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Corona zerstört Hoffnung auf Wiedersehen

Kurz vor dem Ziel zerstört die Corona-Pandemie für viele Flüchtlingsfamilien die Hoffnung auf ein Wiedersehen. Erteilte Visa sind wieder verfallen, die Einreiseberechtigung muss im Verfahren der „Neuvisierung“ erneut beantragt werden – innerhalb eines Monats. „Wir haben in den vergangenen Monaten gesehen, was alles möglich ist – wenn der Wille da ist“, sagt der Flüchtlingsbeauftragte des Bistums Münster, Helmut Flöt­otto. Mit gutem Willen muss es nach Auffassung des Referatsleiters Soziale Arbeit im Diözesancaritasverband möglich sein, hier unbürokratische Lösungen zu finden. Wenn eine Verlängerung nicht möglich sei, müssten wenigstens die Fristen für die Neuvisierung weiter gefasst und das Verfahren möglichst einfach gestaltet sein.

Was das Auslaufen der Visa in der Praxis für die betroffenen Familien bedeutet, erlebt Gudrun Blumenkemper in der Migrationsberatung für Erwachsene der Caritas Geldern-Kevelaer. Ein Syrer hatte am 30. Oktober 2018 den Antrag bei der Deutschen Botschaft in Damaskus stellen können, am 10. März 2020 wurde das Visum erteilt, doch der sofort gebuchte Flug ist coronabedingt verfallen, berichtet Blumenkemper. Da es keine Flüge von Damaskus gibt, hätte er von Beirut starten müssen, aber in den entscheidenden Tagen wurde die syrische Grenze geschlossen. Am 7. Juni ist sein Visum ausgelaufen. Sohn und Frau hat er seit sieben Jahren nicht mehr gesehen.

Blumenkemper schaut jetzt ständig nach, ob es schon Informationen der Botschaft in Beirut gibt zum Verfahren der Neuvisierung, das ab dem 1. Juli beginnen sollte. Seitdem sind überhaupt erst wieder Einreisen nach Deutschland im Rahmen der Familienzusammenführung möglich. Erst mit den Infos der Botschaft kann der neue Antrag gestellt werden. „Dann kommt es darauf an, welche Unterlagen wieder beigebracht werden müssen“, erklärt die Migrationsberaterin in ihrem Büro in Kevelaer.

Schwere Vorwürfe gegen die Botschaften: Absichtliche Erschwernisse für Familien

Ein zähes Verfahren ist die Familienzusammenführung schon immer gewesen, ausgeschöpft wurde das Kontingent von 1.000 Personen pro Monat nie, kritisiert Flötotto. Angeblich gebe es zu wenige Anträge, Gudrun Blumenkemper vermutet eher die mangelnde Bearbeitungskapazität in den Botschaften. „Die Dauer der Verfahren macht mich oft wütend,“ sagt die Caritas-Mitarbeiterin. Sie muss darauf achten, im Rhythmus weniger Wochen zu den Anträgen Fragen nach dem Stand zu stellen, denn bewegt sich über ein Jahr nichts, werde davon ausgegangen, dass kein Interesse mehr bestehe. Dann müsse der ganze Prozess von vorne begonnen werden. Sie vermutet Absicht dahinter, dass es den Familienangehörigen immer schwerer gemacht werde, nach Deutschland zu kommen. Blumenkemper erlebt die Verzweiflung der Flüchtlinge über die lange Trennung hautnah in ihrer Beratung mit.

Das in den vergangenen gut drei Monaten nicht ausgeschöpfte Kontingent für die Familienzusammenführung wegen der Pandemie kann nicht nachgeholt werden. Auch wenn jetzt die Einreise grundsätzlich wieder möglich ist. Was einem ihrer Klienten nicht hilft, der seit fünf Jahren darauf wartet, dass seine Frau zu ihm kommen kann. Sie hat zwar am 1. Juli ein Visum bekommen, der Flug sollte für den 20. Juli gebucht werden. Aber auch in diesem Fall ist es nicht möglich, aus Syrien heraus nach Beirut zu kommen. Vor dem Bürgerkrieg waren die 200 Kilometer von Damaskus an die Mittelmeerküste des Libanon ein beliebter Wochenendausflug für syrische Familien.