Beiträge

Ge(k)lebte Solidarität

Dass es sich so entwickeln würde, hätte sich Joachim Kastell vor ein paar Wochen niemals vorgestellt. „Das war alles gar nicht so gedacht“, erinnert sich der selbstständige Werbetechniker, als er sich mit den Inhabern der „Pizzeria Calabria“ trifft.

Seit über 20 Jahren sind die Werbebotschaften des in Kevelaer lebenden, und in Geldern über sein „ArtVertising“-Angebot arbeitende Mannes auf Schaufensterscheiben, Fahrzeugen, Schildern und Fassaden im ganzen Kreis Kleve zu sehen, mitterweile auch mit seinen Corona-Buttons. Die „Calabria“ war das erste Geschäft, das er damit bestückte. „Die Pizzeria war früher schräg gegenüber von Stassen. Sie haben hier jetzt das neue Haus aufwändig umgebaut und eine komplett neue Außenwerbung bekommen“, erzählt der Fachmann.

„Wir haben das Gebäude innen komplett umgestaltet, renoviert und ein halbes Jahr gebraucht, um alle Bestimmungen zu erfüllen“, weist Mitinhaberin Katrin Baumgart unter anderem auf den Brandschutz hin. „Am Wochenende nach Rosenmontag hatten wir Neueröffnung und konnten uns zwei Wochen lang vor Gästen nicht retten.“ Dann kam die Coronakrise mit all den Einschränkungen des öffentlichen Lebens. „Da ist das Geschäft von jetzt auf gleich runtergegangen, so dass man nur noch ein paar Stunden für den Bring- und Abholservice geöffnet hatte.“

Vor der Coronakrise sorgten die Restaurantgäste für gut 80 Prozent des Umsatzes. „Das macht sich halt in der Kasse bemerkbar, wenn die vielen Stammkunden aus den Niederlanden fehlen, die sonst traditionellerweise Samstags nach Kevelaer kommen, um bei uns zu speisen, fehlen“, sagt Baumgart.

All das setzte bei Joachim Kastell etwas in Gang. Er beschloss, dem „Calabria“ zu helfen. „Da habe ich mir gedacht, dass man doch den Passanten, der hier vorbeifährt, irgendwie signalisieren müsste: Halt Moment – hier geht es noch weiter.“ Sso „habe ich den rot-orangenen Sticker entworfen, gefertigt und direkt montiert“, zeigt er auf das Emblem mit der Aufschrift „Hier Abhol- und Lieferdienst – Wir vereint gegen Corona“. Der große rote Button sollte dabei deutlich machen, „dass man sich hier der Herausforderung stellt und nicht aufgibt.“

Der auffällige Sticker zeigte sofort Wirkung, erzählt Katrin Baumgart. „Die Leute haben uns noch besser wahrgenommen. Natürlich haben wir unsere Stammkunden, jetzt aber auch viele Neue“, stellt sie zufrieden fest. „Ich habe das über Facebook auf meinem Status gestellt. Das haben über 80 Leute innerhalb kürzester Zeit geliked.“
Besonders toll findet sie persönlich die Botschaft des Buttons. „Da steckt vieles drin: Wir alle halten zusammen, wir müssen zusammen da durch. Das wird gesehen.“

Für Joachim Kastell war sein Engagement damit aber noch nicht zu Ende. „Ich dachte mir, dass Rocco und Katrin bestimmt nicht die Einzigen sind, die damit zu kämpfen haben und durch den Abholdienst derzeit die einzige Möglichkeit haben, ihren Betrieb zu erhalten.“ So entschloss er sich, gleich mehrere Sticker dieser Art zu drucken. „Damit bin ich erstmal in Begleitung meines elfjährigen Sohns Klaas durch Kevelaer und Geldern gefahren.“ Ohne Anmeldung klapperte er die Betriebe ab, setzte die Klebebuttons mit der besagten Aufschrift auf, und war über den riesigen Zuspruch selbst überrascht.

„Die sind mir buchstäblich fast alle um den Hals gefallen und meinten: So eine tolle Idee, super Aktion, klasse, was kriegst Du denn dafür? Und ich sagte immer: Komm, lasset sein. Ich helfe euch mit meinen Mitteln. Irgendwann, wenn der Spuk vorbei ist komme ich vorbei und dann trinken wir zusammen ein Bierchen oder ein Glas Wein.“

Nach Kevelaer und Geldern folgten die umliegenden Ortschaften von Wetten über Winnekendonk, Kapellen bis Weeze. Auch in Goch, Hartefeld, Sevelen, Issum und Kerken sind die Buttos zu sehen. Am letzten Wochenende fuhr Kastell noch nach Xanten und Kalkar.

Bis heute sind es kreisweit an die 70 Restaurants, die von seinem freiwilligen „Service“ profitieren. „Bei vielen habe ich einen Stein im Brett. Außerdem habe ich auf meiner Tour tolle Menschen und nette Locations hier im Kreis kennengelernt“, merkt man Kastell an, wieviel Spaß ihm die Aktion mittlerweile macht.

