Wieviel Medienkonsum ist noch gesund?
Smartphones, Tablets und Fernsehen: Medien sind heute aus dem Alltag von Kindern und Familien nicht mehr wegzudenken. Über die Dauer der Nutzung kommt es häufig zum Konflikt zwischen Eltern und ihren Kindern. Stephan Gnoß arbeitet in der Fachstelle für Suchtvorbeugung der Diakonie im Kirchenkreis Kleve. Vielfach wenden sich besorgte Eltern an ihn. Über einen gesunden Umgang mit digitalen Medien sprach das Kevelaerer Blatt mit dem Sozialarbeiter und Familientherapeuten.
KB: Herr Gnoß, wie viel Bildschirmzeit wird denn für Kinder überhaupt empfohlen?
Stephan Gnoß: Es gibt Richtzeiten, die ab dem 12. Lebensjahr am Tag zehn Minuten Bildschirmzeit pro Lebensjahr empfehlen, bei jüngeren Kindern sind es fünf Minuten. Genauso wichtig finde ich aber, dass Kinder noch rausgehen, Sport machen und sich mit Freunden treffen. Wenn die Kinder die nötige Reife haben und verantwortungsvoll mit Medien umgehen, können die Zeiten auch leicht variieren und man kann wochenweise Zeitbudgets festlegen. Zwischen dem 10. und 13. Lebensjahr wären das ca. 9 bis 12 Stunden Bildschirmzeit. Der Vorteil ist wie beim Umgang mit Taschengeld, dass Kinder so lernen, ihre Zeit selbstständig und eigenverantwortlich einzuteilen.
Im digitalen Zeitalter sollten Eltern aber zwischen Mediennutzung und Medienkonsum unterscheiden. Kinder und Jugendliche müssen heute oft für ihre Hausaufgaben im Internet recherchieren. Letztlich kommt es hier auch auf das Vertrauen an, das Eltern ihren Kindern entgegenbringen.
Hat die Mediennutzung in Zeiten von Corona stark zugenommen und kommen mehr besorgte Eltern zu Ihnen?
Die aktuelle JIM-Studie, die Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren in Deutschland zu ihrem Medienkonsum befragt hat, kommt zu dem klaren Ergebnis, dass Kinder in der Corona-Zeit mehr Zeit vor Bildschirmen verbringen. Danach verbrachten Jugendliche seit der Corona-Pandemie nach eigenen Angaben pro Tag mehr Zeit als vorher vor Bildschirmen und mit Musikhören und es ergab sich ebenso ein deutlicher Zuwachs bei der technischen Ausstattung der Jugendlichen.
Die meisten Eltern kommen zu uns, wenn das Familienleben aus den Fugen gerät oder wenn es etwa bei Handyentzug auf Seiten der Kinder zu Aggressionen kommt. Wir schließen dann mit den Eltern und ihren Kindern einen Mediennutzungsvertrag ab, der die Bildschirmzeiten täglich oder wöchentlich genau festlegt und bestimmt, wann das Handy ausgeschaltet wird. In einem solchen Vertrag sind Rechte und Pflichten genau geregelt; auch Kinder profitieren davon, dass sich die Eltern daran halten müssen. Und natürlich sollten Eltern auch mit ihrem eigenen Medienverhalten ihren Kindern ein Vorbild sein.
Was raten Sie Eltern, die zu Ihnen kommen?
Frühzeitige Absprachen und klare Regeln sind wichtig. Eltern sollten auf den Handys ihrer Kinder technische Schutzvorrichtungen einrichten, die verhindern, dass ihre Kinder gewaltverherrlichende oder pornografische Seiten schauen und solche Inhalte auf dem Handy landen. Wenn Eltern offiziell die Handybesitzer sind, dann haften sie auch im strafrechtlichen Sinne dafür. Das gleiche gilt für die Computer im Haushalt. Nähere Informationen gibt es etwa auf der Seite www.klicksafe.de.
Eltern verneinen oft entrüstet, wenn ich sie frage, ob sie ihre Kinder unter 12 Jahren einfach Alkohol trinken lassen. Dann lassen sie aber vielfach ihren Kindern im Internet freie Hand und unterschätzen die Gefahren, denen sie ihre Kinder aussetzen.
Wir stellen zunehmend fest, dass sich der Erziehungsstil verändert: Eltern wollten heute häufig Partner und Freunde ihrer Kinder sein, Erziehung heißt aber neben Zuwendung und Liebe auch, Grenzen zu setzen, Orientierung zu geben und konsequent zu sein.
Was sind typische Spiele, die Sie als problematisch ansehen?
Die meisten Spiele sind für Kinder und Jugendliche ja sehr reizvoll – und da beginnt oft auch die Problematik. Das eine sind gewaltverherrlichende Szenen bei manchen Spielen, hier sind insbesondere die Altersangaben der Spielehersteller kritisch zu sehen. Die unabhängigen pädagogischen Empfehlungen wie z.B. auf www.spielbar.de liegen da deutlich darüber, an diesen sollten sich Eltern orientieren. Problematisch sehe ich auch bei vielen dieser kostenlosen Spiele die In-Game-Käufe, wie z.B. die Skins bei Fortnite, die zu einem höheren Status führen.
Das andere sind eingebaute Glücksspielmechanismen wie z.B. bei Brawl Stars und Coin Master, die in Kinderzimmern nichts zu suchen haben. Kritisch sehe ich auch so genannte Lootboxen in anderen Spielen, die Spielvorteile bringen können. Diese Belohnungs- und Bezahlsysteme sind für Kinder und Jugendliche schwer zu durchschauen und sollen die Zielgruppe auf Dauer eng an das Spiel binden. Man darf ja nicht vergessen, dass es sich hier um Konzerne mit einem Umsatz in Milliardenhöhe handelt – deren Ziel heißt: Geld verdienen. In diesem Zusammenhang halte ich die momentane Aufweichung des Glücksspielstaatsvertrages zugunsten dieser Konzerne für einen wenig beachteten Skandal.
Nicht zuletzt sollten Eltern auch die Gefahr des Cybergrooming bei der Chatfunktion der verschiedenen Online-Spiele und sozialen Netzwerke im Blick haben.
Interview: Doris de Boer