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Georg Cornelissen sucht und erforscht weiter „Ortsnecknamen“

Moppe, Knoase, Keckfoars

Was haben die Menschen in Nütterden, Niel, Kehrum (linksrheinisch) und Esserden auf der rechten Rheinseite gemeinsam? Sie werden von den Bewohnern ihrer Nachbarorte als „Böck“, also Böcke, verhohnepiepelt. Dabei muss man an Ziegenböcke (einschließlich ihres besonderen Geruchs) denken.

Georg Cornelissen beschäftigt sich als einer der Väter von „Dat Portal“ mit der Sprache des Rheinlandes

Wie Herr Schmitz zu seinem Namen kam…

„Jeder Jeck ist anders“, sagt man gern im Rheinland, und man könnte auch sagen, „jeder Jeck spricht anders“. Und wie sich ein und dasselbe Wort in den verschiedenen Regionen des Rheinlands anhören kann, ist dem Landschaftsverband Rheinland eine eigene Internetseite wert.

Platt à la carte im „Kävelse Lüj“

Gastgeber Thomas Molderings genoss den Vortrag des Rezitators Wilfried Renard, ehe er sich nach der Begrüßung wieder um das leibliche Wohl der Gäste im Nebenraum kümmerte. Als Inhaber des „Kävelse Lüj“ freute er sich sehr darüber, dass die plattdeutsche Lesung mit dem stadtbekannten Wilfried Renard tatsächlich zustandegekommen war. „Das wäre vor zwei Wochen so vielleicht noch nicht möglich gwesen, aber ich habe daran festgehalten.“ Schade war lediglich, dass nur eine Handvoll Zuhörer das 75-minütige Eintauchen in die besondere Sprachwelt der beiden Kevelaerer Heimatdichter Jupp Tenhaef und Theodor Bergmann verfolgten.

Dafür befanden sich mit Theo Janßen und dem Großneffen von Theodor Bergmanns Frau, Heinrich Baumanns, zwei ausgewiesene Sprachexperten unter den Zuhörern, die die Zeit zwischen den Texten spontan mit plattdeutschen Plaudereien überbrückten. „Die Schwester meiner Oma war Lehrerin, hat den Bergmann geheiratet. Die war auch gebildet und stellte was dar. Ich war damals noch klein, habe sie nur in Erinnerung, so wie ich sie sah“, erzählte Heinrich Baumanns und gab freimütig zu, „dass das einen berührt, wenn man das hier hört und dann darüber nachdenkt.“

„Der Theodor Bergmann ist wahrscheinlich von den beiden der Gebildetere, auch Politiker, hat hier die CDU mit begründet. Das merkt man an der Sprache“, beschrieb Renard die Unterschiede beider Dichter. „Bergmanns Sprache ist noch tiefer ausgeformt. Er arbeitet sozusagen mit dem Florett. Und Jupp Tenhaef ist der, der den Leuten noch mehr auf das Maul schaut, der direkter und einfacher ist, aber dann auch geraderaus sagt, was er denkt. Der hat das sicher nicht so leicht gehabt wie der Bergmann, ist mein Gefühl.“

Quasi spontan trug Renard „auf Zuruf“ eines der 40 Gedichte vor, das sich die Anwesenden von den neben ihm aufgestellten „Carte“-Wandtafeln – mit Tenhaef zur Linken und Bergmann zur Rechten – aussuchen konnten. Und so entwickelte sich eine entspannt-unterhaltsame Rezitation philosophischer, nachdenklicher, humorvoller und alltagsbeschreibender Texte in einer Sprache, die heute nicht mehr ganz so viele, aber noch immer einige verstehen. So erzählte Renard mit seiner sparsam, aber überlegt eingesetzten Mimik und Gestik in Tenhaefs „Üt enne pott“ die Geschichte von „Hond“ und „Katt“, die sich um den Inhalt des Potts streiten, ehe sie feststellen: „Wat sinn wej dann toch Esels!“ Bergmanns Liebesgeschichte „Piche on Griche“ und seinem Glück, „dat sin lief Griche dor stond. On an den Prummenboom Appele bond.“

Er erzählte in Tenhaefs „Wülderej“ die Geschichte von „Wülder (=Maulwurf) Jann, wo die Menschen „gönne mej nit ens de Loch (=Luft)“ , erinnerte in „Kermes vor de Dör“ an die Zeit, als „Maj hiew ek op de Lukas drop met all Pet on Krachte.“ Und er gab am Ende eine „Gujje Roat“: „Nit alstevööl verwachte/Et besten es, me hält merr Moat, on drevvt nit soviel Stuss on Stoat/ on Wönß on met Gedachte.“

