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Ein Abschied mit Wehmut

Ein bisschen Melancholie war schon wahrzunehmen, als Nina Jordan mit einer Tasse
frisch gekochten Tees an ihrem Schreibtisch im fünften Stock des Rathauses zum letzten KB-Interview als Klimaschutzmanagerin und Umweltbeauftragte der Stadt Kevelaer Platz nahm.

„Ich hatte zum Ende auf ruhige Tage gehofft, aber es war viel los. Viele haben sich verabschiedet, wollten warme Worte des Dankes ausdrücken“, sagt die 37-Jährige, der man schon anmerken konnte, dass nach zweieinhalb Jahren Kevelaer eine gewisse Verbundenheit mit den Akteuren vor Ort besteht.

„Die Mitgliederversammlung der ‚reparierBar‘ war sehr emotional“, räumt sie ein. „Das war so ein Baby von mir, aber jetzt ist es alt genug, selbst auf eigenen Beinen zu stehen und ‚erwachsen‘ zu werden.“ Als sie vor zweieinhalb Jahren in Kevelaer anfing, da „hatte ich keine Ahnung, worauf ich mich da eingelassen habe. Ich wusste nicht, wie Kommunalverwaltung funktioniert.“ Sie hatte „die Komplexität der Aufgabe unterschätzt“, sagt Jordan heute.

Wie anspruchsvoll das Thema Klimaschutz in der Praxis sein würde, habe sie in der Breite so nicht erwartet, auch wenn sie in Seminaren mit Themen wie Mobilität oder erneuerbaren Energien zuvor zu tun gehabt hatte. „Es kamen immer neue Aspekte dazu.“ Sachen wie Kräutergärten oder Blühstreifen hatte sie zuvor nicht auf dem Schirm. Und dann musste sie noch den Niederrheiner als solches „dechiffireren.“ Sie dachte damals: „Ich komme aus NRW und bin in NRW – aber der Unterschied war schon erkennbar.“

Wie war ihre Zeit in Kevelaer? „Es war spannend, kein Tag war langweilig und jeder Tag anders“, bilanziert die gebürtige Aachenerin, die ab dem 1. November in Stolberg in derselben Funktion unbefristet tätig sein wird. Sie gehe vor allem aber aus privaten Gründen, weil auch ihr Partner in der Region lebt. Die Erfahrung aus Kevelaer will sie mit in das neue Betätigungsfeld einbringen. Und vielleicht sei ja mal eine Klimapartnerschaft beider Städte möglich.

„Die Kevelaererinnen und Kevelaerer haben mich gut angenommen“, ist Jordan dankbar für die Unterstützung. Es sei eine Aufgabe gewesen, die Menschen und die Verwaltung als Ganzes mitzunehmen und für Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu gewinnen. „Es gibt Leute, die halt mehr oder weniger aufgeschlossen sind. Und jede Zielgruppe braucht ihre
Ansprache“, resümiert sie. Über ihre persönliche Vorstellung machte sie sich in den Ortsteilen erstmal bekannt und baute Netzwerke auf.

Wie man die Schlüsselakteure identifizieren und vernetzen kann, das stehe in keinem Handbuch, sagt Jordan. „Das ist ein großer Anteil der Arbeit.“ Wenn man „ein reiner Fachidiot“ sei, der nicht zu den Leuten gehen will, sei man bei dieser Aufgabe fehl am Platz. Was sie dadurch vor allem gelernt habe, sei, „dass das mehr ein Kommunikationsjob als alles andere“ ist.

Sie habe gerade zu Beginn viel erklären müssen, was Klimaschutz eigentlich ist, teilweise vor nur wenigen Leuten Vorträge gehalten. Es gehe noch mehr darum, nicht nur die bereits für das Thema Sensibilisierten zu erreichen, sondern „die schweigenden 80 Prozent.“ Ihre grundlegende Aufgabe sei es gewesen, die 38 Maßnahmen in die Tat umzusetzen, die in demKlimaschutzkonzept der Stadt aufgeführt sind. „Dass man da nicht alles schafft, war klar.“ Man könne nicht „messen“, ob ihre Arbeit unter dem Strich CO2 eingespart hat.

