Stille Rundgänge

Nur das Klicken des Kameraverschlusses ist zeitweilig zu hören – ein Fotograf mit einer guten Idee geht über unseren Friedhof und will anschließend die eingefangenen Impressionen der Öffentlichkeit vorstellen – die zweite gute Idee.

Ich selbst prüfe mit einem Blick aus dem Fenster, ob sich ein Rundgang durch die Stadt wettermäßig normal durchführen lässt oder ob es ein kalter, vielleicht nasser Tag werden wird; er wäre zu dieser Jahreszeit ja auch zu erwarten.

Und nach diesem langen und heißen Sommer wäre das ja auch mal eine wünschenswerte Option. So etwas wie Wettervorhersage kennt unsereiner ja nicht so gut. Da muss ich mich immer auf Anzeichen in der Natur verlassen. Heute Morgen stelle ich seufzend fest – es gibt kein Novemberwetter, der Sommer hält mit Zähnen und Klauen an seinen Temperaturen fest – verkehrte Welt.

Egal – ich beschließe, mich einmal aus dem geschäftigen Treiben der Stadt auszuklinken und meinen Rundgang anders zu gestalten. Also habe ich für eine Stunde die Kiepe abgeschnallt: denn dort, wohin ich gehen will, wird es nichts zu verkaufen geben und vielleicht treffe ich ja auch den Fotografen bei seiner Arbeit an.

An der Gelderner Straße biege ich hinter dem ehemaligen Postamt ab und bin mit wenigen Schritten auf dem Friedhof. Viele bekannte Kevelaerer liegen hier in ihrer letzten Ruhestätte. Als erstes sehe ich das Grab des berühmten Künstlers und Kirchenmalers Friedrich Stummel, später bete ich kurz bei den Heimatdichtern Theodor Bergmann und Jupp Tenhaef. Und dann schlendere ich weiter und betrachte nachdenklich die teils liebevoll gepflegten Ruhestätten der mir unbekannten Leute.

Liebevoll gepflegt? Ja, gottlob gibt es sie immer noch, aber:

Es fällt mir auf, dass ihre Anzahl geringer geworden ist. An einigen Grabstellen hat es einen gewissen Kahlschlag gegeben, will sagen: Es gibt sie nicht mehr. Unkraut und / oder Rindenmulch bedecken die Stellen, wo man einst dem oder der Verblichenen gedachte. Nach kurzem Nachdenken fallen mir ein paar Gründe ein: Es gibt keine Angehörigen mehr, verzogen oder verstorben, die sich um die Grabpflege kümmern können, oder diese Angehörigen sind selbst zu alt für diese Arbeit. Vielleicht fehlt auch hier und da das Geld für einen Friedhofsgärtner.

Not macht erfinderisch – auch auf dem Friedhof: Man entscheidet sich verstärkt für Rasengräber oder Urnen. Wieder fällt mir der Mann mit der Kamera ein, noch besser verstehe ich nun sein Anliegen, die noch bestehenden Grabdenkmäler für unser aller Erinnerung festzuhalten.

Mechel meinte nachher zu mir und dann, wenn sie hochdeutsch spricht, wird sie ernst: „Man lebt tatsächlich nicht nur vom Geld allein. Rundgänge dieser Art sind mindestens ebenso wichtig.“

Euer Hendrick