Zwischen Hoffnung und Trümmern

Konzentriert beugt sich Tom Löwenthal über seine Noten, hebt den Kopf und nickt den Musikern zu. Dann gibt er dem Ensemble mit dem Taktstock den Einsatz, während hinter ihm ein historisches Foto auf der Leinwand eingeblendet ist. Auf der Fläche vor ihm agieren die Schauspieler in ihren Kostümen, die die Atmosphäre der 30er- und 40er- Jahre des vergangenen Jahrhunderts wiedergeben.

In der Schulhalle von S´Hertogenbosch arbeiteten der Komponist und ein ganzer Stab an Leuten an dem letzten Feinschliff für die Aufführung von „Tussen Hoop & Stenen“, was grob übersetzt sowas wie „Zwischen Hoffnung und Trümmern“ bedeutet. Insgesamt fünfmal wird das Stücke im „Theater a/d Parade“ in S´Hertogenbosch aufgeführt.

„Ich wurde gefragt, die Idee kam von der niederländischen Stadt S´Hertogenbosch, wofür ich zweimal schon eine Oper geschrieben habe – 2011 über die „Sieben Todsünden“ und 2015 „Das Narrenschiff.“ Diesmal geht es anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung der Stadt um die Geschichte der Besatzung dort zwischen 1940 und 1944 und der Befreiung im Oktober 1944.

Keine Oper

„Mich interessiert alles aus dem 20. Jahrhundert, diese Geschichte, damit habe ich emotional zu tun. Und das interessiert mich historisch, dass man weiß, was passiert ist und wie Menschen handeln“, erzählt Löwenthal, was ihn an dem Stoff und dem Thema gereizt hat. „Aber es ist keine Oper, sondern mehr Musiktheater geworden.“ Das Komponieren an sich dafür war allerdings nicht so einfach. „Es ist auch nicht meine erste Wahl“, drückte diese etwas unbeholfen wirkende Bemerkung im niederländischen Deutsch ein bisschen davon aus. Denn die Geschichte erzählt „im ersten Teil, wie scheinbar normal die erste Zeit der Besatzung war. Aber dann kamen plötzlich der Arbeitseinsatz und die Judenverfolgung, dann wird alles anders und schlimmer.“

Dabei verknüpft die Aufführung die authentischen Geschichten der Menschen von S´Hertogenbosch, die damals dort gelebt haben. „Die Kunst ist, diese Geschichten zusammenzubekommen. Diesen Bogen hat Peter van Aar als Regisseur geschaffen“, verweist er auf den Mann, der auch die Aufführungen des „Theaterchores Niederrhein“ betreut.

„Es war alles sehr dokumentarisch“, umschrieb van Aar in einer Pause die Problematik. „Alle Geschichten beruhen auf Wahrheit und alles so zu schreiben, dass wir eine ganze Geschichte haben. Und das so zu machen, dass es zum Gucken und Erleben trotzdem schön bleibt, unterhaltend und ernst ist“, sei die Kunst gewesen. „Aber es ist gelungen.“
So erfährt man von der jüdischen Tanzschullehrerin Roosje Glaser, die von ihrem eigenen Mann an die Nazis verraten wurde und über Westerbork nach Auschwitz kam. „Dort hat man auch Experimente an ihr vorgenommen – sie hat trotzdem mit den SS-Soldaten getanzt. Diese Frau wollte überleben und hat mit dem Teufel getanzt“, erzählt Löwenthal.
In der Aufführung taucht auch ein jüdisches Mädchen aus Österreich namens Ilse Brüll auf, die nach Holland flüchtet, dort entdeckt und in das Zwischenlager Westerbork gebracht wird.

Tom Löwenthals 12-jährige Tochter Rosa spielt und singt diese Rolle. „Das berührt mich, weil es echte Menschen gab, die den Krieg so mitgemacht haben. Das ist schon heftig – die ganzen jüdischen Menschen, die gestorben sind“, versuchte das junge Mädchen auszudrücken, was die Auseinandersetzung damit mit ihr macht.

Und auch ein für Holländer unangenehmer Aspekt der Besatzung taucht in dem Stück auf – die Zusammenarbeit einzelner Holländer mit den deutschen Nazi-Besatzern. „Ein Kollaborateur wird im Stück erschossen – auch diese Seite taucht auf“, sagt Löwenthal.

Komisches Gefühl

Mit Johannes Stammen und Stefan Püplichhuisen wirken auch zwei Kevelaerer aktiv an dem Stück mit. Die beiden Mitglieder des „Theaterchores Niederrhein“ spielen zwei Wehrmachtssoldaten und sind in diversen Gesangsparts später mit von der Partie.
„Ich dachte zuerst, es ist nur eine Rolle, aber ganz so einfach war es nicht – es war ein komisches Gefühl“, registrierte Püplichhuisen während der Arbeit einen Unterschied zwischen deutscher und holländischer Erinnerungskultur.

„Der Perspektivenwechsel war spannend – bei uns ist es die Täterperspektive und oft sehr „pflichtschuldig“. Bei den Niederländern sitzt das sehr tief, die ganze Verletzung, die das mit sich gebracht hat, ist Bestandteil der gesellschaftlichen Kultur.“

Das komische Gefühl, bei einem Stück mit diesem Thema als Deutscher mizuspielen, „das lag zuest an uns selbst“, gestand Johannes Stammen. Über die Monate sei aber eine große Kameradschaft in der Schauspieltruppe entstanden. „Alle sehen uns als natürlichen Teil der Gruppe an. Wir singen alle Stimmen halt mit- da wird diese eine Rolle nebensächlich.“
Das Stück solle nicht nur erinnern, „sondern auch eine Botschaft vermitteln“, sagt Tom Löwenthal. Nicht umsonst finden sich gegen Ende ein Lobgesang und eine Ode an die Freiheit.

„Es ist wichtig, dass wir uns nicht nochmal neu von Mächtigen unterdrücken lassen“, schlägt ihr Vater bewusst den Bogen zu Bertold Brechts „Lied von der Moldau“, in dem diese universale Formulierung abgewandelt verwandt wird. Und der Befreiungsaspekt sei wichtig. „Menschen haben ihr Leben für unsere Freiheit geopfert“, sagt Rosa Löwenthal.
Regisseur van Aar formulierte es so: „Es geht soviel um Geld und Macht. Die Welt ist so verrückt. Wir vergessen, dass wir Menschen sind, die alle nur gerne in Frieden und Freiheit leben möchten. Wir möchten keinen Krieg – nirgendwo.“