Zehn Fragen an … Schwester Maria Magdalene. Interview der Woche im
Kevelaerer Blatt anlässlich 130 Jahre Klarissenkloster Kevelaer

Würden wir nach den Regeln der heiligen Klara leben, hätten wir keine Klimakrise und keine Kriege

Das Klarissenkloster in Kevelaer. Foto: Archiv

Im Oktober 1892 begannen sieben Schwestern ihr Leben nach den Regeln der Heiligen Klara zu führen und gründeten in Kevelaer das Klarissenkloster durch den Konvent der Klarissen aus Münster. Seitdem gehören sie unmittelbar zum Wallfahrtsort und sind ein Stück Stadtgeschichte. In diesem Jahr feiern die Klarissen das 130-jährige Bestehen des Klosters und stellten sich den Fragen des Kevelaerer Blattes.

1. Kevelaerer Blatt: Sehr geehrte Schwester M. Magdalena, das Klarissenkloster Kevelaer besteht in diesem Jahr seit mittlerweile 130 Jahren. Wie viele Schwestern leben derzeit im Kloster, wie stellt sich die Altersstruktur dar?
Sr. M. Magdalene: „Wir sind zur Zeit 15 Schwestern, im Alter zwischen 51 und 92 Jahren.“

2. Im Kloster leben sie nach den Regeln der heiligen Klara von Assisi. Was sind die Kernpunkte dieses Lebens?
Sr. M. Magdalene: „Klara schreibt in der von ihr verfassten Regel, übrigens die erste in der Kirchengeschichte von einer Frau für Frauen geschriebenen, dass es die Lebensweise der Armen Schwestern ist, ‚Unseres Herrn Jesus Christus heiliges Evangelium zu beobachten…. ‚ und dabei hat sie an erster Stelle die Armut im Blick. Übrigens das einzige, vom Papst erbetene Privileg, nichts Eigenes zu besitzen, nicht als Gemeinschaft und nicht als Einzelne. Arm dem armen Christus folgen, wohl auch in Solidarität mit den Armen ihrer Zeit. Z.B. Pflicht zu Arbeit, ohne Recht auf Lohn.“

3. Wie lassen sich die Regeln für die gesellschaftliche Situation von heute nutzen, beziehungsweise wie kann die Gesellschaft diese nutzen, was kann sie daraus lernen?
Sr. M. Magdalene: „Zum Beispiel ist es zutiefst franziskanische/klarianische Spiritualität, der Schöpfung in Geschwisterlichkeit, in Ehrfurcht und Respekt zu begegnen. Wir alle kommen aus eines Schöpfers Hand und sind füreinander verantwortlich. Da ist kein Platz für arroganten Egoismus. Wäre so in den letzten Jahrhunderten gelebt worden, wir hätten vermutlich keine Klimakrise und auch keine Kriege.“

4. Derzeit ist das Leben der Gemeinschaft in der Welt geprägt vom Krieg in der Ukraine, von autoritären Herrschaftssystemen auf dem Vormarsch, Demokratien auf dem Rückzug. Welchen Einfluss haben die Entwicklungen in der Welt auf das Leben im Kloster, wird dort darüber auch gesprochen, und welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Leben in der Klostergemeinschaft?
Sr. M. Magdalene: „Es gibt bei uns sehr lebhafte Diskussionen über politische und auch kirchliche Entwicklungen. Was wir diesem Zeitgeist entgegensetzen können, ist ein Leben in Gemeinschaft, das geprägt ist von Zuhören, Respekt und Verständnis auch für die Sichtweise der anderen.“

5. Die Kirche erlebt momentan eine große Krise: Meldungen über sexuellen Missbrauch durch Kirchenvertreter, Mitgliederschwund, Kirchenaustritte. Das Land scheint auf dem Weg, ein Land der Gottlosen zu werden. Was entgegnen Sie Zweiflern, wenn diese über Ihr Leben im Kloster den Kopf schütteln?
Sr. M. Magdalene: „Auch zu Klaras und Franziskus Zeiten gab es große Krisen in der kirchlichen Welt, Prunk und Reichtum neben unerträglicher Armut, Macht und Unterdrückung. Für beide war es wichtig, in dieser Kirche zu bleiben, weil diese sich nur von innen heraus erneuern lässt, so auch für uns, auch wenn wir oft an ihr leiden. Wir können nur versuchen, in Ehrlichkeit und authentisch unseren Weg zu gehen.

