Zu Corona-Zeiten in Berlin

Auch in diesem Jahr begann für viele junge Leute ein neues Kapitel in ihrem Leben: Ob Studium, Ausbildung oder freiwilliges soziales Jahr, sie mussten eine Entscheidung treffen, wie es für sie weitergehen sollte. Und dazu gehörte auch die Entscheidung, in welcher Stadt die kommenden Jahre verbracht werden. Einige Kevelaerer entschieden sich schon in der Vergangenheit für Münster, Düsseldorf oder Aachen. Auch in der Heimat zu bleiben, ist eine reizvolle Alternative für junge Leute. Doch besonders in diesem Jahr haben sich viele für eine bestimmte Stadt entschieden – Berlin. Und das trotz oder auch vor allem wegen der Entfernung zum Niederrhein. Für den ersten Auszug von zu Hause ein großer Schritt.

Luise Quick entschied sich schon vor langer Zeit für Berlin als Wahlheimat nach dem Abitur. Die 18-Jährige kenne die Stadt, da sie bereits in ihrer Kindheit oft dort gewesen sei. „Der Kontrast zu Kevelaer hat mich schon immer beeindruckt. Mich fasziniert es einfach, dass Berlin so vielseitig ist. Es gibt einmal den Teil der Stadt mit Hochhäusern und Sehenswürdigkeiten, dann aber auch die kleinen Stadtteile, die sehr abwechslungsreich sind. Durch die ganzen Parks und Grünflächen gibt es schöne Rückzugsorte innerhalb der Hauptstadt.“ Sie hat ihr Chemie-Studium an der Freien Universität Berlin zum Wintersemester begonnen.

Jede Sorte Mensch

Auch Maria Perau hat sich nach einem Au-Pair Jahr in Neuseeland für ein Studium in Berlin entschieden. Sie studiert Sozialwissenschaften an der Humboldt Universität. „In Berlin sind die Leute super vielfältig. Man trifft so viele Menschen und kann sich aussuchen, wen man um sich haben möchte. Es gibt quasi jede Sorte Mensch“, findet die 19-Jährige. Berlin habe ein gewisses Maß an Anonymität, was einem die Möglichkeit gebe, sich neu zu erfinden. Außerdem gefalle ihr die Humboldt Universität sehr gut, was ebenfalls zu ihrer Entscheidung beigetragen habe.

Greta Binn hat sich gegen ein Studium entschieden und zog bereits Ende August nach Berlin, um ihr freiwilliges ökologisches Jahr zu absolvieren. Sie arbeitet derzeit 40 Stunden die Woche in einem Kindergarten. „Nach meinem Abi und zwölf Jahren Schule hatte ich keine Lust, direkt zu studieren. Deshalb habe ich mich für ein FÖJ in Berlin entschieden, um aus Kevelaer raus zu kommen und etwas Neues zu sehen“, erzählt die 18-Jährige. Auch sie war bereits in ihrer Kindheit oft in der Metropole, da sie Verwandte in Berlin hat.

Nicht zu viele Kontakte

Mit fast vier Millionen Einwohnern ist Berlin die größte Stadt Deutschlands. Dadurch auch eines der ersten Risikogebiete. „Das macht es schwieriger, Freunde und Familie wiederzusehen“, so Greta Binn. Sie achte in Zeiten von Corona darauf, nicht zu viele soziale Kontakte zu haben.

Trotzdem waren die Auswirkungen des Virus erstmal nicht überall präsent. Als sich Ende September die Fallzahlen innerhalb mehrerer Tage verdoppelten, war von Einschränkungen erstmal nichts zu spüren. Im Gegenteil, es schien so, als wäre Corona nicht existent. Menschen vergaßen immer häufiger, ihre Maske richtig aufzusetzen. „Es ist erschreckend zu sehen, dass sich manche nicht an die Regeln halten, vor allem junge Leute“, sagt Luise Quick. Zwar gäbe es sinnvolle Maßnahmen, doch scheitere es oftmals an der Umsetzung.

Abstände zu Personen wurden kleiner und immer mehr Leute versammelten sich in Parks, Bars und Cafés – und das trotz vierstelliger Zahl der Corona-Fälle. Ab dem 10. Oktober gab es dann neue Regeln vom Bundesministerium. Eine nächtliche Sperrstunde von 23 bis 6 Uhr wurde ausgesprochen. Während dieser Stunden mussten Geschäfte, Restaurants und Bars geschlossen bleiben. Im Freien durften sich nur noch fünf Personen oder Menschen aus zwei Haushalten aufhalten. Es gab Personenbegrenzungen für private Partys und Veranstaltungen. Doch auch mit den neuen Regelungen stiegen die Zahlen immer weiter in die Höhe.

