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Der weltbeste Hobbyhandwerker

„Eigentlich wollte ich ja Elektriker werden“, erzählt der 93-jährige Polstermeister Erwin Schneider, der in diesem Jahr mit dem Eisernen Meisterbrief der Handwerkerinnung Kleve ausgezeichnet wurde. „Ich hatte schon eine Stelle, aber als dann am 1. September 1939 der Krieg ausbrach, wurde mein Meister eingezogen und so musste ich mir einen anderen Ausbildungsplatz suchen.“
Dass es ein Handwerk sein sollte, das stand fest, denn „Handwerker haben immer einen goldenen Boden, sie kommen überall durchs Leben“. Bei einem Sattler und Polsterer in seiner Heimat Üls in Schlesien kam Schneider schließlich in die Lehre.
Doch gerade als er die Gesellenprüfung in der Tasche hatte, wurde er selbst als Soldat eingezogen. Er kam nach Russland, wo er im Juni 1944 verwundet wurde. Ihn traf der Splitter einer Handgranate in den Rücken. „Das war mein Heimatschuss. Die Wunde hat mich wohl gerettet, denn ich konnte zurück in die Heimat!“, steht für ihn heute fest.
Nach dem Lazarett in Rügen kam er zum Genesungsurlaub an den Niederrhein und danach in britische Gefangenschaft in Remagen. Nur eine Handvoll trockenes Brot und Wasser bekamen die Gefangenen dort, aber es reichte aus um zu überleben.
Einer seiner vier Brüder, der wie er nach Russland kam, sollte aus diesem Land nie mehr zurück kommen, er galt bald als vermisst. Erwin Schneider konnte einige Zeit nach der Vertreibung seine Eltern sowie zumindest drei Brüder und seine Schwester wiedersehen.
Doch der junge Mann ging nun seine eigenen Wege, lernte in Kevelaer seine spätere Braut kennen, die die 1950 heiratete und in deren Elternhaus auf der Wember Straße er heute noch leben kann. Er fand als ausgebildeter Polsterer bald Arbeit in der Polstermöbelfabrik Meyer in Kevelaer und 1953 und 1954 machte er neben der Arbeit noch über die Abendschule seinen eigenen Meister. „Ich bin SPD – Sattler, Polsterer und Dekorateur“, so lacht er verschmitzt.
Auch als Meister arbeitete er noch lange in Geldern bei der Polsterei Gammerschlag, wo er später auch Lehrlingsausbilder war. „Ich habe immer gern mit jungen Leuten gearbeitet. Früher kamen sie meist schon mit 14 Jahren in die Lehre und sie waren in so jungen Jahren immer sehr aufmerksam bei der Sache!“, weiß er aus Erfahrung.
24 Jahre arbeitete der Polsterer bei Dorenbusch in Nieukerk und dann als Lehrlingsausbilder bei der Firma Brinkel in Rheinhausen. Arbeit von früh bis spät war sein tägliches Leben. Die beiden Kinder Ruth und Helmut sahen ihren Vater werktags immer erst abends, aber zum Ausgleich sorgt nach dem Tod seiner Frau vor 23 Jahren nun Tochter Ruth intensiv für ihn.
Vieles an schönen Möbeln hat Erwin Schneider im Laufe seines langen Berufslebens geschaffen und mit Näh- und Zupfmaschine sowie mit viel Geduld und Handarbeit unzählige Arbeiten hinterlassen. Neben Leder und Stoff hat er immer gern mit Holz gearbeitet und sich Gestelle aus Holz für die Sitzmöbel und später viele filigrane Holzschränkchen gemacht. „Ich fühlte mich wie der weltbeste Hobbyhandwerker. Holz war mein Lieblingsmaterial. Daraus konnte ich in der Schreinerwerkstatt eines Freundes viele schöne Möbel machen“, erzählt er. Auch für seine Enkel und Urenkel fertigte er viele kleine Kindermöbel.
Nun allerdings ist es mit Handarbeiten vorbei. Seit Kurzem hat er kein Gefühl mehr in den Händen und seine hinterlassenen Werke kann er nur noch genießen, nicht mehr vermehren. Aber eines ist ihm immer noch wichtig: Alles zu hinterfragen, immer neugierig zu sein.
Gemeinsam mit seinen Urenkeln Jonas und Julian kann er nun die Welt und die Dinge hinterfragen. Und wenn der Zweitklässler Julian wieder mal wissen will, warum der Wind weht oder woher der Regen kommt, dann heißt es immer: „Geh zu Uropa. Der weiß das. Der kann dir das erklären.“ Kinderfragen und Kreuzworträtsel halten Erwin Schneider, der nun gerne auf seinen gut gepolsterten Möbeln sitzt und ruht, hoffentlich auch weiterhin noch lange fit.