchs angeht, „vorsorglich ein bestelltes Feld haben“, machte Dembek deutlich.

Miteinander arbeiten

Laut eines Synodenbeschlusses von 2016 seien die fünf Gemeinden des Südkreises im Kirchenkreis Kleve – Issum, Kerken, Geldern und Wachtendonk-Straelen – dazu aufgerufen, miteinander zusammenzuarbeiten und die Arbeit selbst zu gestalten.

Sabine Heimann Foto: AF

Noch seien in den fünf Gemeinden die Pfarrstellen besetzt und die Probleme noch nicht so akut wie im Westteil des Kirchenkreises. „Sobald eine Pfarrerin oder ein Pfarrer aus der Region weggeht“, müsse man aber gucken, „wie das zu steuern“ sei, meinte Dembek.  Selbst habe sie gemerkt, wie viel Arbeit so eine große Gemeinde wie Kevelaer ausmacht. Da müsse man dann eben „neue Wege“ finden.

Ihre Kollegin Heimann pflichtete ihr eingeschränkt bei. „Wir werden ein bisschen dazu gedrungen“, machte sie ihren Standpunkt dazu deutlich. Das Ziel sei, „zu versuchen, dass die Menschen ein Stück weit aufeinander zugehen und wahrnehmen, was in Geldern und in Kevelaer los ist.“ Im eigenen Pfarreibrief habe man schon eine Seite, wo die Aktivitäten Kevelaers beschrieben seien. Es gehe da nicht um eine „Zeitersparnis für Pfarrerinnen“, sondern darum, dass sich „die Gemeinde füreinander organisiert.“

Die Kirchenbesucher selbst empfanden die Zusammenkunft jedenfalls als positiv. „Wir sind halt so ein bisschen im Kielwasser der katholischen Kirche mit ihren Missbrauchsfällen. Und in Geldern, wie hier sicher auch, fehlten die 30- bis 40-Jährigen im ‚Alters-Mittelbau‘, die aufgrund der Familie andere Interessen haben“, beschrieb der Gelderner Joachim Herbach die Notwendigkeit, als Gemeinden enger zusammenzurücken.

Angeregte Gespräche

Dazu trugen auch persönliche Erfahrungen bei. „Mein Sohn war hier bei Pfarrer Volker Raettig Zivildienstleistender“, erinnerte sich die Geldernerin Elsbeth Hofmann. Und der Kevelaerer Helmut Tillmann hatte jahrelang in Geldern gelebt. Er plauderte als Kirchenchormitglied mit dem Gelderner Johannes Amting, der im Gelderner Chor singt, über ihre Gesangserfahrungen. „Da ergibt sich bestimmt was, wenn die Kirchengemeinden zusammenwachsen“, gab sich Amting optimistisch. „Aber erstmal geht’s ums Kennenlernen“, ergänzte sein Gesangsbruder im Geiste. „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“

Terminhinweis

Die nächste Veranstaltung der evangelischen Kirche Kevelaer findet am Sonntag, 8. September 2019, ab 15 Uhr statt. Dann gibt es an der Brunnenstraße 70 ein Lesefest mit Familiengottesdienst, Begegnungen und natürlich viel Zeit zum Lesen. In diesem Rahmen wird ab 19 Uhr die bekannte Fernseh- und Rundfunkmoderatorin und Literaturkritikerin Christine Westermann Auszüge aus ihrem Buch „Manchmal ist es federleicht“ vortragen. Karten gibt es im Gemeindebüro der evangelischen Kirche.

Konzert mit Werken ehemaliger Basilikaorganisten

Ein bisschen Wehmut wird schon dabei sein – aber auch ganz schön viel herzliche Dankbarkeit – wenn am Sonntag, 18. August, 16.30 Uhr, das Orgelkonzert zu Maria Himmelfahrt in der Marienbasilika erklingen wird. Gemeinsam werden sie am großen Spieltisch hoch oben auf der Empore sitzen: Organist Elmar Lehnen und sein junger Kollege Marco Heise (Erkennungszeichen: langer schwarzer Mantel). Mit diesem Konzert verabschiedet sich der junge Musiker aus Kevelaer. “Er hat wirklich eine tolle Arbeit gemacht – auch und besonders in der Zeit, in der ich krankheitsbedingt pausieren musste”, lobt Elmar Lehnen. Am 1. August hat der neue Organist Patryk Lipa in St. Marien seinen Dienst angetreten.

