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Diagnose: Organtransplantation

Alles begann vor ca. drei Jahren, als der Kevelaerer und ehemalige SPD-Politiker Ralf Angenendt mit einer Lungenentzündung in ärztlicher Behandlung war. Der behandelnde Arzt riet Angenendt, sich sofort gründlich im Gelderner Krankenhaus untersuchen zu lassen, da seine Blut- und sonstigen Werte sehr schlecht waren. Die folgende Gewebeanalyse und weitere Untersuchungen bescherten ihm eine endgültige und heftige Diagnose: Seine Nieren standen unmittelbar vor dem vollständigen Versagen, zusätzlich wurde ein extrem hoher Blutdruck festgestellt. Diese Gewissheit bedeutete für ihn, dass er zukünftig auf eine Dialyse angewiesen sein wird.
„Das alles zog mir den Boden unter den Füßen weg“, sagt der damals 49-jährige Angenendt und mit Blick auf seine Frau Susanne fügt er hinzu: „Das hat uns mächtige Angst bereitet.“ Schließlich hatte er von alledem nichts geahnt. Nie zuvor hatte er Beschwerden mit seinen Nieren oder dem Blutdruck. „Eigentlich war bei mir immer alles ganz normal. Ich war doch immer gesund“, erinnert er sich.
Um zu verdeutlichen, wie dramatisch die Diagnose war, kann man den festgestellten Kreatininwert heranziehen. Ab einem Messwert von ca. 5 liegt Nierenversagen vor, es muss dringend behandelt werden. Ab einem Wert ca. 8 bis 9 ist eine Dialyse unausweichlich. Sein Messwert unmittelbar vor der Transplantation lag bei ca. 11.
„Ich war damals unglaublich müde, verspürte starke Taubheit in meinen Füßen und Händen und lagerte enorm viel Wasser ein“, sagt Angenendt.
Von jetzt an nahm sein Leben einen vollständig anderen Verlauf.
Dem behandelnden Ärzte- und Pflegeteam im Gelderner Gesundheitszentrum dankt er heute sehr. „Dr. Fußhöller und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben mir und meiner Familie durch ihre Kompetenz und ihr Engagement viel von der Angst genommen. Das Team hat uns sehr gut darauf vorbereitet, was da auf uns zukommen sollte“, erinnert er sich.
Das Ziel war, die Dialyse solange wie eben möglich hinauszuzögern. „Denn ich wollte nicht noch weiter eingeschränkt werden, als ich es jetzt ohnehin schon war. Eine Dialyse bedeutet, dass man dreimal die Woche für fünf bis sechs Stunden an Apparate angeschlossen wird, die das Blut reinigen“, führt er aus.
Ein gesunder Mensch mit normaler Nierenfunktion sollte am Tag mindestens zwei bis drei Liter Flüssigkeit zu sich nehmen. Als Dialysepatient hat man in der Regel weniger bis keine Ausscheidungen mehr, sodass die Trinkmenge rationiert werden muss. Ebenso muss man seine Ernährungsgewohnheiten umstellen und darauf achten, welche Lebensmittel geeignet sind.
„Das erste Jahr nach der Diagnose war für uns das schwierigste, das wir in fast 27 Jahren gehabt haben“, erinnert sich seine Frau Susanne. „Wir haben uns oft gestritten, die Nerven lagen einfach blank, bei beiden“, fügt sie hinzu. „Danach ging es wieder aufwärts. Eine schwere Krankheit ist eine Belastung, kann aber auch zusammenschweißen. Ralf hat bis zuletzt durchgearbeitet. Das musste er auch, sonst wäre er sicher durchgedreht“.
„In dieser Zeit haben wir Menschen kennengelernt, von denen wir dachten, dass wir sie kennen. Wir haben meine Erkrankung nie als Geheimnis gesehen, sondern offen darüber gesprochen. Und dann bekommst du vorgehalten, dass wir meine Krankheit vor uns her tragen. Das hat schon sehr weh getan“, fügt Angenendt nachdenklich hinzu.
Es war klar, dass Angenendt irgendwann auf eine Dialyse oder Organspende angewiesen sein wird, doch keiner kann den genauen Termin vorhersagen und auch nicht, ob dann ein passendes Spenderorgan zur Verfügung steht.