Als Erfolg sieht sie auf jeden Fall die „reparierBar“ an. „Das ist ein Menschenzusammenbringer“ und fördere den Nachbarschaftsgedanken, den Selbstwert der Leute, die zusammen etwas erarbeiten und Lösungen finden können, anstatt neue Sachen zu kaufen. „Die Kultur des Reparierens zu erhalten, war mir ein Anliegen“, sagt Jordan. Und sie habe darüber Menschen erreicht, „die sonst beim Thema Klimaschutz mit den Augen gerollt hätten.“ Der Zuspruch sei da mittlerweile so groß, dass die Leute trotz Corona anrufen.

Klimaschutz rückt immer mehr in den Fokus

Und sie begrüßt die Gründung der „Klimapartnerschaft“ im Kreis Kleve durch die 16
Bürgermeister im vergangenen Jahr. „Ich war 2018 die einzige Klimaschutzmanagerin im Kreis.“ Das habe sich vielleicht auch über ihre Präsenz verändert. Und das „Fridays for future“-Jahr 2019 habe dazu beigetragen, das Thema “Klimaschutz” ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Die Kommunen im Kreis setzten mittlerweile stärker auf das Thema.

Kevelaer sei in Sachen Klimaschutz auf einem guten Weg, findet sie, könne aber noch mehr machen. Was in Kevelaer aus ihrer Sicht noch wichtig wäre? Da überlegt Jordan einen Moment. „Verkehr ist ein schwieriges Thema in Kevelaer“, sagt sie dann. Da gebe es fast sogar sowas wie einen Generationenkonflikt. „Die ältere Generation, die dem Auto verbunden ist, die wollen es nicht aufgeben und haben das Gefühl, das soll ihnen von den Grünen und den Jüngeren abgenommen werden.“

Man könne das an Debatten wie beim Peter-Plümpe-Platz oder bei der Radförderung sehen. „Es wird meistens abgelehnt, wenn etwas pro Rad zu entscheiden ist.“ Aber sie wolle die Gruppen nicht gegeneinander aufbringen. „Oft sind sie ja auch selbst beides – Autofahrer und Radfahrer.“ Es sei aber irgendwie paradox, dass Kevelaer eine Verbesserung in Richtung Radparadies erreichen kann, es „bislang dafür aber keine Mehrheit“ gegeben hat.

Kooperation zwischen Schule und Kommune

„Ich hätte auch gerne mehr mit Schulen gemacht“, räumt Jordan selbstkritisch ein. Mit so plastischen Beispielen wie der Vernichtung des Regenwaldes für die Fleischproduktion habe man gerade mehr Jugendlichen die Augen öffnen können. „2020 war eine Klima-AG in den Schulen geplant – aber da kam Corona dazwischen.“

Diese Art Kooperation zwischen Schule und Kommune sei nicht im Lehrplan vorgesehen. „Das muss man etablieren“, findet sie. „Aber vielleicht kann meine Nachfolgerin da weitermachen.“ Sie soll im Januar 2021 mit ihrer Arbeit in Kevelaer beginnen.

Und auch beim Thema Altbauten gebe es noch ein riesiges C02-Einsparpotenzial in der Stadt: Sie fände einen Grundsatzentscheid gut, nach dem auch Neubauten einen gewissen Energiestandard einhalten müssen, der über das gesetzliche Minimum hinaus geht.

Was sie an Kevelaer vermissen wird? „Den Ausblick aus dem Bürofenster, die kurzen Wege in Verwaltung und Stadt, das ist das Paradies.“ Das werde sie in Stolberg seit elf Jahren das erste Mal nicht mehr haben. „Da muss ich sieben Kilometer pendeln.“ Für die Fortbewegung wird sie sich aber kein Auto, sondern ein Pedelec anschaffen.

Der Kampf gegen die Plastikflut

Bilder von Plastikmengen im Meer und einem toten Vogel mit Plastik im Bauch setzten zu Beginn des Vortrages von Dr. Nina Jordan ein Ausrufezeichen. Die Klimaschutzmanagerin der Wallfahrtsstadt Kevelaer hielt im Pfarrheim Winnekendonk einen die Zuschauer motivierenden Vortrag zum Thema „Plastikflut vermeiden. Wie komme ich weg vom Müll?“

Gleich zu Beginn setzte Jordan sich mit Blick auf einen Artikel in „Die Zeit“ mit der Annahme auseinander, dass Deutschland vorne an der Spitze beim Recycling mitspiele: „Das meiste [Plastik] wird verbrannt und exportiert.“ Bei den folgenden Zahlen staunten die Zuhörer dann nicht schlecht: In den 50er Jahren wurden auf der ganzen Welt zwei Tonnen Plastik hergestellt. Ein unvorstellbar niedriger Wert in Anbetracht der Tatsache, dass wir heute auf der Welt insgesamt 400 Millionen Tonnen Plastik pro Jahr produzieren, sodass bisher weltweit etwa acht Milliarden Tonnen Plastik hergestellt wurden (Quelle: Geyer et al. 2017). „Wir reden zwar immer, wir müssen weg vom Plastik, das ist real in der Produktion noch nicht angekommen. Wir produzieren immer mehr davon“, betonte Jordan.

