„Dat hat alles noch nix so richtig auf‘m Nacken“, raunzte ein Kevelaerer Eigenheimbesitzer seiner Frau zu, als sich die Beiden – wie mit ihnen rund 50 weitere Interessierte – bei der Auftaktveranstaltung zum Thema ‚kommunale Wärmeplanung‘ im kleinen Bühnenhaussaal einfanden.

Drei Stunden lang sollte die Veranstaltung dauern, eine Herausforderung an Konzentrationsressourcen, so fürchtete man, aber gelingende Taktung und Tempo der Präsentation gaben zwischenzeitlichem Gähnen keine Chance; gefühlt verging die Zeit wie im Flug. Das lag insbesondere an Wirtschaftsingenieur David Dybeck und Maschinenbauingenieur Alexander Klein, die, eigens angereist aus Berlin, nicht nur zu wissen schienen, wovon sie redeten, sondern dies auch verständlich zu vermitteln verstanden: Profis halt, und so kam dann doch auch ziemlich schnell das erste Fleisch an den Knochen.

Treffer, Schnapper und der frühe Vogel

Die beiden Herren vertreten die ursprünglich in der Schweiz gegründete und seit 2019 auch in Deutschland tätige „HORIZONTE-Group“, die sich in multipler Weise mit der ‚Transformation des Energiesektors‘ beschäftigt und im vergangenen November von der Stadt Kevelaer den Zuschlag bekommen hatte. Ein Treffer, wie es scheint, und ein Schnapper obendrein, denn von den veranschlagten rund 55.000 €, die das Projekt voraussichtlich kosten wird, bekommt die Verwaltung der Wallfahrtsstadt 90% in Form von Fördergeldern wieder erstattet. Hier fing sozusagen der frühe Vogel den Wurm, denn zum Zeitpunkt der Antragstellung gab es noch satte Zuschüsse für die, die sich damals beizeiten und freiwillig auf den Weg machen wollten. „Die Energie- und Wärmewende betrifft jede und jeden Einzelnen von uns“, so Bürgermeister Dominik Pichler, „daher ‚dürfen‘ wir uns auch alle damit befassen.“ Und auch wenn der globale Klimaschutz als Motor noch immer oberste Priorität besitzt, sind zumindest im Folgeschritt die davongaloppierenden Kosten, so denn alles ‚beim Alten bliebe‘, ein starkes Argument, sich ernsthaft mit neuen Wegen der Energieversorgung zu befassen.

Im Gegensatz zur Stromerzeugung steckt die Generierung von Wärme mittels erneuerbarer Energien in Deutschland mit gerade mal rund einem Fünftel des Gesamtbedarfs eher noch in den Kinderschuhen, obwohl hierzulande über 50% der Endenergie für die Erzeugung von Wärme eingesetzt wird.

Kevelaer heizt mit Öl und Gas

Das ist auch in Kevelaer laut bisher verfügbarer Daten nicht anders. Mit 47% werden fast die Hälfte aller Kevelaerer Stuben mit Gas geheizt, gefolgt von über 34% der Gebäude, in denen noch ein Öltank im Keller steht. Nur jeder fünfte Haushalt heizt alternativ mit Pellets, Strom, Solar, Fernwärme, Luft-, Boden- oder Grundwasserwärmepumpe, es gibt ein paar Biogasanlagen und der eine oder andere hackt Holz.

Bei einem für das Kevelaerer Stadtgebiet in 2023 statistisch ermittelten Wärmebedarf von etwa 277 Gigawattstunden im Jahr, einer damit einhergehenden Emission von 68.159 Tonnen CO² und einem CO²-Preis von aktuell 45 € pro Tonne benötigt es nicht viel, um sich jenseits von politischen Animositäten mittels Beherrschung der Grundrechenarten, Verstand und nicht zuletzt dem Blick auf den eigenen Geldbeutel dem Begriff ‚alternativ‘, besser noch ‚alternative Energien‘ wohlwollend, wenngleich nüchtern zu nähern.

