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Das waren noch Zeiten…

Winnekendonk. Im Jahre 1950 geboren, und das wohl gleich schon als Gärtner, denke ich sehr oft daran, wie schnell und wie viel sich eigentlich in den letzten Jahren verändert hat. Ich empfinde es so, als wenn alles immer noch schneller geht und die ganzen Entwicklungen immer rasanter werden. Und doch kommt es mir so vor, als sei alles erst gestern gewesen. Nicht nur durch meinen Beruf als Gärtner, sondern auch, weil es zu meinem absoluten Hobby wurde, hat mich die unermessliche Welt der Kräuter schon immer begeistert und die ist spannender als jeder Krimi.
Man muss da schon sagen: Die Generationen vor uns waren keineswegs dumm. Sie wussten viel mehr, als wir heute nur erahnen können. Um aber deutlich zu machen, was mich schon von ganz klein an so geprägt hat, muss ich wohl etwas weiter ausholen.
Wenn man heute so von früher erzählt, lachen unsere Kinder und Enkelkinder darüber, weil sie es sich kaum vorstellen können – und doch ist es eigentlich noch gar nicht so lange her.
Das ganze Dorf badete im Schulkeller
Also, 1950 geboren im wohl schönsten Dorf der Welt – in Winnekendonk. Ein Dorf mit vielen Geschäften, vielen Gaststätten, einfach mit allem, was man zum Leben braucht. Aber wer kann sich heute schon noch vorstellen, dass im Keller unter der Schule eine ganze Menge von Kabinen mit Badewannen war und das ganze Dorf am Samstag zum Bad angetreten ist. Adolf Mingels, der Hausmeister der Schule, und Frau Dankowski kassierten dort den Eintritt und sorgten für Ordnung und Sauberkeit. Aus Kostengründen reichte eine Wannenfüllung meist für eine ganze Familie.
Oder wer denkt noch daran, als damals für die Frauen die Nylonstrümpfe – auch Seidenstrümpfe genannt – auf den Markt kamen und das Schlimmste daran die Laufmaschen waren. So eine plötzliche Katastrophe wurde dann erst mal mit einem Stück Seife oder einem Tropfen Uhu gestoppt und dann mussten wir diese Strümpfe zum Aufnehmen der Laufmasche zur Reparatur nach „Derks“ oder nach „Roeffs“ in den Laden bringen. Am nächsten Tag waren sie dann wieder wie neu.
Wir Kinder haben wohl alle in der Fleuth das Schwimmen gelernt. Aber dabei wurde ganz klar auch an unser moralisches Seelenheil gedacht. So gab es, schon weit auseinander, rechts und links der alten Brücke, die Jungen- und die Mädchenseite. Das wurde natürlich auch immer mal wieder kontrolliert von Pastor Quinders, Hauptlehrer Kronenberg oder auch vom Dorfpolizisten, Herr Schleuser und später Herr Ter­stappen. Aber wir haben trotzdem alle den gewaltigen Unterschied zwischen Mädchen und Jungen in den dichten Baumschulungen im „Wettener Busch“ herausgefunden. Allerdings wurden wir dort auch ab und zu von den Förstern Grothuis und Datzmann erwischt.
Kirschlutscher, Brause und echte Lakritze
Ich habe noch heute den Geruch in der Nase von dem kleinen wunderbaren Milch- und Käseladen von Herrn und Frau van Linn. Dort gab es immer die tollen Sanella-Bilder für die Sammelalben und Sammelpunkte vom Milkana-Käse. Aber am schönsten waren dort für uns die großen Bonbon-Gläser mit den tollsten Köstlichkeiten wie Kirschlutscher, Brausebonbons oder echte Lakritze, die dann den ganzen Tag lang in einer Flasche, mit Wasser gefüllt, geschüttelt wurde. Der Schaum, der dann darauf entstand, schmeckte einfach himmlisch.
Oder wer kann sich noch vorstellen, dass vor jeder Türe früh am Morgen eine Milchkanne stand und die beiden Milchhändler „van Linn“ und „Willi Genen“, erst mit Fahrrad und Anhänger und später sogar mit einem Auto, einem Lloyd-Transporter, täglich für frische Milch sorgten. Bei uns Zuhause war es so, wenn die Milch manchmal nicht für den ganzen Tag reichte, dann wurden wir Kinder zu „Klümpen“, Ecke Niers – Wettener Straße, geschickt und da gab es dann ganz frisch gemolkene Milch direkt von der Kuh. In diesem Haushalt lebte auch eine Person, die mein Leben sehr stark mit geprägt hat, und das war Tante „Lissa Klümpen“. Sie hatte wohl mit den schönsten Garten und sie wusste über Gärten und Kräuter einfach alles. Aber darüber später mehr.
Und wer kann sich heute noch vorstellen, wenn Opa „Schmied Geenen“ vom „Küsters Markt“ seinen Ackergaul zur Weide am Niersweg brachte oder der Ackergaul „Benno“ von Bauer Klümpen auf der Niersstraße unterwegs war oder „Kalla Paris“ mit seinem Pferd „Lotti“ den Leichenwagen von der Kirche zum Friedhof zog, und all diese Pferde dann ihre Pferdeäppel auf der Straße zurückließen und sogleich Frau Romanowski von der Blumenstraße mit Eimer und Kehrblech auftauchte, um diesen „Unrat“ zu beseitigen, denn der Pferdemist wurde so Gold für ihren Garten. Sie hatte einen wunderbaren Garten und gehörte wohl mit zu den ersten Ost-Flüchtlingen, die damals nach Winnekendonk kamen. Für uns Kinder waren diese Menschen schon fast Exoten, denn sie waren meist evangelisch, und das war neu für uns. Die Gärten der Ostflüchtlinge und was darin wuchs, waren aber doch schon wieder etwas anderes.
Der Klostergarten der Katharinenschwestern
Aber am meisten geprägt haben mich die Schwestern des Katharinenhauses, Klosters, Altenheims und Kindergartens. Alles fest in in den Händen der Nonnen, den Vorsehungsschwestern. Hier war für mich als Kind mein zweites Zuhause, ein Ort mit einem ganz besonderen Zauber unter einer starken Magie. Ich durfte als Nachbarskind kommen, wann ich wollte, und in der Küche gab es immer etwas ganz Besonderes. Am meisten aber faszinierte mich der wunderbare Klostergarten mit seiner großen Obstwiese und den aromatischen alten Obstsorten, die für mich besser schmeckten als sonstwo auf der Welt, obwohl wir zuhause die gleichen Sorten hatten. Es war einfach etwas anderes.
Fortsetzung folgt…
Urban Schumacher