Vom Macher zum Krisen-Manager
Dominik Pichler blickt einmal mehr auf sein Mobiltelefon. E-Mails, Nachrichten, Social-Media. Anordnungen, Nachrichten, Reaktionen auf seine Videos in den „Kävels News“ auf der Internetseite des Kevelaerer Blatts. „Ich hoffe, wir kommen jetzt in ein etwas ruhigeres Fahrwasser“, sagt Kevelaers Bürgermeister, dessen Alltagsabläufe sich in den vergangenen Wochen radikal geändert haben. Er ist vom Macher zum Krisen-Manager geworden.
Auch auf dem Terminplan des Bürgermeisters sind alle öffentlichen Termine weggebrochen. Keine Besuche bei älteren Menschen, keine Heimatabende, keine Versammlungen der Freiwilligen Feuerwehren. Keine Ausschuss- und Ratssitzungen. Eigentlich müsste der Terminkalender doch leer sein, oder?
Keineswegs! Es sind ganz andere Termine hinzugekommen: „In den vergangenen Wochen hat der Krisenstab der Verwaltung beinahe täglich die aktuelle Lage beraten“, sagt Pichler. Und die Dynamik der Ereignisse hat auch die Kevelaerer Verwaltung oftmals überholt, blickt der Bürgermeister zurück: „Da haben wir uns lange darüber Gedanken gemacht, wie wir in unserer Wallfahrtsstadt mit dem Thema Gottesdienste umgehen wollen“, erinnert er sich, dass er nach einem Treffen mit den Kirchenspitzen Kevelaers die Kollegen in der Verwaltung informierte und die Pläne mit dem Krisenstab anpasste. „Keine drei Stunden später kam die Entscheidung des Bistums.“ Gottesdienste sollten nur noch ohne Besucher gefeiert werden. Ein wenig wirkt das wirklich so, als ob die Verwaltung von den „Veränderungen von oben“, wie Pichler sie nennt, regelmäßig überholt worden wäre. Blinder Aktionismus also? Nein, meint der Chef der Verwaltung. Nichtstun wäre sicherlich keine Alternative gewesen.
Kein eigenes Süppchen bei den Eisdielen
Gegen eine „Panikstimmung“ in der Verwaltung spricht auch eine andere Neuerung, die dem Ersten Bürger der Wallfahrtsstadt wichtig ist: der intensive Austausch mit seinen Bürgermeisterkollegen und dem Landrat des Kreises, erst in persönlichen Treffen in Kleve und Kevelaer, inzwischen per Telefon- oder Videokonferenz. „16 plus Eins“, nennt er die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Konferenzen. Hört sich irgenwie ein bisschen an wie „G8“. „Und alle sind es gewohnt, etwas zu sagen zu haben“, kann er sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Aber man lerne voneinander, nicht jeder müsse das Rad für sich neu erfinden. Und es wäre falsch, wenn da jeder sein eigenes Süppchen kochen würde. Wie etwa bei den Eisdielen, erinnert er sich, dass Kevelaer da schnell nachgebessert habe, als sich die Abhol-Regelung in anderen Kommunen als praktikabel erwiesen habe. Mittlerweile darf man auch in Kevelaer verpacktes Eis an der Diele abholen – aber wie bei Restaurants und Imbissen im Umkreis von 50 Metern nicht verzehren!
Auch der direkte Kontakt zu den Fraktionsvorsitzenden der Rats-Parteien sei ihm wichtig, sagt der Bürgermeister in diesem Zusammenhang und erinnert damit etwa an die Absprachen zu den Kita- und OGS-Beiträgen. Auch hier wurden Verwaltungschef und Fraktionsspitzen mittlerweile durch eine Einigung des Landes und der kommunalen Spitzenverbände überholt. „Wir hatten an eine Lösung gedacht, die finanziell zu 100 Prozent zu Lasten der Kommune gegangen wäre“, erklärt Pichler. Nun teilen sich Eltern, Kommunen und Land die Kosten, übernehmen je ein Drittel.
Interne Umstellungen in der Verwaltung im Rathaus und am Hoogeweg sind ein weiteres Thema, mit dem sich der Verwaltungschef in Krisenzeiten gemeinsam mit dem Stab engster Mitarbeiter beschäftigt. Auch hier gibt‘s teilweise Home-Office, Büros mit Einzelarbeitsplätzen und getrennte Schichten, um unnötige Kontakte zu vermeiden und die Arbeitsfähigkeit auch im Ernstfall zu gewährleisten. Als Beispiel nennt Pichler auch die Stadtwerke, die voneinander unabhängige Teams für die Bereiche Wasser, Abwasser und Stromversorgung eingerichtet haben.