Organspenden sind in Deutschland seit Jahren rückläufig. Allein in 2017 mehr als minus neun Prozent auf insgesamt 2.594 – niedrigster Stand seit 20 Jahren. Eine ernüchternde Bilanz und eine Tragödie, vor allem für diejenigen, die dringend auf eine Transplantation warten. In Deutschland sind das derzeit über 10 000 schwerkranke Patienten. Demgegenüber stehen 797 Menschen, die im Jahr 2017 nach ihrem Tod Organe gespendet haben. (Quelle: DSO Deutsche Stiftung Organspende, Jahresbericht 2017)
Susanne Angenendt schaut auf ihren Mann und sagt mit ihrer freundlichen Art und einem Funkeln in ihren Augen: „Für mich war das ganz einfach: Ich habe zwei Nieren, und wenn es passt, bekommt Ralf eine von mir“. Ralf Angenendt erwidert: „Ich wollte das nicht. Ich machte mir Gedanken über die OP-Risiken und unsere damals 16-jährige Tochter. Was ist, wenn alles schief läuft und unsere Tochter dann einen Vormund bekommt? Sie sollte mindestens 18 Jahre sein, um im schlimmsten Fall über ihr Leben selbst entscheiden zu können. Susanne hat mich dann irgendwann mit ihrer lebensbejahenden Art davon überzeugt, zumindest den Test für eine Lebendorganspende zu machen.“
„Nachdem klar war, dass Susannes Niere für mich geeignet ist, habe ich mich hingesetzt und eine Liste des Für und Wider gemacht, denn es ist nicht leicht, ein solches Angebot anzunehmen. Doch wenn du alles niedergeschrieben hast, dann steht auf der „Widerseite“ nicht sehr viel, die Dafürs überwiegen“, erläutert Angenendt.
Gut zweieinhalb Jahre nach der Diagnose wurde die Transplantation unausweichlich und es gab den ersten OP-Termin. Doch dieser und der folgende mussten abgesagt werden, da Angenendt kurz davor erkrankte. Die Zeit drängte, der nächste Termin musste klappen, sonst hätte er an die Dialyse gemusst. Dann war es soweit, ca. vier Wochen vor dem Eingriff bekamen die Angenendts Bescheid, dass am Mittwoch, den 4. Oktober 2017, die Transplantation in der Düsseldorfer Uni-Klink stattfinden wird. Jetzt hieß es Daumendrücken und gesund bleiben.
„Wir waren in verschiedenen Häusern in der Uni-Klink untergebracht. Das war auch gut so, so musste Susanne mein ungeduldiges Gejammer nicht permanent ertragen“, sagt Angenendt und lächelt dabei. „Unmittelbar vor der Operation standen unsere Betten nebeneinander in der Boxengasse, wo wir gemeinsam auf unsere Abholung warteten.“ (Anm. d. Red.: Boxengasse wird der OP-Wartebereich in der Uni-Klinik genannt.)
Für Susanne ging es logischerweise zuerst in den OP. Ich musste warten und meine Gedanken kreisten um das, was vor mir lag und wie es wohl ausgehen würde. Es war mir schon etwas mulmig zumute. Neben mir lag ein junger Mann, der nach seiner Herztransplantation auf eine weitere Herz-OP wartete. Wir kamen ins Gespräch und dieser junge Mann, der sein Schicksal annahm und den Blick nur nach vorne richtete, hat mir Mut gemacht. Ich bin ihm heute noch dankbar dafür“, stellt Ralf Angenendt ganz gerührt fest. Dann war er selbst dran.
Nach einigen Stunden war die OP vorbei. Als er auf der Station erwachte, war seine erste Frage: „Wie geht es meiner Frau?“ Begleitet von Tränen überkam ihn Erleichterung „Uns geht es gut und wir haben alles überstanden.“ An seinem Körper waren acht Schläuche angeschlossen: Sechs, die ihn versorgten, und zwei, die Flüssigkeiten aus seinem Körper abführten.
Rückblickend ist für Angenendt die OP und die darauffolgende Zeit so verlaufen, wie es ihm der betreuende Stationspfleger vorhergesagt hatte. „Die ersten vier Tage nach der OP sind echt Sch…, aber danach geht es aufwärts“, erinnert er sich.
An der Uni-Klinik ist das Routine, da pro Jahr ca. 100 Organe transplantiert werden und davon ca. 25 Lebendspenden sind.
Auch seiner Frau Susanne erging es so wie angekündigt. Man hatte ihr die linke Niere über den seitlichen Bauchraum unterhalb der Rippen entfernt und nicht, wie man vermuten könnte, direkt über den Rücken. Das Organ wurde ihrem Mann ebenfalls über den Bauchraum eingesetzt, jedoch nicht im Bereich der vorhandenen Nieren, sondern im sogenannten „kleinen Becken“. In diesem Bereich des Körpers ist ausreichend Platz vorhanden, wo das neue Organ dann sehr geschützt ruht. Die geschädigten Nieren verbleiben im Körper und verkümmern im Laufe der Zeit.
„Die Wundschmerzen waren schon heftig, ich konnte mich nicht mehr bewegen, weil alles weh tat“, erinnert sich Susanne Angenendt. „Schließlich haben die sich durch einen ca. 20 cm großen Schnitt in meinen Bauch zum Rücken vorgearbeitet und dabei jede Menge zur Seite räumen und anschließend wieder vernähen müssen. Lachen und Husten waren danach äußerst schmerzhaft. Ich habe danach noch sechs Wochen einen Bauchgurt getragen, der alles gestützt hat. „Trotz dieser Erfahrung“, sagt sie, „würde ich es immer wieder machen“ – und lächelt ihren Mann dabei an.