Als ab dem 2. November dann der zweite Lockdown ausgesprochen wurde, war die Zahl bei fast 20.000 Fällen innerhalb der Metropole. Seitdem sind immer mehr Maßnahmen in Kraft getreten und Corona scheint in den Köpfen der Berliner angekommen zu sein. „Man wird noch vorsichtiger, als man eh schon war“, findet Luise Quick. Doch durch die große Distanz zur Heimat ist die Gefährdung von Risikogruppen in der Familie ausgeschlossen.

Innerhalb Berlins sind die meisten Orte nur mit Bahn oder Bus zu erreichen. Dadurch gehört das Tragen von Masken zum Tag dazu. Mehrere Straßen sind nur begehbar, wenn man sich schützt, da der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann. Polizisten kontrollieren, ob man sich an die Regeln hält. Bei einem Verstoß kann eine Geldstrafe von mindestens 50 Euro fällig sein.

Alles online

Maria Perau vor der Humboldt-Uni. Foto: aer

Und auch im Uni-Alltag hat Corona seine Spuren hinterlassen. Bis auf einige Ausnahmen findet alles online statt, was für Erstsemestler einige Schwierigkeiten mit sich bringt. Alleine in einer großen Stadt, acht Stunden von Freunden und Familie entfernt. Durch das Ausfallen vieler Erstis-Veranstaltungen ist es schwieriger, Anschluss zu finden. „Für mich fällt sehr viel aus. Meine Fachschaft hatte eine Erstisfahrt geplant, Partys und Treffen. Es ist einfach ein anderes Gefühl, alles online zu machen“, so Maria Perau. Es sei ein heftiger Einstieg für sie als Ersti. „Es ist viel leichter für die Leute, die in höheren Semestern sind. Ich kann bei Fragen nicht zu meinen Dozenten gehen und mich mit Kommilitonen vernetzen. Wenn man den ganzen Tag vorm Laptop sitzt, kommt das typische Unileben gar nicht auf.“

Luise Quick sieht es ähnlich. „Es ist auf jeden Fall schwieriger, aber nicht unmöglich. Wir haben das Glück, mit Technik aufgewachsen zu sein, die es uns ermöglicht, Leute auf Abstand kennenzulernen.“ Sie konnte bereits durch einen online Vorkurs einige Kommilitonen treffen.

Zofia Keszka ging schon im vergangenen Jahr nach Berlin, um Jura zu studieren. Ihr habe damals geholfen, sich mit anderen Studenten auszutauschen, vor allem durch Barabende, gemeinsame Mittagessen und später Besuche von Weihnachtsmärkten. So habe sie erste Kontakte und Freundschaften knüpfen können, die noch heute eine große Rolle in ihrem Alltag spielen. „Auch das Zuhören im Hörsaal ist nicht zu vergleichen mit einer Vorlesung über Zoom.“ Sie findet es sehr schade, dass den diesjährigen Erstis diese Möglichkeit genommen wird. „Ich weiß noch genau, wie unsicher ich mich gefühlt habe, in einer großen Stadt wie Berlin anzukommen und erstmal niemanden zu kennen.“

Vorteile der sozialen Netzwerke

Durch das Kontaktverbot, was einem erlaubt, sich mit maximal zehn Personen aus zwei Haushalten zu treffen, ist es also erstmal nicht möglich, sich mit kleinen Gruppen im Café zu treffen. Nun heißt es also, Fokus auf Vorlesungen und Seminare zu setzen. Einen Austausch über WhatsApp oder Facebook-Gruppen gibt es nämlich. Und auch wenn es wahrscheinlich etwas länger dauert, werden sich schon Freunde finden.

Die vier freuen sich auf jeden Fall auf ihre Zeit in Berlin und all die Erfahrungen, die sie sammeln werden. Und wie lange sie in der Metropole leben wollen, wissen sie noch nicht. Auch wenn es nicht unvorstellbar ist, irgendwann wieder nach Kevelaer zu ziehen, ist es momentan nicht in Planung für die Zukunft. Aber man könne nie wissen, wie es in ein paar Jahren aussieht.