Mehr Kompensation für die OW 1
Die Zahl 1551 prangte auf dem Schild, das die Umweltaktivistin Claudia Blauert gemeinsam mit Bürgermeister Dominik Pichler in die Kamera hielt. So viele Personen hatten insgesamt die Petition unterzeichnet, die die Bürgerinitiative „Rettet die Binnenheide“ bereits am 28. Juni dem NRW-Petitionsausschuss übergeben hatte – und nun in einem symbolischen Akt auch der Stadt Kevelaer.
In Anwesenheit von Stadtplaner Franz Heckens, der Klimaschutzmanagerin Nina Jordan und dem Bürgermeister Dominik Pichler erläuterte Michael Pothmann für die fünfköpfige Delegation die inhaltliche Grundidee der Petition. Leider werde die OW1 gebaut, man hoffe die Folgen für die Umwelt abuzumildern, schickte Pothmann voraus. Die Petition richte sich vor allem gegen den Begriff des übergeordneten öffentlichen Interesses“, der bei diesen Entscheidungen angewandt werde und eher nach wirtschaftlichen denn nach sozialen oder ökologischen Kriterien angewandt werde.
Aussterbeschuld des Menschen
Claudia Blauert sprach von einer „Aussterbeschuld“ aufgrund des Rückgangs der Arten, die der Mensch zu verantworten habe, weil er immer mehr Flächen beanspruche. Verschärft werde diese Situation durch die Zerstückelung der Naturräume. Die Artenvielfalt könne nur erhalten werden, „wenn wir aktiv die Vernetzung von Lebensräumen und Schutzgebieten wieder herstellen, wenn wir Biotope miteinander verbinden.“
Die obere Naturschutzbehörde habe den Bau der OW 1 im Planfeststellungsbeschluss als „nicht ausgleichbar“ bezeichnet. Das liege daran, dass der mit dem höchsten EU-Schutzstatus versehene Biotopverbund zweimal durchschnitten werde. Man habe zusammen mit dem NABU-Naturschutzzentrum Gelderland und dem Verein „NuK“ Achterhoek deshalb eine Liste von Maßnahmen erstellt, um „da noch Schadensbegrenzung zu betreiben“, erklärte die Umweltaktivistin und übergab dauch diese Liste der Initiative an Pichler.
Landesweit von herausragender Bedeutung
„Die Bezirksregierung Düsseldorf hat im Regionalplan Schutz-und Entwicklungsziele für diesen Biotopverbund definiert, welche die herausragende Bedeutung der Issumer Fleuthaue und der Niersauen beschreiben. Das Gebiet ist landesweit von herausragender Bedeutung.“ Dementsprechend sehe die Liste auch einen Ausgleich der 16,7 Hektar, die durch die OW 1 an Fläche versiegelt würden, „lokal und entlang der Issumer Fleuth“ vor. Konkret benannt werden die Flächen bei und zwischen den Naturschutzgebieten Fleuthbenden bei Winnekendonk, die Flächen zwischen dem Buchelshofer Weg und der Issumer Fleuth, die Erweiterung des Naturschutzgebietes Streußelbusch nördlich des Vellarsweges und die verbleibenen „Restflächen“. Dazu sollen breite Pufferzonen eingerichtet werden, Renaturierungsmaßnahmen wie die Wiedervernässung von Wiesenflächen durchgeführt und in Zusammenwirkung mit dem LVR den Kerssenboomshof zum „Natur-Infozentrum“ entwickelt werden.
„Es gibt nur eine Natur, die wir schützen können – und das ist die vor unserer Haustür“, unterstrich Blauert. Das sei eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht allein auf den Schultern von ein paar Ehrenamtlichen lasten“ dürfe. Man wolle die Kommune und die Kevelaerer für die Idee begeistern, den „Schatz unserer Natur und Kulturlandschaft viel aktiver und konsequenter zu erhalten und schützen als bisher“. Die Kommune solle die „im Regionalplan beschriebenen Entwicklungsziele pro-aktiv“ umsetzen.
