Tempo 50 für mehr Sicherheit
Zu so mancher Stunde geht hier kaum etwas. Im Berufsverkehr und an Tagen mit großen Veranstaltungen staut sich der Verkehr von der B9 über die Rheinstraße bis hinter Schravelen. Doch zu anderen Zeiten gilt in der S-Kurve vor Kevelaer Tempo 70.
Mittendrin liegen eine Bushaltestelle und ein viel genutzter Radwanderweg quert hier. Gefährliche Situationen sind an der Tagesordnung. Forderungen der Anwohner und Anträge aus der Politik, hier Tempo 50 einzurichten, fanden entweder keine Mehrheit oder rechtliche Einwände.
Jetzt, nach einem schweren Unfall, ging es plötzlich schnell: Seit Montag gilt von der Rheinstraße bis zum Ende der Bebauung entlang der Straße Schravelen Tempo 50.
Bei einer Ortsbegehung vor einigen Tagen waren die Spuren des schweren Unfalls vom 7. Mai noch zu sehen. Dort war eine 66-jährige Radfahrerin mit dem Kastenwagen eines 55-jährigen Kevelaerers kollidiert, der zufällig auch noch städtischer Mitarbeiter war und von Kevelaer aus auf der L 491 Richtung Winnekendonk fuhr. Die Frau wurde schwer verletzt.
Dass solche Unfälle an dieser Stelle passieren können, ist aus Klaus Schreiners Sicht nicht überraschend. Der 66-jährige Geschäftsführer der „S-M-S schreiner machine service“ sitzt am Schravelner Niersweg 1 genau mit Blick auf diese Stelle. Das Problem mit der Straße gebe es schon etliche Jahre, sagt er. „Den ersten Unfall, das weiß ich noch, da war ein Motorrad involviert. Dann weiß ich, dass Bekannte von uns, die quasi auf der Straße gewohnt haben, auch mal angefahren worden sind.“
Seit Jahrzehnten treibt ihn diese Verkehrssituation um. „Diese Pläne stammen aus dem Jahr 1982“, zeigt er eine Karte mit der Straßenführung der Landstraße, wo damals tatsächlich ein Kreisverkehr als Option eingezeichnet war. In dem Papier finden sich auch Aussagen einer Anwohnerin, die schon damals vor den Gefahren des Verkehrs auf der L 491 warnte.
Das Problem an der Stelle sei ganz einfach. „Wenn Sie als Radfahrer da stehen und da rausfahren wollen, können sie nur 50 Meter sehen. Und dann kommen die Fahrzeuge Richtung Winnekendonk mit 70 km/h an.“ Die Reaktionszeit sei dann viel zu kurz. „Da bin ich 50 Meter weiter, bevor ich überhaupt sehe, dass sich ein Kind oder ältere Erwachsene auf der Straßen bewegen.“
Regelmäßig fahre ein älterer Herrn mit seinem Rad vom Schravelener Niersweg aus rechts auf die Straße Richtung Winnekendonk und quere und drehe dann irgendwann später – wegen der Gefahr, dass bei der Überfahrt in der Kurve etwas passieren könne.
Für Schreiner war die Sachlage schon vor dem Unfall klar: „50 km/h müsste da schon stehen und an die Lampe gehört ein Spiegel dran, damit man noch mehr sieht.“
Beim Ortstermin des Kevelaerer Blattes passierten Frauen mit Kind, ältere Männer und die 70-jährige Maria Seegers den Übergang. „Den finde ich ganz grässlich. Wenn man links guckt, kommt keiner, kommt rechts einer – und umgekehrt. Man kommt kaum rüber. Und die Einsicht mit der scharfen Kurve ist noch schlechter.“ Da könne man schlicht nur „nach Gefühl gehen“ beim Losfahren. Und von Winnekendonk aus seien die Autos oft zu schnell.
Seegers sieht das Risiko aber auch bei den Radfahrern. „Ich habe schon selbst welche gesehen, die ohne anzuhalten rübergebraust sind, die nicht mal absteigen. Das gibt es auch.“ Nur einen Tag später gab es in der Kurve in Richtung Winnekendonk erneut einen Auffahrunfall.
Die Stelle entschärfen, das wünscht sich auch Daniel Wouters, Mitbetreiber des Zeltplatzes Anna Fleuth. „Das ist katastrophal, weil diese Ecke einfach kein Geheimnis ist. Der Unfall zeigt, wie gefährlich die ist“, regt er sich schon lange darüber auf. Viele seiner Gäste kommen mit dem Rad. „Und für Familien mit Kindern ist es super gefährlich, da über die Straße zu fahren.“
Denn sie müssten den Weg nach Kevelaer schon so nehmen. „Ich persönlich kann diese Strecke guten Gewissens mit meinen Kindern nicht mehr fahren und man sieht jetzt, warum“, sagte er in Bezug auf das da noch geltende Limit von 70 km/h.