Für Sonntag nun hat sich Marco Heise ein besonderes Programm vorgenommen. Er spielt Werke ehemaliger Basilikaorganisten: Werke von Gregor Böse und Wolfgang Seifen. Zudem hat er ein Werk von Gustav Busch ausgesucht, das dem ersten Basilikaorganisten Gerhard Korthaus gewidmet ist.

Eintritt wie immer acht, ermäßigt sechs Euro.

Im Niger sichern 40 Cent am Tag das Überleben eines Menschen

Während selbst am Niederrhein der trockene Sommer den Landwirten zu schaffen macht, warten auch die Menschen im afrikanischen Niger dringend auf Regen. Kommt der nicht, droht in einem der ärmsten Staaten der Welt eine Verschärfung der Hungersnot. „Wir hoffen noch, dass es gut wird“, sagt Laurent Lompo, Erzbischof des Bistums Niamey, am 9. August 2019 bei einem Besuch in Kevelaer.

Doch bis zur nächsten Ernte dauert es noch zwei bis drei Monate – 700 Menschen sind in der Region, in der Lompo Erzbischof ist, konkret vom Hunger bedroht, 50 Kleinkinder sind so schwer unterernährt, dass nur Spezialmilchprodukte jetzt noch ihr Leben retten können.

Hunger und Übergriffe islamischer Dschihadisten

Dazu kommen Übergriffe islamistischer Dschihadisten, die aus den Nachbarländern Mali und Burkina Faso einfallen und die Landbevölkerung in Angst und Schrecken versetzen. „Die Unsicherheit wird immer stärker, die Menschen verlassen aus Angst die Dörfer und flüchten in die schon jetzt überbevölkerten Städte“, erklärt Lompo. „Junge Menschen sind besonders gefährdet. Sie lassen sich wegen der Perspektivlosigkeit leicht von Dschihadisten einfangen.

Wir als Kirche müssen an ihrer Seite bleiben und ihnen eine Perspektive geben.“ Kurzfristig geht das mit Lebensmittelspenden, langfristig will man Jugendlichen eine gute Ausbildung ermöglichen. „Die Erfahrung zeigt, dass sie nach der Ausbildung zurückkommen und ihr Wissen mit den anderen Dorfbewohnern teilen, sodass alle davon profitieren“, erklärt der Erzbischof. Durch die Hilfe vor Ort wird so ganz konkret verhindert, dass die Menschen aus ihrem Land flüchten müssen.

Probleme gemeinsam lösen

Die Dschihadisten, betont Lompo, bekämpfen übrigens nicht alleine Christen, auch Muslime zählen zu ihren Opfern. „Deshalb brauchen wir den interreligiösen Dialog. Wir können die Dinge nur miteinander lösen und nicht gegeneinander“, sagt er. „Auf dem Land tun sich Christen und Muslime schon jetzt zusammen, um Entwicklung zu ermöglichen. Man steht dort zusammen.“ Für ihn ist das ein wichtiges Zeichen der Hoffnung, denn er weiß: „Wenn wir uns von der Angst regieren lassen, sind wir alle tot – dann ist es vorbei!“

Dankbar ist Lompo für die Hilfe, die er bereits jetzt von vielen Niederrheinern über die „Aktion pro Humanität“ aus Kevelaer erhalten hat: „Es tut uns gut zu wissen, dass Menschen aus Deutschland an unserer Seite sind, auch wenn sie nicht selbst vor Ort sind. Es ist gut, dass Menschen da sind, die uns in unserer Situation unterstützen.“ Und er hofft, dass er nicht mit leeren Händen in seine Heimat zurückkehren muss. Besonders dramatisch ist die Lage für etwa 50 schwer unterernährte Kinder. Für sie hatte Pater Macalli ein Projekt ins Leben gerufen – jedoch wurde er von Dschihadisten entführt und gilt als verschollen. Die Kinder brauchen dringend spezielle Nahrung – die kostet für drei Monate 200 Euro pro Kind und bietet dem Kind gute Chancen, am Leben zu bleiben.

Hilfe brauchen auch 700 von Hunger bedrohte Familien. Lompo rechnet vor: „Eine Familie mit sieben Personen benötigt im Monat zwei Säcke Hirse, die zusammen rund 80 Euro kosten. Drei Monate müssen noch überbrückt werden, das kostet also rund 240 Euro pro Familie.“ Auf eine Person herunter gerechnet bedeutet das, dass rund 40 Cent pro Tag deren Überleben sichern.

