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Gedenken am Stolperstein

Es war ein besonderer Moment, als Elisabeth Wackers, die Tochter von Maria Wackers, mit den gut 40 Frauen und Männern vor der früheren Haustür der Familie an der Maasstraße anhielt. „Links war unser Café, da war auch eine Bäckerei, ein längerer Flur. Das alles hieß ‚Hotel zum goldenen Krug‘“, erinnerte sich die 76-Jährige, als habe sie das Ganze vor ihrem geistigen Auge präsent. Und sie berichtete von dem 23. November 2016, als der Stolperstein für ihre Mutter verlegt wurde.

„Kevelaer war sehr gut vertreten – Schulklassen aus dem Gymnasium sind gekommen, haben teilgenommen, was ich ganz wichtig und schön fand für deren Unterricht.“ Pfarrer Lohmann habe damals den Segen gegeben. Von da aus „ging es in die Basilika zu einem schönen Gottesdienst“, erinnerte sie sich an die besondere Stimmung. Sie habe bis dato einige Zeit lang in Berlin gewohnt. 2016 habe sie wieder den Weg zurück gefunden, ihre Mutter „wieder zurück gebracht“ und damit auch „rehabiliert“. 

„Ich bin angekommen und froh, wieder Teil der Stadt zu sein. Jetzt kann ich sterben“, meinte sie dann später im Klarissenkloster beim persönlichen Austausch. „Es hat mich tief bewegt, zu spüren: ich bin gar nicht allein. Ein Licht kann 1000 Lichter entzünden und dann wird es hell – und die Gemeinschaft verkörpert mir das, dass wir zusammen stark sind.“ Zuvor hatte sie bereits bei der Andacht in der Beichtkapelle im Gebet den Bezug zum Schicksal ihrer Mutter klargemacht: „Wir bitten dich in besonderer Weise für die Opfer des Nationalsozialismus von vor 75 Jahren und denken heute ganz besonders an Maria Wackers, geborene van Aaken. Belohne ihren Glauben an Dich, ihre Tapferkeit und ihren mutigen Widerstand gegen Unrecht und Gewalt.“ Und sie machte einen bemerkenswerten Schritt: „Du hast uns gelehrt zu vergeben, so wie Du uns auch vergibst. So bitten wir dich, nimm die verantwortlichen Täter trotz ihrer Schuld auf in Deine göttliche Barmherzigkeit.“ Danach brach die Gruppe auf in Richtung Maasstraße, hielt an der Gnadenkapelle für einen Moment inne.

Über das Geschehene reden

Die Frauen-Union Kevelaer hatte in Anlehnung an den Weltfrauentag diesen Erinnerungsabend ausgerichtet. Ihre Vorsitzende Walburga Kamps legte am Stolperstein symbolisch eine Blume nieder. An der Gnadenkapelle hatte sie daran erinnert, wie wenig die Großeltern-Generation vom Krieg erzählt hat. „Wir müssen heute darüber reden und es der Jugend erklären, damit das nie, nie wieder passiert“, machte sie später auch im Klarissenkloster nochmal deutlich. „Wir sind in einer Zeit, wo heute der Hass wieder da ist, hinterrücks, per Whatsapp sind die Parolen wieder unterwegs.“ Man müsse „lernen, wieder zu beten.“

Der Stolperstein

Elisabeth Wackers nutze im Kloster die Möglichkeit, noch ausführlicher über das Schicksal ihrer Mutter zu berichten. Damals habe sie für sich entschieden: „Ich muss mehr wissen.“ Jahrzehnte lang habe sie recherchiert, erzählte die 76-Jährige, die im Februar 1944 geboren wurde. „Meine eigene Familie hat das Thema als Tabu angesehen. Da kamen Ängste auf.“ Ihre Mutter, das hätte die Suche ergeben, sei „eine liebe Frau, die immer gegeben hat“, gewesen. Und sie habe in der Bäckerstube an der Maasstraße klar gezeigt, was sie vom NS-Regime hält. „Wenn jemand in den Laden kam, die Hand ausstreckte und mit ‚Heil Hitler‘ gegrüßt hat, soll sie auf den Arm gehauen und gesagt haben: Nimm erst mal Deine Hand runter, bevor Du was kaufen willst.“ Intrigen, „ordentliche Repressalien, auch von Bürgern, die ‚braun‘ waren“, seien die Folge gewesen. „Ich weiß aus sicherer Quelle, dass sie Todesdrohungen bekommen hat.“ Schließlich sei die sechsfache Mutter, deren Ehemann man an der Front beide Beine zerschoss, Anfang Dezember 1944 vom Onkel nach Bittkau geholt worden. Dort habe sie kurze Zeit gelebt – nach einem Nervenzusammenbruch und der Flucht im bombardierten Zug in angeschlagenem Zustand. „Für sie gab es dann weit und breit kein anderes Haus“ – so habe der Onkel sie in eine Heilanstalt in Uchtspringe gebracht. Dieses Haus habe sich aber später als Konzentrationslager erwiesen, in dem im Zuge der „Euthanasie“-Verfügungen Hitlers 350 Kinder und 1787 Erwachsene starben, die verhungerten, zu Tode gespritzt und anschließend in Löchern verbuddelt wurden.

Die Krankengeschichte in einer Schublade gefunden

All das erfuhr Elisabeth Wackers bei einem Besuch dort 1992 von einer damaligen Putzfrau. „Das war erschütternd und sind Begegnungen, die bis heute nachwirken“, sagte sie. In der Schublade eines alten Schrankes habe sie die Krankengeschichte der Mutter aus Uchtspringe entdeckt. Dort war auch der „offizielle“ Todestag 22. Januar 1945 angegeben. Dass der Rektor dieses Hauses bei der Einweihung eines „Euthanasie“-Denkmals im Jahr 2004 die Schuld klar bekannt habe, habe ihr gut getan. „Es ging in der Nazizeit nicht nur um Juden“, machte sie deutlich. Der Bericht löste bei den Anwesenden Erschütterung aus. „Und heute sagt die AfD, das war ein ‚Vogelschiss‘ der Geschichte“, sagte eine Frau empört.

Die CDU-Landtagsabgeordnete Margret Voßeler ergänzte: „Diese Parolen im Landtag, es ist nicht zu fassen, was da passiert. Die Wähler machen sich nicht klar, was die wollen.“ Und sie machte deutlich: „Die Erinnerung, braucht es jeden Tag – gerade heute.“ Elisabeth Wackers sah das ähnlich: „Das macht mir Angst, dass wir gar nicht so weit davon weg sind von dem, was mal war. Wir müssen so achtsam sein heute mit unseren Worten, unserem Umgang miteinander. Diese Hetze und die Abwertung – der hat grüne Haare, der hat rote Haare. Wir fangen alle schon an zu sortieren. Das ist gefährlich. Wir sind alle Gottes Kinder. Wir sind alle gleich.“