Wie ein Fisch im Wasser

Im Marianischen Jahr 1987 erlebte Kevelaer viele herausragende Persönlichkeiten: So waren der damalige Kardinal Josef Ratzinger, Papst Johannes Paul II. und Mutter Teresa von Kalkutta in der Marienstadt. Am Sonntag, 4. September, wird die Nonne nun heilig gesprochen. Der von ihr gegründete Orden der Missionarinnen der Nächstenliebe besitzt 700 Häuser mit weltweit 5.100 Schwestern, die „Mutter-Teresa-Schwestern“. Großen Anteil daran nehmen Raphaël und Nicola von Loë. Ihre Tochter Jadwiga (* 1989) begann vor drei Jahren die Ausbildung in diesem Orden. Das Kevelaerer Blatt sprach mit den beiden.
KB: Waren Sie 1987 dabei, als Mutter Teresa Kevelaer besuchte?
Raphaël von Loë: Meine Frau und ich lebten damals noch in Bremen und die Geschehnisse in Kevelaer liefen Gefahr, an uns vorbei zu gehen. Allerdings entstand im Rahmen dieser Tagung ein Foto von Mutter Teresa mit dem damals die Wissener Kapellengemeinschaft betreuenden Father Joseph, der für ein Jahr bei Butzon und Bercker eine Ausbildung machte. Dieses Foto steht in unserem Wohnzimmer und verbindet uns bereits seit Jahren mit Mutter Teresa.
Im Übrigen war meine Schwester nach ihrer Schulzeit für einige Monate als Volontärin in Kalkutta und erlebte sie dort persönlich.
Was hat Ihre Tochter bewogen, gerade diesem Orden beizutreten?
Nicola von Loë: Aufgrund eines Impulses aus ihrer geistlichen Gemeinschaft Totus Tuus, über Mutter Teresa ihre Bachelorarbeit zu schreiben. Sie schrieb sie über Auswirkungen auf die soziale Arbeit in Deutschland. Ob diese intensive Befassung mit ihr den Wunsch auslöste, das Leben und Wirken der Schwestern als freiwillige Helferin in einem Konvent in Neapel zu erleben (dort konnte sie auch das erlernte liebgewonnene Italienisch anwenden) oder sich schon grundsätzlich in ihr regte, gehört zum Verborgenen ihrer Berufungsgeschichte. Wir erlebten sie in der Zeit dort lebendig wie ein „Fisch im Wasser“, also in ihrem Element.
Wie gestaltet sich der Kontakt zu Ihrer Tochter? Wo lebt sie und wie sieht ihr Tagesablauf aus?
Nicola von Loë: Wie ein Fisch im Wasser erleben wir sie auch weiterhin in den monatlichen brieflichen und telefonischen Kontakten. Das Gleiche gilt, wenn wir sie ein Mal im Jahr besuchen und über Tag aus dem Konvent (nicht jedoch ins Restaurant) mitnehmen können.
Der Tagesablauf bewegt sich zwischen 4.40 und 21 Uhr, beginnend mit Hausarbeit, Gebetszeit, Hl. Messe, dazu, je nach Ausbildungsphase, Unterricht. Nachmittags folgt nach einer weiteren stillen Gebetszeit das „Apos­tolat“, also das Sichkümmern und Aufsuchen der Ärmsten. Dies geschieht in deren anvertrauten Häusern oder an Orten ausgegrenzter Bevölkerungsgruppen wie der Zigeuner, einsamer Aids- oder Suchtkranker, hilfsbedürftiger alter und obdachloser Menschen. Ebenso gehören die aufmerksame Fürsorge und der lebendige Austausch der Schwestern untereinander, auch mit den schwerkranken Schwestern der Gemeinschaft zur liebevollen Grundstruktur des Täglichen.
Was fasziniert Sie besonders an der Persönlichkeit von Mutter Teresa?
Nicola von Loë: Ihre Ehrlichkeit, Entschlossenheit und ihr „Allesgeben“ ohne Bedauern in ihrer alles durchdringenden Liebe.
Werden Sie bei den Feierlichkeiten der Heiligsprechung dabei sein?
Raphaël von Loë: Ja, für die Angehörigen gibt es über die Schwestern besondere Möglichkeiten, an den Feierlichkeiten teilzunehmen, wie auch am Vortag der Heiligsprechung eine Katechese, die Papst Franziskus den Schwestern hält.
(Interview: Doris de Boer)


Historisches

Am 19. September 1987 besuchte Friedensnobelpreisträgerin Mutter Teresa den Marianischen Weltkongress in Kevelaer. Mit Tausenden Gläubigen betete sie im Marienpark den Rosenkranz und zwängte sich im Laufe des Tages ebenso bescheiden wie selbstbewusst aus dem überaus straff organisierten Programm: Sie bat darum, den Zeitplan durchbrechen zu dürfen, um in Ruhe beten zu können. „I need my meeting with my Lord.“ (Ich brauche die Begegnung mit meinem Herrn).
Dieses kleine große Wort zitierte der Düsseldorfer Bildhauer Bert Gerresheim nach dem Tod von Mutter Teresa auf einem Reliquiar aus seinen Händen, das in der Marienstadt mit einem Streifen ihres blau-weißen Gewands an die Gründerin der „Missionarinnen der Nächstenliebe“ erinnert.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Gerresheim sie längst als Maria im Kreuzweg der St.-Antonius-Pfarrkirche an der 13. Station porträtiert: „Jesus wird vom Kreuz abgenommen.“ Auch in der 8. Station erkennt der Betrachter unter den Frauen, die um Jesus weinen, Mutter Teresa.
Ein nicht minder eindrucksvolles Porträt ist auf dem Portal der Nächstenliebe zu sehen: Die sehr kleine Frau mit übergroßer Hand, die sie behutsam und bescheiden nur an den Schrein des Gnadenbilds gelegt hat. Klein und zupackend haben die Kevelaerer sie bis heute in Erinnerung. So lief sie zum Podium durch den Marienpark, nutzte unterwegs ihre Hände, um Kinder auf den Arm zu nehmen und andere Hände zu schütteln.
Was viele empfanden, fasste Bürgermeister Karl Dingermann damals zusammen: Neben der kleinen Frau mit ihrem Einsatz für Arme und Kranke könne er sich selbst nur klein fühlen. Sie hatte nichts, was nötig schien, um in der Welt Großes zu bewegen. Sie wirkte in Indien, wo Frauen oft nichts gelten, sie war klein, schwer gebeugt, herzkrank, arm, ohne jede Aggressivität oder Macht und verändert doch durch ihr Vorbild und ihr Werk bis heute immer wieder Menschen und deren Lebenssituation.
Ihr eigenes Vorbild war die Muttergottes. Am Gnadenort der Trösterin der Betrübten betete sie zu Maria. Weihbischof Heinrich Janssen übersetzte: „Maria, Mutter Jesu, gib uns dein Herz, so schön, so rein, so unbefleckt, dein Herz so voll Liebe und Demut, damit wir Jesus empfangen können in dem Brot des Lebens, ihn lieben, wie du ihn liebst, ihm dienen in der leidenden Gestalt der Armen. Maria, mach uns zu Boten seiner Liebe und seines Friedens.“ Mutter Teresa starb 1997 – zehn Jahre nach ihrem Besuch in Kevelaer. (eve)