Neben so intelligent-humorvollen Texten wie „Jann well traue“ über den „döchtege Tömmermann“, der „en beggen döseg, en beggen domm“ mit zwei Frauen vermählt werden möchte („Ek häb se allebeij lief.“) und dem wunderbaren „Antöneke“ in der Schule, wo der Lehrer daran verzweifelt, dass er nicht eins und eins zusammenzählen kann, spiegelte er mit Bergmanns Texten auch Themen, die heute hochaktuell sind. So debattierte er das Thema „Europa“ im gleichnamigen Gedicht („Off dann van ons Jonges in kommenden Tit waell ens no dat Europa kömt?“) und beschrieb in „Ohme Pit“ die Grausamkeit des Menschen im Krieg – mit einer unfreiwilligen Anspielung auf die Unruhen in den USA heute. „Es alles verlore? – Helpt nimand nit? – Eck ersteck – Ohme Pit!“
Trotz der geringen Zuhörerschaft war Molderings von den besonderen literarischen Momenten sehr angetan. „Ich hoffe, dass ich Sie nochmal ansprechen darf, wenn wieder mehr geht und es noch etwas populärer gemacht worden ist. Ich würde das gerne fortsetzen“, wandte er sich danach mit einem persönlichen Dank an Renard, der sich einer weiteren Lesung nicht abgeneigt zeigte.

Großes Interesse an der plattdeutschen Sprache

Beinahe übervoll war die „Uemse Kneipe“ des Niederrheinischen Museums, sodass die Veranstaltung aus Sicherheitsgründen um ein Haar an anderer Stelle hätte stattfinden müssen.

Das Interesse der hiesigen Bevölkerung an unserer Mundart ist stets sehr groß, zumal eine Koryphäe wie der Sprachforscher Dr. Georg Cornelissen der Einladung des Förderkreises gefolgt war.

In seiner Eigenschaft als Vorsitzender begrüßte der Weezer Bürgermeister Francken die Hausherrin des Museums, Frau Hebben, sowie den Vorsitzenden des Museums-Fördervereins Peter Hohl und natürlich Dr. Cornelissen vom LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte als Gastredner.

Dialektproben

Der legte in seiner stets humorigen und kurzweiligen Vortragsweise los mit dem „erschreckenden“ Hinweis, dass er vier (!) Vorträge mitgebracht habe, von denen jeder eigentlich einen kompletten Nachmittag ausfüllen könnte. Es beruhigte schon ein wenig, dass er sich aber auf jeweils 20 Minuten beschränken wolle.

Bereits im 1. Vortrag „Dialektproben aus der Franzosenzeit“ stellte er am Textbeispiel des Gleichnisses vom verlorenen Sohn und mit vielen weiteren Details klar, dass es am Niederrhein keinen einheitlichen Dialekt gebe, dass zwischen Kleve und Köln teils erhebliche Unterschiede in vielen Wörtern und Ausdrücken bestünden.

Überregionale Bedeutung

Originale Tonaufnahmen jeweils nach den Vorträgen 1 und 2 mit betagten Sprechern aus Auwel-Holt und Keeken belegten zudem, dass das Platt vor vielen Jahren sich völlig anders anhörte und darstellte als unser Niederrhein-Dialekt heutzutage.

Das bekannte „Wor hör ek t’hüß“ von Theodor Bergmann – Tonaufnahme nach Vortrag 3 – werde in vielen Ortschaften gesungen, ist also, wie Peter Hohl ergänzend einwarf, ein Lied von überregionaler Bedeutung.

Der 2. Vortrag war dem „Niederrheinisch und Niederländisch damals“ vorbehalten. Hier führte Cornelissen aus, dass sich für einen Kölner beispielsweise unser Dialekt wie niederländisch anhöre, ein Holländer oder Niederländer hingegen unser Platt für „preußisch“ halte.

Er stellte mit etwas Bedauern fest, dass sich unser Dialekt im Laufe der Jahre immer mehr „verdeutscht“ habe und dieser Prozess wohl weitergehen werde, ohne jedoch den Status des Hochdeutschen zu erreichen.

Im 3. Vortrag kam Dr. Cornelissen auf „Französische Lehnwörter im niederrheinischen Platt“ zu sprechen. Wer habe noch nicht das Wort „prakesieren“ gehört oder von „Paraplüj“, das erstmalig 1786 im Schriftbereich zu finden war. Wichtig war natürlich die Erklärung, woher diese und weitere Wörter (trottoir, plesier, usw.) stammten, und da hatte Cornelissen eine verblüffende Erklärung parat: Ein Schulversuch, die französische Sprache einzuführen, sei „grandios in die Hose gegangen“, wurde schließlich beschränkt auf reiche Bauernsöhne, während sich der ärmere Rest der Bevölkerung mit niederländisch begnügte. Die Franzosenzeit fand bei uns ohne Franzosen statt, es gab fast nur Niederrheiner! Auch französische Soldaten habe es nicht bei uns gegeben. So bezeichnete Cornelissen den Text des französischen Präfekten Jordans (Krefeld, 1808) als reinen Blödsinn, der von „unweit von Krefeld stationierten Franzosen“ schrieb.