Den schon früher erwogenen Kreisverkehr hält er für eine super Idee am Abzweig „Schravelsche Buer“, wo „der Abzweig mit dem Rad ist und die Autos mit 70 da entlang brettern.“ Im Gespräch mit dem KB plädierte er dafür, „auf 50 runterzuschrauben und ein Gefahrenschild ,kreuzende Radfahrer‘ hinzustellen.“
Ähnlich denkt Eckehard Lüdke, Sprecher des ADFC im Kreis Kleve. „Weil die Anzahl der Radfahrer ja zunehmen wird, wäre es unverantwortlich darauf zu warten, bis es ein zweites Mal kracht. So ein Unfall erschüttert mich. Da sollte alles getan werden, damit sich so ein Unfall auf gar keinen Fall mehr wiederholt.“
Lüdkes Favorit ist ein Mini-Kreisverkehr auf der Grotendonker Straße, ein Linksabbiegeverbot am Schravelener Niersweg und das Anlegen eines vernünftigen Radweges auf beiden Seiten der Kevelaerer Straße. Davon hätten alle was. „Mal sehen, ob so ein Modell politisch mehrheitsfähig wäre.“ Der ADFC wolle in Zukunft auf jeden Fall Mitglied in der Unfallkommission werden.
Die Kevelaerer Politik steht inzwischen geschlossen hinter der Temporeduzierung. CDU-Fraktionschef Mario Maaßen sagte dem KB, „Straßen.NRW“ habe seiner Erinnerung nach 2017 die Reduzierung abgelehnt. Und die Polizei als Behörde habe immer gesagt, das sei nicht nötig. „Das scheint sich jetzt zu ändern.“ Fachleute sollten konkrete Vorschläge hinsichtlich der Maßnahmen erarbeiten, zeigte er sich noch unsicher, ob die Geschwindigkeitsbegrenzung allein das Mittel sei. „Auch 50 kann schnell sein. Und die Sicht ist so schlecht, dass man mit dem Rad schon zügig unterwegs sein muss.“ Man werde sich da sicher fraktionsübergreifend einig werden können.
KBV-Fraktionssprecher Günter Krüger verwies auf den Tempo-50-Antrag seiner Fraktion vom 5. Oktober 2019. „Da ist nix draus geworden. Das hängt damit zusammen, dass es eine Landstraße und keine Kevelaerer Straße ist.“ Die Grünen haben einen entsprechenden Antrag sogar schon vor Jahren gestellt, wie Fraktionschef Ulrich Hünerbein-Ahlers in Erinnerung ruft. Die Polizei habe damals den Antrag sogar befürwortet.
Im Rat habe es jedoch keine Mehrheit dafür gegeben, da der Landesbetrieb Straßenbau sich dagegen ausgesprochen habe. Solange keine schweren Unfälle passierten, sehe man das halt nicht als Unfallschwerpunkt „Aber das muss man vorher erkennen können“, kritisierte er.
Aus Sicht von FDP-Fraktionschef Jürgen Hendricks seien „weiterführende Maßnahmen nötig, weil die Strecke von vielen Radfahrern und Joggern genutzt wird.“
„Die Verkehrsunfallkommission hat im November 2019 getagt. Im Februar hat sie dann entschieden, dass keine Maßnahmen zu treffen sind“, bestätigte Bürgermeister Dominik Pichler. Die Stelle sei demnach kein Unfallschwerpunkt, habe es damals geheißen.
Der Unfall schließlich hat bei den beteiligten Behörden etwas in Gang gesetzt. Von der Kreispolizei kam nach einer Ortsbegehung ein klares Signal: „Wir haben die Empfehlung gegeben, die Geschwindigkeit zu reduzieren“, sagt deren Pressesprecher Ingo Schankweiler.
Bei Straßen.NRW will man von dem Standpunkt, dass es kein Unfallschwerpunkt sei, nicht abrücken. Was aber Maßnahmen betrifft, scheint Pressesprecher Gregor Hürter aufgeschlossen: „Da müssen wir abwarten, was die Stadt sagt – und dann müssen wir dazu Ja oder Nein sagen.“ Sie haben Ja gesagt – für die 66-jährige Radfahrerin leider zu spät.