Zur Arbeit eines Zauberlehrlings
Seit nunmehr knapp fünf Jahren sitze ich in der Redaktion des Kävels Bläche an der Johannesstraße 11. Neben den eigenen Feststellungen „draußen“ erlebe ich auch hier Woche für Woche, was in Kevelaer so abgeht, bekomme teils neue Eindrücke, neue Ansichten über das Leben Kevelaers und seiner Ortschaften.
Ich sehe den weiblichen und männlichen „Kollegen“ über die Schulter, sehe und höre, was sie bewegt und sie antreibt, bekomme einen Hauch von journalistischer Arbeit mit – das ist spannendes Neuland für einen pensionierten Lehrer. Und bei der Nennung meines ehemaligen Berufes erklären sich auch die Anführungszeichen bei dem Wort „Kollegen“.
Man behandelt mich kollegial, keine Frage, ist zuvorkommend, sehr hilfsbereit, weil man um meine Unbedarftheit in Sachen Herstellung einer Zeitungsseite weiß, und so bleibe ich auch nach oben erwähnter Zeitspanne noch der berühmte Zauberlehrling, wobei Lehrling die Sache ziemlich genau trifft.
Neue Wörter und Begriffe schwirren um mich herum: „Layout“, „Zeilenumbruch“, „bedingtes Trennungszeichen“ – ja, sogar „Zwiebelfisch“ und „Hurenkind“… Der Überschrift getreu muss ich jetzt diese Wörter nicht erklären, oder? Vielmehr möchte ich doch darstellen, was ich „da oben im ersten Stock“ eigentlich tue. Nach der Darstellung meiner laienhaften Hilflosigkeit stellt sich wohl manchem die Frage: Was macht der denn Positives oder Produktives, wenn er von nix ‘ne Ahnung hat?
Nun – da bin ich wieder bei meinem ehemaligen Beruf. Deutsch war eines meiner Fächer und von daher bin ich so berufen wie nur was (und auch beauftragt), bei den hereinkommenden Texten meiner schreibenden Kollegen etwas genauer hinzusehen. Lektorat nennt man diese Beschäftigung – der Herr Lehrer ist jetzt Lektor.
Ehrfürchtig sehe ich nun, in welchem Tempo Texte geschrieben und verarbeitet werden müssen (Stichworte: Recherche und Layout), sehe dann auch, warum so mancher Drehfehler in den Wörtern auftaucht, sehe auch, wie „Kollege Computer“ auf brutalste Weise die Wörter trennt, wenn eine Zeile voll ist.
Beispiel: Nehmen wir den Namen „Schmitz“. Er passt nicht ganz auf die alte Zeile, also trennt das Schreibprogramm und schreibt „Schm“ in die alte und „itz“ in die neue Zeile. Und das geschieht häufig bei einsilbigen Wörtern, also kein Vorwurf an die Orthografie-Qualitäten meiner KollegInnen.
Das Problem mit den Kommata
Das Thema Orthografie möchte ich aufgreifen, denn man begibt sich dabei zuweilen in gefährliches Gebiet. Für mich als der „allwissende“ Lektor bleiben jedoch die amüsanten Aspekte übrig. Dazu zwei Beispiele: Es geht darin um das berühmt-berüchtigte Komma. Seit der Rechtschreibreform des Jahres 2005 eigentlich ein entschärftes Thema – sollte man glauben, weil man doch viele anscheinend überflüssige Kommata abgeschafft oder nur optional belassen hat.
Also Beispiel 1, das allgemein bekannt ist: „Komm wir essen Opa!“ Wem fällt bei so einem (fehlerhaft) geschriebenen Satz nicht gleich das Wort Kannibalismus ein? Lassen wir den armen Opa am Leben und fordern ihn zur Nahrungsaufnahme auf: „Komm, wir essen, Opa!“ Guten Appetit, alter Mann, aber bitte nicht die Kommata anknabbern.
Die Hoffnung aufs Überleben
Nun zum Beispiel 2, das mit einer kleinen Geschichte verbunden ist: Es war vor vielen Jahren in Deutschland – wie leider auch heute noch in vielen Ländern – gängige Praxis, dass Räuber, Diebe und Mörder kurzerhand von einem Richter zum Tode verurteilt und recht schnell danach exekutiert wurden. Da hat es aber mal einen Fall gegeben, wo für den Delinquenten doch noch ein Fünkchen Hoffnung bestand, wo er sich an den berühmten Strohhalm klammern konnte, dass die kommenden Tage doch nicht seine letzten sein würden.
Was war geschehen? Sein Diebstahlsprozess war für ihn höchst ungünstig verlaufen, nur das Urteil stand noch aus. Der vielbeschäftigte Richter musste jedoch dringend zu einem anderen Gerichtstermin und das bedeutete zwei volle Tagesreisen in eine andere Stadt und danach zwei weitere wieder zurück. Das war aber den Gefängniswärtern unseres Delinquenten zu lange, bedeutete es doch für sie, dass sie ihn „am Fressen“ halten mussten.
So ließen sie die Schöffen einen kurzen Brief an den Richter verfassen und per Eilboten abschicken und fragten an, was denn nun mit dem Mann zu geschehen habe. Und nun kommt durch ein fehlendes Komma der besagte Strohhalm wieder zur Geltung: Der Richter schrieb kurz und bündig zurück: „Hängt ihn nicht warten!“
Wir als Orthografie-gebildete Menschen eines fortschrittlichen Jahrhunderts erkennen sofort, dass weder die Schöffen noch die Wärter etwas mit dieser Antwort anfangen konnten. Die einen stellten sich das nicht vorhandene Komma so vor: „Hängt ihn, nicht warten!“ und der Delinquent wäre „geliefert“ gewesen.
Demgegenüber standen aber die werten Kollegen, die „lasen“ so: „Hängt ihn nicht, warten!“ Hoffen wir also, dass zur Klärung der Herr Richter bald zurückkehrte und unser Dieb seinen Fehler nicht mit dem Tode bezahlt hat.
Wir merken uns: Auch nach der Rechtschreibreform geht es nicht ganz ohne Kommas ab. Und zum guten Schluss meiner besserwisserischen Lektor-Überlegungen noch eine Lanze für die vielgeschmähte und in vielen (außer)europäischen Ländern unverständliche Großschreibung, die es aber auch bei uns nicht ewig gegeben hat: Eines von vielen Beispielen zu diesem Thema soll die Wichtigkeit der Großschreibung verdeutlichen: „DER GEFANGENE FLOH“.
Ich überlasse Ihnen / ihnen (ja wem denn nun?), welche Möglichkeiten oder Missverständnisse sich hier ergeben. Und wenn Sie, (Frau Meier), oder sie (die Leute) jetzt erschöpft sagen: „Es reicht mir mit der Rechtschreibung“, dann frage ich zurück: Wie das? Jetzt verstehen Sie sie doch, oder?