Anrüchiger Beigeschmack

Einen anrüchigen Beigeschmack erhielt fälschlicherweise das Wort „Fisimatenten“. Es habe nichts zu tun mit der Einladung „visitez ma tente“ (Kommen Sie in mein Zelt), sei aber gleichwohl für jede 10-Euro-Wette gut. „Und 5 Euro geben Sie dann an mich ab!“, fügte er zwinkernd hinzu.

Vortrag Nr. 4 trug den Titel „Preußen und das Platt“.

Seit dem Wiener Kongress 1815 wurde in Schulen niederländisch gelehrt, hauptsächlich ein Gebot der katholischen Kirche, den Katechismus gab es auf Niederländisch.

Dann beschlossen die Regierung in Düsseldorf und das Bistum Münster, dass in den Schulen Deutsch gelehrt werden solle.

An dieser Stelle bezeichnete Cornelissen sich selbst als „ein wenig agitatorisch“ und ereiferte sich wegen eines Lippenbekenntnisses, das er in einem Schreiben aus 1919 des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung fand. Demnach solle „auch in den Schulen die heimische Mundart gebührende Berücksichtigung finden“ und „die Kenntnis des Plattdeutschen zu vertiefen“ sein.

Im Herzen Achterhoeker

Cornelissen outete sich in einem viel belachten Kommentar dazu als „zwar derzeitiger Rheinländer, aber mein Herz schlägt immer noch für den Achterhoek, wo ich die ersten zwei Jahre meines Lebens verbrachte“, und er ärgere sich deswegen, weil in Düsseldorf im Juni 2019 zum allerersten Mal ein Beirat für Niederdeutsche Sprache getagt habe – und „darin saßen ausschließlich Westfalen mit der größeren pressure group (Lobby), kein Niederrheiner ist gefragt worden. Wir haben historisch mehr zu bieten als die!“
Mit dem Hinweis auf die LVR-Homepage, die u.a. eine Sprachkarte mit Tonaufnahmen enthalte, schloss Cornelissen seine Vorträge.

Zum Abschied bedankte sich Ulrich Francken für die Ausführungen des engagierten Sprachforschers und wies auf den 6. und 27. Oktober hin, wenn im Gocher Kastell und im Adlersaal zu Nieukerk die kommenden Mundartnachmittage stattfänden. Für beide Veranstaltungen seien noch Karten zu haben.

Da war Napoleon auch Platt

Es gibt wohl kaum einen Wissenschaftler, der so beständig seine Forschung in so spannende Geschichten zu fassen vermag: Erst erzählt Sprachwissenschaftler Dr. Georg Cornelissen die schöne Geschichte von der Herkunft des Wortes „Fisimatenten“ – das komme aus dem Französischen, meinten manche, die napoleonischen Soldaten hätten die deutschen Damen aufgefordert „Visite ma Tente“ („Besuche mein Zelt“). Und daraus hätte sich dann der Spruch „keine Fisimatenten machen“ ergeben. „Ist natürlich alles Quatsch“, erklärt er dann. Zur Zeit Napoleons habe es am Niederrhein kaum französische Soldaten gegeben.
Niederrhein und Niederlande

Der Mann aus Winnekendonk muss es wissen, denn er befasst sich beruflich auch mit der Sprachgeschichte dieser Zeit. Wer sich mal selbst davon überzeugen will, wie sich das anhört, der ist bei ihm und am Samstag, 28. September, 14.30 Uhr, im Niederreinischen Museum in Kevelaer an der richtigen Adresse. Dann wird Georg Cornelissen die Zeit der Franzosen am Niederrhein sprachlich auferstehen lassen und ihren Einfluss auf das niederrheinische Platt und die niederländische Sprache – beide eng verwandet und gut vermischt – erläutern.
Dass die jeweils knapp 20-minütigen sprachlichen Ausflüge in die Napoleonische Zeit in der knapp zweieinhalbstündigen Veranstaltung zwischen „Trottoir“, „Portemonnaie“, „prackesiere“ und „Plümmo“ keine trockenen Vorträge sein werden, ahnt jeder, der Cornelissen einmal erlebt hat.
Appetithäppchen

Dazu gibt‘s zwischendurch auch noch ein paar Appetithäppchen in Form von frühen Tonaufnahmen. Die Veranstaltung ist eine Zusammenarbeit, bei der das LVRInstitut für Landeskunde und Regonalgeschichte, der Verein „För Land en Lüj“, das Niederrheinische Museum Kevelaer sowie dessen Förderverein zusammenarbeiten.
Und dann kommen auch noch die Preußen

Unter anderem gibt es Dialektproben aus der Franzosenzeit, die ältesten Texte sind Übersetzungen des Gleichnisses vom verlorenen Sohn aus dem Jahre 1806. Mit entsprechenden Karten erläutert Cornelissen die Frage, wie „niederländisch“ der Dialekt der Franzosen damals klang. „Französische Lehnwörter im niederrheinischen Platt“ sind ebenso ein Thema, bevor er schließlich die Nachfolgeregelungen – für die natürlich die Preußen zuständig sind, wer sonst – in Sprachpolitik und Sprachalltag ab 1815 erklärt.