„Die Versorgung war Top. Die rennen sich echt die Hacken ab, wie überall in den Krankenhäusern. Aber man merkt, dass für ein persönliches Gespräch wenig Zeit bleibt“, fügt Ralf Angenendt hinzu.
Susanne konnte bereits am 8. und ihr Mann am 11. Tag nach der OP die Uni-Klinik verlassen.In den ersten zwei bis drei Wochen finden statistisch die meisten Abstoßungen des fremden Gewebes bei den Transplantierten statt. „Das war für mich noch eine schlimme Zeit, da sich alle Gedanken nur darum drehten“, sagt Angenendt.
Es wird nach der OP sehr engmaschig kontrolliert und untersucht.
In den ersten zwei Monaten musste Angenendt wöchentlich zur ärztlichen Kontrolle und danach alle zwei Wochen. Jetzt ist er bei einem Rhythmus von drei bis vier Wochen angelangt. Seine Frau musste einmal zur Nachuntersuchung und von jetzt an einmal pro Jahr zur Kontrolle.
Im ersten Jahr nach einer Transplantation wird der Körper auf die notwendigen Medikamente eingestellt.
„Für uns ist bislang alles recht gut verlaufen. Ich bekam zwar zwischenzeitlich eine Diagnose auf Transplantationszucker, aber das habe ich Dank entsprechender Behandlung jetzt im Griff“, schildert Angenendt.
Auf die Frage, wie oft ihn das Gefühl beschleicht, dass doch noch etwas schiefgehen kann, erwidert er: „Immer zu den Untersuchungsterminen. Denn erst mit dem Ergebnis erfährst du, ob etwas nicht in Ordnung ist. Ich halte mich konsequent an die Regeln, d.h., ich habe die Ernährung umgestellt, treibe regelmäßig Sport und trinke zur Zeit keinen Alkohol.“
Diese Rücksichtnahme hat Angenendt seinem Körper früher nie gegönnt. „Ich bin zum Arzt gelaufen, wenn ich Schnupfen hatte, nie jedoch zur Vorsorge. Wäre ich gegangen, dann wäre es wahrscheinlich nicht so weit gekommen“, sagt er sehr nachdenklich.
„Durch die eigene Betroffenheit ist das Thema Organspende für uns natürlich sehr in den Vordergrund gerückt. Wir finden es sehr wichtig, dass mehr über das Thema gesprochen und informiert wird, dabei geht es nicht um uns und auch nicht darum, dass ein jeder Organspender werden soll. Sollte in Deutschland, so wie in anderen europäischen Ländern, die Widerspruchslösung eingeführt werden, wäre jeder über 18 Jahre Organspender, es sei denn man widerspricht explizit. Auch bei der Widerspruchslösung ist und bleibt eine Organspende freiwillig.“
„Wir finden es gut, dass es den Tag der Organspende (jeder erste Samstag im Juni) gibt. Ich frage mich allerdings, warum man diesen Tag abwechselnd in nur einem Bundesland stattfinden lässt. Diesen Tag sollte jedes Bundesland einmal im Jahr begehen, um die Aufmerksamkeit auf das so wichtige Thema zu lenken. Man könnte so vielen Menschen helfen und viel Leid ersparen“, fügt er voller Inbrunst hinzu.
„Es wäre auch eine gute und naheliegende Idee, in Kevelaer zukünftig einen Wallfahrtstag für Transplantierte, Spender und Angehörige einzuführen. Schließlich ist eine Organspende immer mit Dankbarkeit, Gedenken, Hoffnung, Glauben und Liebe verbunden“, sagt er abschließend.
Spanien, Italien, Österreich und auch die Niederlande – der Deutschen liebste Reiseziele – verfahren bei der Entnahme von Organen nach der sogenannten „Widerspruchsregelung“. Sie lässt zu, dass bei jedem Toten nach Eintritt des Hirntods Organe entnommen werden dürfen. Das gilt auch bei Touristen. Wer das nicht möchte, der sollte vor der Urlaubsreise entsprechende Vorkehrungen treffen und seinen Widerspruch unzweifelhaft bekunden. Denn rein rechtlich haben Angehörige in diesen Ländern kein Widerspruchsrecht. Wer also vor den Erholungsferien in Sachen Organspende für sich keine Entscheidung getroffen hat, für den wird sie bei einem Unfall vom Personal im Krankhenhaus getroffen. In Belgien, Norwegen und Finnland behalten Angehörige ihr Widerspruchsrecht.
Noch anders geschieht es in Ländern wie Dänemark, Großbritannien und den Niederlanden. Nach der dort geltenden „erweiterten Zustimmungslösung“ muss der Verstorbene zu Lebzeiten einer Entnahme zugestimmt haben. Hat er das nicht, müssen es die Angehörigen entscheiden.   Rudi Beerden