„Ich besitze ja nunmal die technischen Möglichkeiten, etwas mehr Zeit als sonst und wir haben auch noch so schönes Wetter“, scherzt er. „An die große Glocke hängen wollte ich die Aktion nicht“, sagt er bescheiden. „

Die Dankbarkeit der Unternehmer ist ihm jedenfalls ganz sicher. Katrin Baumgart guckt in Kevelaer ganz genau hin, wo der Aufkleber an welcher Scheibe zu sehen ist. Sie ist froh, dass es Mitmenschen gibt, die ihnen mit so kreativen Spontan-Aktionen in der schweren Coronazeit unter die Arme greifen. „Das hat uns und der Gastronomie insgesamt in dieser schweren Zeit mit Sicherheit sehr geholfen.“

Unverwechselbar neu

Niemand schneuzt sich in ein Papiertaschentuch. Niemand fährt einen Geländewagen. Niemand reibt sich mit einer Hautcreme ein. Für alle diese Dinge gibt es Markennamen, die unverwechselbar mit den Produkten verbunden sind. Und idealerweise haben wir, wenn wir den Markennamen nennen, auch sofort Bilder von den Produkten im Kopf. Formen, Farben, Logos, Sprüche…
„Kann man sich als Stadt die Methoden der Konsumgüter-Industrie zunutze machen?“, fragt Hans-Josef Bruns, Leiter der Wirtschaftsförderung der Wallfahrtsstadt Kevelaer. Andere, zugegebenermaßen größere Städte, können das, haben das getan. Mit Erfolg. Und deshalb hat sich die Kevelaerer Wirtschaftsförderung das jetzt auch auf die Fahnen geschrieben. Die Standortvermarktung sei eines der wichtigsten Handlungsfelder des Standortentwicklungskonzeptes, führt Bruns weiter aus. Und eines, das gerade vorrangig in Angriff genommen werde. „Wir wollen das aber nicht mit ,Aktionitis‘ machen, sondern konzeptionell.“
Die alte Marke ist nicht schlecht
„Natürlich ist die alte Marke nicht schlecht“, erklärt Nicole Wagener, die sich seit einiger Zeit bei der Wirtschaftsförderung mit Projekten und Konzepten zur touristischen Neuausrichtung Kevelaers beschäftigt. Und auch über den Zusatz „Wallfahrtsstadt“ – den sich Kevelaer in 375 Jahren nun wahrlich verdient hat – sei man sehr glücklich, versichern Wagener und Bruns. Dennoch sei es Zeit für eine Art ,Face-Lift‘, vor allem des visuellen Auftritts. Jeder kenne beispielsweise die im Laufe der Zeit entstandenen unterschiedlichen Logos, die mit Kevelaer in Verbindung gebracht werden, „die Dreiecke und Punkte, den Schriftzug ,unverwechselbar‘, die Skyline – und jede Menge Kombinationen“, sagt Wagener. „Da ist kein roter Faden erkennbar.“ „Der Schriftzug ,unverwechselbar‘ ist natürlich etabliert und wird mit Kevelaer in Verbindung gebracht. Aber er hat einen ganz entscheidenden Nachteil“, ergänzt Bruns, „er überbringt keine Inhalte.“
Aber auch Inhalte können schnell beliebig werden: Viele Kommunen am Niederrhein führten etwa die Region im Namen. Und am Niederrhein gibt‘s nun mal viele Städte. Oder sie schmückten sich mit dem Attribut, eine „Einkaufsstadt“ zu sein. In welcher Stadt kann man denn nicht einkaufen? Es gehe um „Abgrenzung, Profilierung, Positionierung“, sagt Bruns deshalb. Es müsse klar sein, „was wir mit unserem Auftritt sagen wollen“, ergänzt Wagener. Beiden ist klar, dass sie hier an einem hoch emotionalen Thema arbeiten.
Eine Bürgerbefragung, deren Antworten mehrheitlich in die gleiche Richtung wiesen, und zwei von Experten moderierte Workshops mit der Beteiligung vieler gesellschaftlich relevanten Gruppen später, zeigten die ersten Konturen. Und die Zielgruppen waren schärfer definiert. „Wir können natürlich nicht alle Märkte gleichzeitig in gleicher Intensität bearbeiten“, sagt Wagener. Deshalb, und weil im Standortentwicklungskonzept ganz konkret formuliert sei, dass die Zahl der Touristen und Übernachtungen in Kevelaer wieder signifikant steigen müsse, wolle man sich eben als erstes auf Touristen als Zielgruppe konzentrieren.
Die Markenbotschafter
Dennoch weiß auch Wagener, dass die Kevelaererinnen und Kevelaerer „die wichtigsten Markenbotschafter“ ihrer Stadt sind. „Wenn Bürgerinnen und Bürger das Kevelaer-Feeling nach außen tragen, ist das die beste Werbung, die man haben kann.“
Wie sieht‘s denn nun aus, das „Kevelaer-Feeling“, das nach all den Analysen, Workshops und Gesprächen herausgekommen ist? Der „Markenkern“ hat drei Elemente: „Seele“ (steht für Wallfahrt, Spiritualität, auch für Mensch-Sein unter Menschen), „Flair“ (steht für Atmosphäre, Stimmung, Ausstrahlung, Faszination), „Bewusst-Sein“ (steht für Bewusstsein und sich bewusst sein, Achtsamkeit, Ruhe, zu-sich-kommen).
Wohlgemerkt handele es sich dabei um den Kern der Marke, der so direkt nicht nach außen kommuniziert werde, stellt Nicole Wagener klar. Vielmehr bildeten die drei für Kevelaer stehenden Begriffe die Grundlage, etwa für Werbebotschaften, aber auch für die Entwicklung eines Logos und eines einheitlichen „Corporate Designs“.