Und eigentlich bleibt einem ja auch gar nichts anderes übrig. Das seit Oktober 2023 geltende neue Gebäudeenergiegesetz (GEG) und das fast zeitgleich auf den Weg gebrachte Wärmeplanungsgesetz (WPG) fordern im Sinne der Erreichung globaler Klimaziele dazu auf, Treibhausgasemissionen signifikant zu reduzieren und nehmen Netzbetreiber und insbesondere Städte und Gemeinden mit der Forderung nach kommunalen Wärmeplänen in die Pflicht. Dem gemeinen Hausbesitzer gewährt derweil der deutsche Gesetzgeber noch bis zum 31.12.2044 ein Zeitfenster zum Ab- bzw. Umrüsten bestehender Heizanlagen, sogar der Einbau einer neuen fossil betriebenen Heizung ist in Bestandsgebäuden – mal losgelöst von der Frage, ob sich das noch rechnet – bis dahin erlaubt. Anders sieht es bei zukünftigen Häuslebauern aus, die müssen von Beginn an um- bzw. neu planen.

Für Weg und Ziel wohin die Reise in Kevelaer ganz konkret gehen kann, entwickeln die Herren Dybeck und Klein mit ihrem Team nun ein Konzept, bis Herbst 2024 haben sie dafür Zeit.

Den Ist-Zustand, sprich wer, wo, womit und wie viel Wärme verbrät, konnten sie mittels Daten der Energieversorger und Meldebehörden bereits ermitteln. So präsentierten sie bei dem Infoabend u. a. einen von ihnen erstellten sogenannten ‚Digitalen Zwilling‘. Auf dieser Folie ist der Kevelaerer Stadtplan mit all seinen Liegenschaften abgebildet, die sodann – aus Datenschutzgründen in ‚5er-Blocks‘ zusammengefasst – unterschiedlich eingefärbt die Durchschnittswerte des Wärmebedarfs der jeweiligen Einheit aufzeigen. Das ist interessant.

Neue Netze

Fortan geht es jetzt u. a. darum, mögliche zukunftsfähige, mit erneuerbaren Energien gespeiste Wärmenetze zu konzipieren, die in der Fläche sodann möglichst viele Endverbraucher erreichen können, besser: sollen. Bereits bewährte Modelle hierzu wurden an diesem frühen Abend vorgestellt und bzgl. individueller Umsetzungsmöglichkeiten mit einzelnen Anwesenden andiskutiert. Sind die Anschlüsse dann einmal bis vor die Haustüre gelegt, reicht drinnen, damit das warme Wasser fließt, eine sogenannte Übergabestation – mancherorts sogar lediglich in der Größe von zwei Schuhkartons -, leicht selbst zu bedienen, sauber und platzsparend und der Schornsteinfeger muss auch nicht mehr kommen. Der Weg dahin ist, da macht sich auch der Bürgermeister nichts vor, allerdings noch lang, ziemlich lang sogar.

Natürliche Quellen

Jetzt gilt es, Ideen zu entwickeln, und da sind dann wieder auch die Kevelaerer selbst gefragt: Was könnte man konkret hier vor Ort zukünftig als natürliche Energiequelle erschließen? Kann die Biogasanlage von Schloss Wissen, die bereits seit Jahren das Kevelaerer Freibad heizt, weiter ausgedehnt werden? Wie lässt sich das Nierswasser nutzen? Gibt es stillgelegte Brunnen? Kann man die Stadtwerke einbinden? Was ist möglich, wenn in einem Reihenhaus die neue Wärmepumpe den Schlaf des Nachbarn raubt? Fragen über Fragen.

Am Ende der Veranstaltung gab es rauchende Köpfe. Wären wir alle vernetzt, hätte man die dabei entstandene Energie wahrscheinlich schon nutzen und so die eine oder andere Birne zum Leuchten bringen können, wenn vielleicht zunächst auch nur für einen kurzen Moment.