Wüstenschiff mit 72 Pferdchen

Was soll man da sagen, wenn jemand etwas so offensichtlich absichtlich in den Sand setzen will wie Claudia und Michael Ingendae? Lieben sie die Herausforderung? Sind sie verrückt? „Es wird das größte Abenteuer unseres Lebens“, ist sich die Achterhoekerin immerhin bewusst. Und ergänzt: „Als ich mitbekam, dass das für einen guten Zweck ist, war ich endgültig dafür.“
„Das“ ist nicht mehr und nicht weniger als eine ausgewachsene Auto-Rallye. Werkteams und gut betuchte Privatfahrer knüppeln ja gern mal modifizierte Neufahrzeuge durch irgendeinen Wüstensand. Was die Ingendaes fahren, ist eine ganz andere Kategorie: eine „Rallye humanitaire“ mit gebrauchten PKWs, die am Ziel in Mauretanien zugunsten eines dortigen Waisenhauses versteigert werden.
Das „Dust and Diesel“-Rallyeprojekt wurde 2006 vom Würzburger Florian Schmidt ins Leben gerufen, um die von ihm in Zusammenarbeit mit dem Mauretanier Abdou Kane gegründeten Waisenhäuser in dem Wüstenstaat finanziell zu unterstützen. Seitdem brechen zwei Mal im Jahr rund 30 Teams aus Deutschland auf, um Fahrzeuge zu überführen. Und in diesem Jahr sind die Ingendaes dabei.
Vor fast anderthalb Jahren machten Freunde Michael Ingendae auf die Rallye aufmerksam. Weil er Mercedes-Fan ist. Genauer gesagt: Fanatiker. „Es gibt ja nur drei deutsche Automarken“, sagt der Achterhoeker grinsend, „Mercedes, Daimler und Benz“. Ein Exemplar ist zum „Fuhrpark“ dazugekommen, steht auf dem Hof, frisch geputzt, frisch beklebt von den Sponsoren, der Künstlerin Judith Schelbergen und ihrem Mann Mario. Stolze 532.000 Kilometer hat der 29 Jahre alte 200er Diesel in seinem Limousinen-Leben schon brav abgespult, jetzt kommt noch mal die Anreise zum nächsten „Einsatzort“ mit 5500 Kilometern hinzu. Auf eigener Achse, versteht sich.
Mit 72 munteren Pferdchen unter der Haube kann er sich wohl mit anderen Wüstenschiffen messen. Das Fahrwerk wurde erneuert, der ganze Wagen höhergelegt, Verschleißteile ersetzt, neue grobstollige Reifen montiert. „Der läuft“, sagt Michael Ingendae und klopft auf die Motorhaube. Ein Reserverad ist auf dem Dach montiert, ebenso eine Schaufel und ein Dachkoffer für Gepäck. Wobei Letzterer wieder runter muss, bevor er sich auf den Wüstenpisten von selber losrappelt, erzählt das abenteuerlustige Ehepaar.
Bei zwei Treffen haben sie sich mit anderen Teams aus Norddeutschland auf die Fahrt vorbereitet. In der spanischen Hafenstadt Tarifa treffen sich die Teilnehmer. Claudia Ingendae hofft, dass sie einiges Gepäck aus dem Dachkoffer auf andere Wagen verteilen kann. Denn einfach nur Bargeld nach Mauretanien bringen, das will sie nicht und hat deshalb fleißig gesammelt: Zahnbürsten umnd Zahnpasta für die 75 Kinder des Waisenhauses, jede Menge Sporttaschen und Rucksäcke, zum Beispiel.
Von Tarifa aus bringt die Fähre die Wagen rüber nach Marokko – und dort beginnt das große Abenteuer. Übernachtungen auf Campingplätzen, die Sterne nur vom Himmelszelt kennen. Campingkocher, Zelt, Schlafsäcke, Feldbett und Luftmatratze – ein wenig nachdenklich versuchen sich die Achterhoeker zu erinnern, wann sie das letzte Mal in einem Zelt übernachtet haben.
Ein Blick ins „Roadbook“, das alle Rallye-Teilnehmer erhalten, beruhigt auch nur ein wenig: Bisher haben es noch alle alten Wagen geschafft. Sicher, der eine oder andere musste schon mal aus einer Düne wieder herausgegraben werden, oder abgeschleppt, weil eine Spurstange Opfer der mörderischen Pisten wurde. Hinweise auf ein sehr dünnes Tankstellennetz oder auf Sandverwehungen und Bilder von Auto-Skeletts am Wegesrand lassen zudem die Dimensionen dieses Abenteuers erkennen.
Ein Ausflug von 20 Tagen, der im Übrigen auch nicht ganz billig ist: „Eine Kreuzfahrt wäre günstiger gewesen“, sagt das Ehepaar, das sich dann aber doch für die 20-tägige Fahrt mit dem braven Diesel-Wüstenschiff „vom Daimler“ entschieden hat.
Zum Schluss müssen wir aber von der soliden, schwäbischen Autotechnik auf moderne Kommunikation umschwenken. Denn auch dafür hat die Abenteuer-Tour der beiden Achterhoeker gesorgt: Claudia Ingendae hat sich bei Facebook angemeldet. „Da hatte ich vorher nichts mit im Sinn. Aber das funktioniert angeblich auch in der Wüste“, sagt sie und will damit während der Tour ihre Eindrücke kommunizieren.