Auf nachhaltige Hilfe ausgelegt ist der Bau einer zweiten Klasse der Grundschule in Torodi. Dort werden christliche und muslimische Kinder gemeinsam unterrichtet. Die erste Klasse wurde im vergangenen Jahr aus einem Teil der Spenden zur Bischofsweihe von Weihbischof Rolf Lohmann errichtet. Für die zweite Klasse fehlen zeitnah noch 7.500 Euro.

Aktion pro Humanität

Wer Erzbischof Lompo unterstützen möchte, kann dies mit einer Spende an die „Aktion pro Humanität“ in Kevelaer tun. Das Geld, versichern Lompo und die Vorsitzende Elke Kleuren-Schryvers, wird auf einem Konto außerhalb des Niger sicher verwahrt und kommt direkt bei den Menschen an, die die Hilfe benötigen. Wer für einen bestimmten Zweck, also zum Beispiel die unterernährten Kinder oder Hirsesäcke, spenden möchte, kann dies bei der Überweisung im Verwendungszweck angeben.

Kontakt- und Spendenmöglichkeiten sind zu finden auf www.pro-humanitaet.de. Schon jetzt dankt Kleuren-Schryvers der Stiftung der Familie Seibt von der Grav-Insel in Wesel, der Familie Janssen und weiteren Menschen aus Sonsbeck sowie einer Familie aus Kleve, die alle den Bau von Brunnen ermöglicht haben.

Sehnsucht nach Frieden

In Kevelaer muss man oft gar keine Reise machen, um andere Länder, Kulturen und Sitten zu erleben: Im Rahmen der Wallfahrt pilgern immer wieder Gläubige aus aller Herren Länder in den beschaulichen Marienort. Am vergangenen Samstag beherrschten indische Saris, Kaftans und Veetis das Bild des Kapellenplatzes. In einer großen Prozession trugen die schön, kostbar und bunt gekleideten tamilischstämmigen Menschen, die aus ganz Europa nach Kevelaer gereist waren, ein Marienbild um den Kapellenplatz. Reich war es mit Blumen geschmückt und viele Menschen berührten das Bild während des Herumtragens mit den Händen.

Fremd waren die Gesänge, fremd die Sprache. Rund um den Kapellenplatz konnte man für einen Tag in eine andere Welt eintauchen, auf dem Basilikaparkplatz waren Stände mit typisch indischen, tamilischen Kleidern, Gewürzen und Speisen zu entdecken – und das, ohne Kevelaer überhaupt verlassen zu müssen.

Bereits zum 32. Mal fand die Wallfahrt der Tamilen statt, mit teils 10.000 Teilnehmern ist sie mit Abstand die größte Einzelwallfahrt in Kevelaer. Dieses Jahr waren es mit rund 8.000 bis 9.000 geschätzten Teilnehmern etwas weniger. Aber immer noch war das Forum Pax Christi beim Gottesdienst oder bei der eucharistischen Anbetung so voll, dass es kaum ein Durchkommen gab. Die Menschen knieten andächtig auf dem bloßen Steinboden, teils mit ihren schlafenden Kindern auf dem Arm.

Ehrengast aus Jaffna

Als Ehrengast kam dieses Jahr der Bischof von Jaffna, Dr. Justin Gnanapragasam. In seinen benachbarten Diözesen hatten sich an Ostern die schrecklichen Anschläge während der Festgottesdienste ereignet. Doch auf die Gewalt folgte keine Gegengewalt. „Unsere geistlichen und politischen Führer hatten einige aufgebrachte Jugendliche, die nur Gewalt und Rache als Antwort auf die Anschläge sahen, beruhigt. Nicht Gewalt zwischen den Religionen und neue Feindseligkeit sollten den Bluttaten folgen, sondern das Gebet und die Vergebung. Hätten nicht die friedvolle Begegnung und Vergebung, sondern die Emotionen gesiegt, hätte es wohl erneut viele Todesopfer, Gewalt, Schutt und Asche in Sri Lanka gegeben. Der Bischof von Jaffna hat an diesem Friedensprozession auch einen großen Anteil“, erzählt Robert Richard aus der tamilisch-katholischen Gemeinde in Herne.

