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Digital lernen und zu Hause kochen

Wer am Vormittag die Schulmensa in Kevelaer betritt, hört in normalen Zeiten die Kochlöffel klappern, das rhythmische Tackern der Schneidemesser auf den Küchenbrettern rattern und das emsige Treiben der Auszubildenden, Umschüler und Teilnehmenden in der Berufsvorbereitung. Sie alle packen in Küche und Hauswirtschaft an, um im Regelbetrieb bis zu 700 Schulessen pro Tag frisch zuzubereiten und an die Schülerinnen und Schüler des Schulzentrums auszugeben. Doch seit Mitte März ist es ruhig geworden in der Mensa, der Publikumsverkehr zum Schutz vor der Ausbreitung des Coronavirus ist auf Eis gelegt.

Nicht auf Eis gelegt wurden jedoch die Aus- und Weiterbildungsangebote, die das SOS-Kinderdorf Niederrhein als Betreiber der Mensa für Jugendliche und junge Erwachsene mit besonderen Bedarfen anbietet. „Wir haben unsere Lehrgänge digitalisiert und die Praxisanteile nach Hause verlagert. Wir geben einmal wöchentlich Warenkörbe mit frischen Zutaten aus. Unsere Jugendlichen und jungen Erwachsenen bereiten dann die Mahlzeiten nach einer Anleitung zu, fotografieren ihre Ergebnisse und schicken sie uns zu“, erklärt Ausbilder und Arbeitspädagoge Peter Becker.

Bereichsleiterin Sabine Hanke ergänzt: „In Rücksprache mit unseren Kostenträgern wie der Agentur für Arbeit und den Jobcentern haben wir all unsere Bildungsangebote auf alternative Lernformen umgestellt. Das gilt zum Beispiel auch für unser Projekt ‚Fit durch den Arbeitsalltag‘, das wir normalerweise gleich nebenan in den Gebäuden der ehemaligen Virginia-Satir-Schule anbieten“. Auch hier bekommen die Teilnehmer einen Warenkorb überreicht. Denn wie man sich gesund ernährt, steht auch dort weiterhin auf dem Programm.

Teilnehmer bekommen weiterhin Rückmeldungen

Neben den Warenkörben gibt es Arbeitsaufträge per Email, deren Ergebnisse dann telefonisch besprochen werden. Jeder Teilnehmende erhält so regelmäßig eine Rückmeldung. Das ist Ausbilderin Heidi Korgel besonders wichtig: „Wenn ein Teilnehmer viele Rückfragen hat, dann weiß ich, dass er meine Unterstützung besonders braucht. Und die bekommt er dann auch. Denn das, was wir normalerweise im laufenden Betrieb an persönlicher Begleitung und Vermittlung von Fachkenntnissen leisten, müssen wir jetzt anders organisieren. Gerade unsere Teilnehmenden, die häufig psychische Erkrankungen oder Lernschwierigkeiten haben, brauchen Struktur, Regelmäßigkeit und individuelle Hilfe.“

Das sagen auch die Teilnehmenden selbst. Sabine Stahl ist eine von ihnen. Sie steht kurz vor dem Abschluss ihrer Umschulung zur Hauswirtschafterin, Mitte Mai finden die Prüfungen statt. Die 48-Jährige ist gelernte Fleischereifachverkäuferin und hat seit ihrer ersten Ausbildung nicht mehr die Schulbank gedrückt. „Ich musste erst das Lernen wieder lernen und dabei hat mir meine Ausbilderin Heidi sehr geholfen. Jetzt in der Coronazeit war das schon eine große Umstellung für mich, zu Hause die Aufträge zu erledigen.“ Geschafft hat sie es trotzdem, auch dank der Warenkörbe, die sie für die Praxisaufgaben wöchentlich abgeholt hat. So hat sie in der eigenen Küche ein Drei-Gänge-Menü gezaubert: Spargelcremesuppe, Zander mit Schmörkes und ein Erdbeerdessert mit Haselnussstreuseln.

Neue Laufwege und veränderte Arbeitsabläufe

Zum Wochenbeginn wurden die Vorgaben seitens der nordrhein-westfälischen Landesregierung für berufliche Bildungsangebote gelockert. Die Teilnehmer des SOS-Kinderdorfs Niederrhein dürfen jetzt wieder bei Einhaltung aller Hygienevorgaben zum Praxisunterricht erscheinen. „Für uns als Ausbilder/innen und Anleiter/innen ist klar, dass wir tageweise mit Kleingruppen starten und zu Beginn erst einmal die neuen Hygienevorschriften vermitteln und trainieren“, sagt Heidi Korgel und erklärt weiter: „Wir zeigen auf, wie breit 1,50 Meter Abstand sind, was unsere neuen Laufwege sind und wie wir die Arbeitsplätze in der Küche gestalten, damit auch dort ausreichend Abstand gewahrt werden kann.“ Wann der reguläre Mensabetrieb dann wieder aufgenommen werden kann, ist aktuell noch unklar.

Schulmensa in der Kategorie „Integration und Inklusion“ ausgezeichnet

Die Besucher der Verleihung des Marketing-Preis-Kevelaer am heutigen Freitag, 22. November 2019, warteten gespannt, welchen Preisträger die diesjährige Jury in der Kategorie „Integration und Inklusion“ ausgelobt hatten. Diese hatten sich für das SOS-Kinderdorf Niederrhein, als Betreiber der Schulmensa in der Gesamtschule Kevelaer, entschieden und ernteten dafür viel Beifall vom Publikum.