6. Und jetzt gestatten Sie mir noch einige persönliche Fragen. Als Sie und Ihre Schwestern ins Kloster gingen, hat jede von Ihnen vieles aus dem bisherigen Leben bewusst oder weniger bewusst aufgegeben. Was vermissen Sie und Ihre Schwestern seitdem am meisten?
Sr. M. Magdalene: „Ich würde da nicht von vermissen reden. Jede Lebensform lässt etwas. Wer eine Ehe eingeht, schließt normalerweise andere, gleich intime Beziehungen aus. Man verliert nicht etwas, sondern gewinnt anderes. Man wählt auch diese Lebensform hier nicht, um auf etwas zu verzichten, sondern weil es einem wert erscheint und weil es zum Beispiel für mich die Lebensform ist, die meinem Wesen entspricht und mir das verspricht, was Jesus als Freude in Fülle bezeichnet. Was nicht heißt, dass es immer einfach ist, aber wo gibt es das schon?“

7. Was sagen Frauen, die in Ihrem Büro sitzen, weil sie sich der Klostergemeinschaft anschließen wollen und wie läuft ein Aufnahmegespräch ab?
Sr. M. Magdalene: „Mit Frauen, die zu uns kommen wollen, führen wir zunächst einmal ein Erstgespräch, was schon so manches erkennen lässt an Gründen und Motivationen für einen Eintrittswunsch. Es wird ein Lebenslauf erwartet, Zeugnisse wie Taufzeugnis und Firmzeugnis, katholisch muss man natürlich sein und unverheiratet, eventuell verwitwet, und der Einsatz in der bisherigen Gemeinde und Ähnliches. Da gäbe es dann einiges zu klären.“

8. Sein Leben Gott zu widmen ist ein schwerer Entschluss für jeden. Haben Sie auch schon Frauen, die ins Kloster wollten, davon abgeraten?
Sr. M. Magdalene: „Etwas sehr Wichtiges für einen Eintritt, besonders in eine kontemplative Gemeinschaft, ist Gemeinschaftsfähigkeit. Das richtige Verhältnis zu Nähe und Distanz, Kommunikationsfähigkeit und auch Freude an der Liturgie, die ja einen guten Teil des Tages einnimmt. Wenn es da offensichtliche Probleme gibt, raten wir eher von einem Eintritt ab, es wäre für beide Seiten auf Dauer nicht lebbar.“

9. Beten, ein bisschen arbeiten, ein Leben ohne Sorgen … Ist der Klosteralltag etwas für Menschen, die nur ein bequemes, flach strukturiertes Leben suchen?
Sr. M. Magdalene: „Menschen, die es sich bequem machen wollen oder vor der Welt ‚draußen‘ davonlaufen, merken hier sehr schnell, dass sie fehl am Platz sind. Die Gebetszeiten sind keine Traumzeiten, sondern eine ernste Auseinandersetzung mit der Andersartigkeit Gottes. Man hat ihn nie, sucht immer von Neuem und das kann schmerzhaft sein. Und zur Arbeit: Wir machen sozusagen alles selbst, wir bestellen unseren Garten, kochen, putzen, erledigen manchen Auftrag von außerhalb, pflegen unsere alten Schwestern. Für manches brauchen wir mittlerweile Hilfe von außen. Man ist abends schon redlich müde.“

10. So manches Gebot/Gesetz (Zölibat, Keuschheit, Ausschluss von Frauen zu allen kirchlichen Ämtern) der Amtskirche scheint aus der Zeit gefallen zu sein. Welche dieser Verpflichtungen finden Sie davon heutzutage zumindest erörternswert?
Sr. M. Magdalene: „Ich denke, es sollte auf jeden Fall keine Denk- und Sprechverbote geben. Wenn Jesus sagt, dass er noch viel zu sagen hätte, sie (die Jünger) es aber noch nicht verstehen würden und der Geist sie in die volle Wahrheit einführen werde, dann sollten wir dem Geist auch heute trauen. Wichtig ist zuhören und immer wieder zuhören und sich vielleicht auch mal die Frage gefallen lassen, ob man mit seiner Meinung nicht sogar dem Geist widerstehen würde, weil man doch ‚im Recht ist‘, und es doch immer so war.“

“Schwester Maria Magdalene, wir danken Ihnen für das Gespräch!“

Das Interview führte Franz Geib

130 Jahre Klarissenkloster in Kevelaer

Vor 130 Jahren begann die Geschichte des Klarissenklosters in Kevelaer. Der Gründung am 25. Oktober 1892 waren zähe Verhandlungen mit Behörden und örtlichen Kirchenvertretern vorausgegangen, bis das Klostergebäude schließlich an der Twistedener Straße – dem heutigen St. Klara-Platz, gegenüber dem Eingang zum Kreuzweg – errichtet werden konnte.
Erste Äbtissin war die aus Münster stammende Schwester Maria Bonaventura Sprickmann. Seitdem hat das Kloster eine wechselvolle Geschichte erlebt, so wurde es unter anderem im Zweiten Weltkrieg am 27. September 1944 durch Bomben zerstört. Zwei Schwestern fanden den Tod, mehrere Schwestern wurden verletzt. Am 24. Mai 1945 kehrten die Schwestern nach Kevelaer zurück und begannen mit dem Wiederaufbau. Von 1946 bis 1954 wurde an dem Wiederaufbau gearbeitet, bis der Dechant Heinrich Maria Janssen alle hergerichteten Räume segnete und die Klausur schloss, ein reguläres Ordensleben wieder einsetzen konnte. Bis heute sind die Grundlagen des Klosterlebens – Arbeit, Chorgebet, Meditation, ein bescheidenes, glaubensorientiertes Leben ohne Reichtümer – im Sinne der Ideen des Franz von Assisi und von Klara Favarone erhalten geblieben.