„Der Souverän ist immer noch der Rat“
Wichtig ist Bürgermesiter Dominik Pichler in der Zeit der Corona-Krise auch die Öffentlichkeitsarbeit. Regelmässig trifft er sich mit Ludger Holla und Pressevertretern zum Austausch. Zudem informieren beide Kevelaerer die Pressevertreter sofort, wenn es konkrete Ereignisse gibt, die an die Bevölkerung weitergegebenwerden sollen.
„Kävels News“ – TV
Und nicht zuletzt wendet sich der Bürgermeister per Videobotschaft immer wieder direkt in den „Kävels News“ persönlich an die Kevelaererinnen und Kevelaerer. Als Kommentar zu Rats- und Ausschussitzungen auf den Internet- und Facebook-Kanälen des Kevelaerer Blattes schon vor längerer Zeit eingeführt, sind diese Botschaften jetzt ein wichtiger Baustein der Öffentlichkeitsarbeit. „Dieses Format musste nicht erst etabliert werden un die Rückmeldungen dazu sind mehrheitlich positiv.“ Das haben mittlerweile auch andere Bürgermeister im Kreis erkannt und tun es Pichler gleich.
Ein Blick des Ersten Bürgers in die Zukunft? „Das käme einem Blick in die Glaskugel gleich“, sagt Pichler, der im übrigen das besonnene Auftreten der Regierungen in Bund und Land lobt. „Ich glaube, die machen einen guten Job.“ Es komme aber jetzt auch darauf an, eine schrittweise Rückführung zur Normalität vorauszuplanen. „Der soziale Friede muss erhalten bleiben. Und ab dem 20. April müssen wir uns langsam zurücktasten.“ Als „gutes Zeichen“ in diese Richtung wertet er, dass die Abi-Prüfungen zwar verschoben worden sind, aber noch in diesem Schuljahr stattfinden sollen. Das Kardinal-von-Galen-Gymnasium habe einen Termin im Bühnenhaus angefragt, um dort die Prüfungen unter entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen durchführen zu können.
In den nächsten Wochen werde man genau beobachten, ob die ergriffenen Maßnahmen die erhoffte Wirkung zeigten – eine möglichst flache Kurve bei den Neuinfizierungen, damit das Gesundheitssystem nicht überfordert werde. Erst dann könne man begründete Entscheidungen zu Veranstaltungen treffen, wie etwa die Kevelaerer Kirmes, die Eröffnung des Solegartens St. Jakob, aber auch die Kulturveranstaltungen im Bühnenhaus, Schützenfeste, die Kirmes in Winnekendonk oder das Ballonfestival.
Den kommenden Sitzungszyklus im Mai wolle man, wenn es irgendwie gehe, gerne aufrecht erhalten. „Der Souverän ist immer noch der Rat“, sagt Pichler, der die Besonnenheit und Kooperation des Stadtparlaments in der Krisenzeit explizit lobt. Es gebe bislang „kein unnötiges Sperrfeuer aus den eigenen Reihen“. Er habe den Eindruck, dass alle bei der Bewältigung der Krise mithelfen wollten. Wie die Sitzungen in der Praxis abgehalten werden können, weiß Pichler noch nicht konkret. Er lässt aber keinen Zweifel daran, dass er von so genannten „Umlaufbeschlüssen“, wie sie derzeit diskutiert werden, wenig hält. Dabei werde die Öffentlichkeit weitestgehend ausgeschlossen, „und die Öffentlichkeit hat, wenn man sich die Ausschüsse und Ratssitzungen in den vergangenen zwei Jahren anschaut, in Kevelaer sehr zugenommen.“ Eher schon kann er sich vorstellen, dass sie die politischen Vetreter mit der Verwaltung im Bühnenhaus treffen. Der Raum ist groß genug und interessierte Bürgerinnn und Bürger könnten von der Empore aus auch zuschauen.
Kein Osterurlaub
Wieder und wieder meldet sich im Laufe des Gesprächs mit dem Kevelaerer Bürgermeister das Mobiltelefon. Ist es schwerer, in solchen Zeiten den Überblick zu behalten? Dominik Pichler verneint. Ja, manchmal gehe er abends ins Rathaus, um sich noch mal in Ruhe durchzulesen, was den Tag über so an Meldungen, An- und Verordnungen im Verwaltungsdeutsch über ihn hereingebrochen sind. Und ein Home-Office habe er sich auch inzwischen eingerichtet. Schon allein, weil er auch mal auf die Kinder aufpasse, wenn seine Frau arbeite oder das Haus verlasse, denn seine Schwiegermutter solle das ja nun derzeit lieber nicht tun. Sagt‘s, zuckt beim Hinweis auf den abgesagten traditionellen Familien-Osterurlaub – Wandern in Berchtesgarden – und das eigentlich geplante Konzert mit dem Familienchor mit den Schultern, blickt wieder aufs Handy und sagt: „Wenn wird das Problem aus der Gemeinschaft heraus gelöst bekommen, dann haben wir gewonnen.“ Er arbeitet dran…