Kevelaer solle eine „volle Stabsstelle für den Umweltschutz“ einrichten und mit entsprechend ausgebildeten Bewerbern besetzen. Gleiches gelte für den Klimaschutz, „weil beide miteinander verknüpft sind. Es ist höchste Zeit für mehr Naturschutz in Kevelaer.“
Ihr Mann Hanns ging auf das Thema Verkehr und den „seit Jahrzehnten einseitig“ bevorzugten motorisierten Individualverkehr ein. ÖPNV und Radverkehr seien komplett vernachlässigt worden. Die Untersuchungen des „Büros Stadtverkehr“ hätten ergeben, dass die OW 1 für Winnekendonk und die Rheinstraße nur etwa 25 Prozent Entlastung brächten.
Setze man pro Jahr zwei Prozent steigenden Individualverkehr voraus, werde dort in weniger als fünfzehn Jahren die Entlastungswirkung der OW 1 nicht mehr spürbar sein, wagte er die Prognose. „Es wird sich dann mit OW 1 genau so anfühlen wie ohne.“ Die Hoffnung auf Entlastung Kevelaers durch die OW 1 habe „die Verkehrsuntersuchung auch zunichte gemacht“, sagte er.
Viel Blech und wenig Mensch
„Viel Blech und wenig Mensch“ sei nicht das Konzept, das das Leben in der Stadt erträglich mache. Die Lösung liege in der Mobilitätswende, regte er eine „Zukunftswerkstatt Mobilitätswende in Kevelaer“ an. Dazu sollte der Verkehrsexperte Rainer Monheim eingeladen werden, dessen Ideen die Verkehrslage in der Stadt nachhaltig verbessern könnten.
Rat und Verwaltung würden sich sicher damit befassen, er müsse sich das in Ruhe anschauen, konnte Bürgermeister Dominik Pichler zu der Frage der Überkompensation noch keine verbindliche Stellungnahme abgeben. Er sprach von einem „doppelten Konjunktiv“, der da lautete: „Wenn ich weitermachen darf“ und „was die Politik zuläßt.“
Überkompensation
Er selbst „halte es aber schon für richtig, eine Überkompensation zu betreiben“, dass man „mehr kompensiert als von der Bezirksregierung oder Strassen NRW angedacht“ ist. Es sei unbestreitbar, dass so eine Strecke wie die OW 1 einen Flurschaden verursache und Landschaft zerschneide, sagte Pichler. „Ich habe das Angebot gemacht und werde mich daran messen lassen, wenn ich weitermachen darf“, machte er deutlich. Er habe interessiert zur Kenntnis genommen, dass die Parteien im Wahlkampf alle „ihre grüne Seele entdeckt“ haben, auch die CDU. „Ich bin gespannt, wie lange dieser Zustand anhält, ob wir da tatsächlich einen Sinneswandel oder „green washing“ haben.“ Man habe in den letzten drei Jahren gesehen, welche Fraktionsanträge der Grünen zu dem Thema abgeschmettert worden seien.
Bei den Vorschlägen sei sicher das „eine oder andere drin, was ohne viel Aufwand zu bewältigen ist“, sagte der Bürgermeister. Er habe die NuK-Leute als pragmatisch kennengelernt, die sagen, „was ist halbwegs realistisch, was kann man tatsächlich machen.“
Alle nähmen momentan auch das Thema Mobilität in den Mund. Da träfen sicher verschiedene Einstellungen und Interessen aufeinander. Die Umgestaltung der Stadt werde aber dazu führen, dass sich alle damit beschäftigen.
Pichler nannte die Debatte um die Parksituation am Peter-Plümpe-Platz als ein Beispiel für die Grundfrage: „Wieviel Raum gibt der motorisierte Verkehr an die andere Teilnehmer ab?“