Die Plastikproduktion stieg vor allem ab den 80er Jahren an. „Wie ist man bis zu den 80er-Jahren fast ohne ausgekommen?“, war die kritische Frage der Klimaschutzmanagerin. Dass wir diesen Mengen Plastik gar nicht mehr Herr werden können, machte Jordan im Anschluss deutlich: Alles bisher produzierte Plastik befinde sich noch in der Umwelt. „Es zerbricht in kleinere und immer kleinere Teile“, die schließlich von verschiedenen Tieren mit der Nahrung aufgenommen werden. Diese Tiere werden wiederum gefressen und „so gelangt das Plastik in die Nahrungskette“, erklärte Jordan. „Es tut uns allen gut, wenn wir ein bisschen Plastik-Diät machen sozusagen.“

Wie gelangt Plastik in unsere Meere?

Was mit dem Plastik in der Regel passiert – in den meisten Fällen werde es verbrannt oder exportiert – hatten die Zuhörer bis dahin schon gelernt. Doch es gibt viele Wege, auf die das Plastik in unsere Umwelt gelangt. Jordan sprach vier zentrale Aspekte hinsichtlich der Plastikmeere an: Plastik wird häufig am Strand liegengelassen und gelangt so auf einfachem Wege ins Meer; Schiffsmannschaften entsorgen ihren Müll im Meer; beim Fischfang gelangen Utensilien ins Meer und auch unser Abwasser trägt seinen Teil dazu bei.

So weit, so gut, mag sich der ein oder andere gedacht haben: Ich gehe nicht fischen, meinen Müll am Strand nehme ich auch mit und Schiffsfahrer bin ich ebenso nicht. Doch Abwasser produziert jeder von uns. Durch Kosmetika, Shampoo und Fleecejacken gelange unter anderem Microplastik ins Abwasser, erklärte Jordan. Fleecejacken? „Die kann ich zumindest nicht mehr guten Gewissens kaufen“, so Jordan. Es gibt zwar Beutel für Fleecejacken, die beim Waschen die Plastikpartikel aufhalten sollen – ob dem wirklich so ist, können wir als Verbraucher nicht ohne Weiteres nachprüfen. Die Aufklärung über das Microplastik in Kosmetika entfachte bei den Zuhörern eine angeregte Diskussion. Ideen wurden ausgetauscht und Meinungen kundgetan, sodass am Ende ein Konsens herrschte: Warum? Warum habe ich Plastik selbst in meiner Zahnpasta? Außer, dass es ein billiger Füllstoff ist, fand man keine Erklärung.

Fast kein Plastik mehr im Alltag

Auch durch Autoreifen gelange Plastik durch den Abrieb in die Natur, erklärte Jordan: „Da kann man keinen Beutel drum tun, meines Wissens nach… Wär‘ mal ne‘ Idee.“ Auch wenn die Klimaschutzmanagerin für die Autoreifen keine Lösung parat hatte, so wurde an diesem Abend deutlich, wie konsequent sie selbst in ihrem Alltag auf Plastik verzichtet. Geschätzt verzichtet sie inzwischen auf 80 bis 90 Prozent der Plastikmenge, die sie bis vor circa zwei Jahren noch verbraucht hat.

So verwendet Jordan heute zum Beispiel Bienenwachstücher anstatt Frischhaltefolie, Waschnüsse anstatt Waschmittel und einen plastikfreien Stoffsack für Obst anstatt die kleinen Plastiktütchen an der Obsttheke im Supermarkt. Außerdem verzichtet sie bei der Haarwäsche auf herkömmliches Shampoo, stattdessen hält zum Beispiel eine Mischung aus Natronpulver und Wasser her. Viele Produkte für den Alltag findet Jordan im Unverpacktladen. Und wenn bei ihr etwas im Müll landet, dann direkt im Eimer. Eine Mülltüte verwendet sie nur noch im Restmüll. Das Ganze war „ein Prozess“, erklärt Jordan. Für sie steht heute fest: „Was ich in meinem Alltag leisten kann, das mache ich.“