Lange Schlangen vor den Kapellen. Foto: DdB

Jahrzehntelang herrschte der Krieg in Sri Lanka; als Bürgerkriegsflüchtlinge waren die Tamilen nach Deutschland und Europa geflohen und man spürt, wie groß ihre Sehnsucht nach Frieden ist. Vor zehn Jahren wurde der Krieg offiziell beendet, aber noch stets gibt es hohe Militärpräsenz im Land. „Auf drei Menschen kommt auch heute ein Militär in Sri Lanka“, meint Robert Richard. „Auch vor den Schulen gibt es täglich bewaffnete Militärs.“

Noch stets würden Tamilen das Land verlassen, zumal sie neben der ständigen Militärpräsenz in ihrem Land eine Minderheit im eigenen Land sind mit nicht immer gleichen Rechten. Bischof Gnanapragasam stellte in seiner Predigt den zahlreichen tamilischen Familien die Heilige Familie als Vorbild und Leitbild vor Augen. Auch sie hätten Ungerechtigkeit, Flucht und Verfolgung erlebt, doch als Familie zusammengehalten und liebende Hingabe aneinander auch in schwieriger Zeit gelebt.

Weite Anreise

Zahlreich waren die Familien, die für diese Wallfahrt und für das Gebet um den Frieden und die Gleichberechtigung nach Kevelaer gekommen waren. Manche hatten eine weite Anreise und kamen aus Dänemark oder der Schweiz, andere hatten keinen weiten Weg. Sarmila war mit ihren beiden erwachsenen Söhnen und ihrer achtjährigen Tochter Shagili aus Krefeld gekommen. Seit 30 Jahren schon lebt sie in Deutschland und jedes Jahr ist sie bei der Wallfahrt dabei. Für ihre Kinder opfert sie, bis diese 15 Jahre alt sind, eine Kerze. Diese ist immer so groß wie das Kind.

Hohe Kerzen

Geduldig warten alle in der Reihe, bis sie dran sind. Lange Schlangen bilden sich auch vor der Gnadenkapelle und vor der Basilika, wo wohl an keinem Tag im Jahr so viele Kerzen brennen wie an diesem. 2014 hatte es in der Beichtkapelle während der Tamilenwallfahrt gebrannt, weil zu hohe Kerzen mitgebracht und angezündet wurden.

Daraus haben alle gelernt und Elisabeth Wackers hält freiwillig Wache vor der Pieta der Beichtkapelle. So viele Kerzen wurden entzündet, dass sie öfter alle ausblasen musste, um Platz zu haben für neue, aber alle werden später nach und nach wieder aufgestellt und angezündet. „Für mich war es faszinierend, welche Geduld alle hatten. Sie standen hier in der Schlange oft stundenlang, ohne Gedränge, in großer Ehrfurcht und Frömmigkeit“, meinte sie und passte selber in aller Geduld bis abends auf, dass auch dieses Jahr nichts passierte.

Auch das Forum Pax Christi war gut gefüllt. Foto: DdB

Im Tamilenchor beim Pontifikalamt sang Elena Anton-Robert. Die junge Frau aus Dortmund, die zweisprachig aufwuchs, kennt Sri Lanka selbst nur von zwei Besuchen. „Hier in Deutschland gibt es einfach bessere Berufsaussichten, es gibt Frieden und Gleichberechtigung“, erzählt sie. Tamilische Gottesdienste gibt es meist nur alle drei Wochen und auch zu Hause trägt sie die kostbaren Saris nur zu besonderen Anlässen. Die Kevelaer-Wallfahrt ist für alle Tamilen der Höhepunkt im Jahr, an dem sie Verwandte und Freunde aus ganz Europa treffen können.

Die Tamilen sind angenehme Kunden”

Auch die Kevelaerer haben sich inzwischen schon lange und gezielt auf die tamilischen Gäste eingestellt. Bei Kerzenkunst Baumgärtner, im Kerzengeschäft von Lucia Jacobs und vor dem Kerzenhaus gibt es Kerzen bis 1,95 m zu kaufen. Thomas Bloemen hat zwei Kerzenstände rund um das Kerzenhaus, die Familie kam zum Helfen teils aus München angereist. „Die Tamilen sind sehr angenehme Kunden. Manchmal verstehen wir uns nur mit Händen und Füßen, aber sie lächeln immer und sind nett und geduldig.“ Die extralangen Kerzen werden eigens für die Tamilenwallfahrt gefertigt und werden nur für diesen einen Tag aus dem Lager geholt.

Neben Kerzen konnten sich die Tamilen an 54 Ständen auf dem Basilikaparkplatz mit typisch tamilischen Kleidern, Essen und anderem eindecken. Unter den Tamilen selbst waren Katholiken und Hindus, aber sie präsentierten ein friedliches Bild des Miteinanders und des gemeinsamen Betens um den Frieden in ihrer Heimat und auf der Welt.