Was wäre ohne Sand und Kies?
Wussten Sie, dass Sie pro Tag 19 Kilogramm Sand und Kies verbrauchen? Zumindest ist das der statistische Durchschnitt der in Deutschland verbauten Rohstoffe, wie die Initiative „Zukunft Niederrhein“ errechnet hat. Der Zusammenschluss aus Sand- und Kiesunternehmen warnt vor einem problematischen Rohstoffmangel, wenn nicht bald Genehmigungen für neue Abgrabungen oder die Erweiterung bestehender Abgrabungen erteilt werden.
„13 Firmen mit 27 Standorten sind im Initiativkreis zusammengeschlossen“, erläutert Paul Schaffers, Geschäftsführer der in Twisteden ansässigen Firma Welbers. „In den nächsten fünf Jahren werden davon elf Standorte ersatzlos geschlossen und in den Folgejahren noch einmal elf weitere.“ Dann sind die genehmigten Flächen abgegraben. Eine Rolle dabei spielt sicherlich die restriktive Politik der früheren rot-grünen Landesregierung, doch auch unter Schwarz-Gelb sieht es für die Kiesindustrie nicht rosig aus. Tatsächlich sind die Argumente insbesondere gegen eine Erweiterung bestehender Abgrabungen nicht immer leicht nachzuvollziehen.
„Nach dem Krieg gab es hier in der Hanglage viele wilde Abgrabungen“, beschreibt Schaffers die Situation am Rande des heutigen Werks in Wemb. „Wir haben diesen Hang wieder hergerichtet – und das wird uns jetzt vorgeworfen.“ Denn jenseits des Hangs läge ein gutes Gelände für eine Erweiterung der in zwei Jahren erschöpften Abgrabung. Erweiterungen werden jedoch nur „angrenzend“ genehmigt – und bis zu welcher Entfernung man noch von „angrenzend“ sprechen kann, das müssen jetzt Gerichte klären. „Für Firmen sind Erweiterungen natürlich interessanter als neue Gebiete“, betont Schaffers, denn für jedes Gebiet müsse in Technik und Infrastruktur investiert werden.
Häufig sind es auch nicht die betroffenen Gemeinden, die sich quer stellen, sondern der Kreis Kleve oder die Bezirksregierung. „Der Kreis Kleve ist sehr restriktiv“, findet Schaffers, gesteht aber zu, dass es hier im Bundesvergleich schon überdurchschnittlich viele Werke gibt. Die Gemeinden freuen sich meist über die Arbeitsplätze. „90 Prozent unserer Mitarbeiter kommen aus der Umgebung der Standorte“, schätzt der Welbers-Chef.
Gäbe es denn – unabhängig vom nachvollziehbaren Interesse der Branche – keine alternativen Quellen für Sand und Kies? „90 Prozent des Bauschutts werden heute schon recycelt“, berichtet Schaffers, „viel mehr ist kaum möglich. Daraus bekommt man auch keine hochwertigen Stoffe. Sand und Kies sind zudem regionale Produkte. Der Transport über weite Strecken wäre viel zu teuer und brächte große Mengen CO2-Ausstoß mit sich. Abgrabungen an der Meeresküste haben zudem das Problem, dass erst das Salz aufwendig entfernt werden muss. Und Wüstensand hat eine andere Struktur, die für die meisten baulichen Zwecke schlicht ungeeignet ist. Die Sand- und Kiesgewinnung auf Flächen des Braunkohletagebaus ist ebenfalls keine Alternative. „Die brauchen den größten Teil für ihre eigene Rekultivierung und der Rest hat nicht immer die beste Qualität“, weiß Schaffers.
Hinzu kommt, dass beispielsweise für Beton eine Mischung aus 60 Prozent Körnung und 40 Prozent Sand erforderlich ist. „Je näher man einer Flussmündung kommt, desto größer ist beim Abbau der Sandanteil“, schildert Schaffers. Orte an größeren Flüssen würden daher tatsächlich Sand oder Kies verschiffen. „Ansonsten werden Sand und Kies immer lokal produziert.“
Wirklich verstehen kann der Kevelaerer CDU-Politiker auch die Gegenwehr gegen die Abgrabungen nicht. Schließlich werden die Flächen später renaturiert, und das in enger Abstimmung mit der jeweiligen Gemeinde. Viele Baggerseen sind heute wieder wertvolle Ökosysteme oder attraktive Gebiete zur Naherholung – letzteres allerdings war vielerorts lange nicht gewollt.
Aber auf Sand und Kies zu verzichten, kann nicht die Alternative sein. „Die OW1 wird große Schüttmengen brauchen, zum Beispiel für Rampen. Ich wüsste nicht, wer das im Moment hätte“, veranschaulicht Schaffers den Ernst der Lage. Anders als bei der Erneuerung bestehender Straßen können man hier auch kein altes Material recyceln. „Der Tiefbau boomt und viele Lieferanten nehmen keine neuen Kunden mehr an.“ Auch die Firma Welbers habe schon manche Anfrage ablehnen müssen.
„Viele Menchen erkennen nicht mehr, dass wir diese Stoffe brauchen“, hat Schaffers den Eindruck. Häuserbau, Straßenbau, Glasherstellung – selbst die Zahnpasta enthält Produkte der Branche. „Und der Qualitätsanspruch ist gestiegen. Waschbeton beispielsweise ist heute nicht mehr denkbar.“
Die Firma Welbers plant im Kevelaerer Stadtgebiet keine neuen Abgrabungen. In Twisteden gibt es zum Beispiel noch eine größere Fläche, die im Gebietsentwicklungsplan als Fläche für die Gewinnung von Sand und Kies vorgesehen ist. „In dieser Fläche liegen aber viele Häuser, Gärtnereien und Bauerhöfe, sodass sie nicht vollständig und ohne Beeinträchtigung der Anwohner genutzt werden kann“, erklärt der Geschäftsführer. „Wir versuchen die Flächen zu halten, die von der Bevölkerung anerkannt sind“, im Fall Welbers also in Wemb und Geldern.
Flächen wie die in Twisteden sind es jedoch, mit denen der Kreis Kleve argumentiert, dass die Unternehmen noch genügend Möglichkeiten hätten. „Wer ernsthaft sucht, findet immer einen Konsens“, glaubt Schaffers – doch der Konsens werde derzeit gar nicht mehr gesucht. „Wenn Hersteller und Verwaltung zusammenarbeiten, kann man Tolles machen, siehe Xanten oder die Niederlande. Auch die Maasdünen sind durch finanzielle Mittel der Abgrabungen finanziert, die dort liegen.“
Tatsächlich ist auch Kevelaer von der Frage nach neuen Abgrabungen betroffen. Die Hüdderath-Fläche wird zwar Richtung Weeze erweitert, aber in Kervenheim hat die Firma Grotendonk eine Erweitertung beantragt und ein Unternehmer aus den Niederlanden, der dort keine Flächen mehr hat, möchte ebenfalls dorthin. Eine geeignete Fläche gäbe es übrigens auch auf Wettener Gebiet. „Aber das wollte die CDU nicht“, erinnert sich Schaffers, „die Menschen sehen oft nur die kurzfristige Belastung.“ Auf lange Sicht entstehe dabei ein Mehrwert für alle.