Gegründet 1969, ist das SOS-Kinderdorf Niederrhein heute mit rund 300 Beschäftigten und zahlreichen ehrenamtlichen Helfenden an über zehn Standorten die größte SOS-Kinderdorf Einrichtung in Deutschland. Einer dieser Standorte ist die Schulmensa in der Wallfahrtsstadt Kevelaer, die von der Jury als herausragendes Projekt klassifiziert wurde und deren Verantwortliche, mit der Medaille als sichtbares Zeichen, den Marketing-Preis-Kevelaer in Empfang nahmen.

Ausbildung, Umschulung und Berufsvorbereitung

Die Schulmensa in Kevelaer ist Lern- und Produktionsstätte gleichermaßen: gute Lebensmittel, täglich frisch zubereitet für alle, die in der Mensa essen, qualifizierte Ausbildung in der Küche durch die Profis des SOS-Kinderdorf Niederrhein. Jährlich werden dort bis zu 40 junge Erwachsene mit besonderen Bedarfen in den Bereichen Küche und Hauswirtschaft ausgebildet. Bei der pädagogischen Arbeit stehen Ausbildung, Umschulung und Berufsvorbereitung im Vordergrund. Seit Beginn im Jahr 2012 hat das SOS-Kinderdorf als Träger der Mensa zahlreiche Auszubildende, Umschülerinnen und Umschüler oder Teilnehmende der Berufsvorbereitung in Arbeit oder Anschlussangebote zur beruflichen Integration vermittelt.

Das Mensa-Team arbeitet eng mit den Arbeitsagenturen und Jobcentern zusammen. Außerdem gibt es einen regelmäßigen Austausch mit den Schulen und den Schülerinnen und Schülern, zum Beispiel rund um das Thema gesunde Ernährung. In der Schulmensa werden täglich bis zu 800 Essen mit regionalen Produkten frisch zubereitet und ausgegeben. Eine Win-Win-Situation: Die jungen Erwachsenen in der Küche sehen jeden Tag ihre Leistung und den Schülerinnen und Schülern schmeckt es.

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Beispiele guter Kooperation

Zum wiederholten Mal hat die Ärztliche Direktorin der LVR-Klinik Bedburg-Hau, Anita Tönnesen-Schlack, das SOS-Ausbildungsteam der Schulmensa in Kevelaer besucht. Hierbei wird gemeinsam vor Ort mit allen Mitgliedern eine sogenannte „Fall- und Teamsupervision“ durchgeführt.

Die Schulmensa wird vom SOS-Kinderdorf Niederrhein betrieben. Das siebenköpfige Team unter der Bereichsleitung von Wolfang Brandt setzt sich zusammen aus mehreren Professionen und betreut jährlich rund 30 Personen mit sogenannten „besonderen Bedarfen“ (psychische Störungen oder Lernschwierigkeiten). Sie werden dort in der Küche und im Hauswirtschaftsbereich ausgebildet oder auf den nächsten beruflichen Schritt vorbereitet.

Dies stellt auch besondere Anforderungen an die Mitarbeitenden in vielschichtiger fachlicher Hinsicht. Ausbilder mit einer rehaspezifischen Zusatzausbildung, Psychologen, Sozialpädagogen, Lehrer und eine fachpsychiatrische Begleitung werden zur konzeptionellen Umsetzung der Berufsvorbereitung und der Ausbildung benötigt. Regelmäßige Team- und Fallsupervisionen sind daher verpflichtende und wichtige Bausteine für eine erfolgreiche Arbeit mit dieser Zielgruppe.

Deshalb ist Wolfgang Brandt sehr froh und dankbar, dass man die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und diplomierte Sozialpädagogin als Expertin gewinnen konnte. „Mich begeistert die Zusammenarbeit mit diesem hochmotivierten und fachkompetenten Team“, versichert Anita Tönnesen-Schlack. „Ihre Offenheit und Bereitschaft, sich auf die besonderen Ansprüche ihrer Auszubildenden einzulassen, beeindrucken mich bei unseren Treffen immer wieder aufs Neue.“

Die LVR-Klinik in Bedburg-Hau und das SOS-Kinderdorf Niederrhein gehören beide dem kreisweit agierenden Verbund für Teilhabe und Behandlung (VTB) an und haben sich unter anderem den praxisorientierten Austausch in der Region Niederrhein auf die Fahne geschrieben.

„Damit helfen wir Menschen vor Ort noch besser bei der Bewältigung ihrer psycho-sozialen Probleme vorbeugend, in akuten Fällen und in der Nachsorge.“, sagt Wolfgang Brandt. „Wir haben im und über das Kreisgebiet hinaus lange nach einer fachpsychiatrischen Begleitung gesucht. Über die Mitgliedschaft im Teilhabeverbund konnten wir Frau Tönnissen-Schlack für diese Aufgabe nicht nur formal gewinnen, sondern haben mit ihr eine ausgewiesene Expertin an unserer Seite, die mit Herz und Seele unsere Aufgabe und unser SOS-Team unterstützt.“