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Haare spenden für den guten Zweck

Eigentlich wollte unsere Tochter Anna sich bis auf die Spitzen ja nie die Haare schneiden lassen. Und in der Tat, schon von früher Kindheit an trug sie langes Haar und liebte es, jeden Tag eine andere Frisur verpasst zu bekommen. Ihre Einstellung änderte sich erst, nachdem wir kurz nach Weihnachten wieder ein Mädchen sahen, das seine Haare nach der Erstkommunion für ein krebskrankes Kind gespendet hatte. Plötzlich stand auch für unsere Tochter fest, dass sie ihre Haare spenden möchte. Auf der Suche nach einem Friseur für diese Aktion fanden wir den Beautysalon „LUQX“ in der Friedenstraße 49 in Kevelaer.

Er ist der einzige Friseursalon in Kevelaer, der mit dem österreichischen non-profit-Verein „Die Haarspender“ zusammenarbeitet. Ein Termin wurde reserviert und Anna ließ auch wirklich einen guten Teil ihrer Haare zurück. Natürlich sieht sie mit gut kinnlangem Haar nun anders aus; Pferdeschwanz, Dutt und Flechtfrisuren sind erst mal schwer möglich, aber bereut hat sie ihre Entscheidung zum Glück nicht und sie hofft, dass sie einem kranken Kind ein Stück weit helfen konnte.

Seit etwa einem Jahr arbeitet Friseurmeister Marvin Wagner mit dem österreichischen Verein zusammen. Für ihn ist Haarspende für Echthaarperücken eine rundum gute Sache. Aus einer Kamp-Lintforter Friseurfamilie stammend, machte sich Wagner 2014 mit LUQX auf der Friedenstraße in der Marienstadt selbstständig. Im Salon kamen wöchentlich einige Kilo Haare zusammen. „Ich fand das schade, die Haare, teils richtig lang, auf den Boden fallen zu sehen und nichts damit zu machen. Ich wurde auf den Haarspendeverein aufmerksam und fand das eine super Sache, weil so kranke Kinder eine Echthaarperücke bekommen können. Lieber die Haare also nach Österreich schicken, als auf den Boden fallen zu lassen und wegzuwerfen“, war er sich sicher.

25 Tage Handarbeit für eine Perücke

Etwa vier Haarspenden ergeben eine Echthaarperücke, die betroffene Kinder kostenlos von dem Verein bekommen können. Wenn die Perücke nicht mehr nötig ist, kann sie gerne auch an den Verein zurückgegeben werden, der die Perücke dann noch einem anderen Kind geben kann. Seit Bestehen des Vereins im Jahr 2016 wurden knapp 200 Perücken gefertigt, eine nicht so große Zahl für alle betroffenen Kinder, die gerne echte Haare tragen möchten. Holger Thomas Möller, der Gründer von „Die Haarspender“ gibt zu: „Es gibt wahnsinnig viele Kinder, die eine solche Perücke brauchen könnten. Aber jede einzelne Perücke bedeutet 25 Tage Handarbeit.“

Vor dem Schnitt… Foto: privat

Da in Europa gefertigte Echthaarperücken mit 1500 bis 3000 Euro sehr teuer sind und die Krankenkassen nur rund 300 Euro als Zuschuss zahlen, können sich viele Betroffene Echthaarperücken nicht leisten. Der Verein fand nach aufwendiger Suche einen Partner in Asien, der zu höchsten und humanen Standards, aber zu erschwinglichen Preisen die Perücken seitdem knüpft. So kann der Verein für rund 360 Euro Herstellungskosten eine Echthaarperücke aus den Haarspenden knüpfen lassen und so über Spenden vielen Kindern den Luxus von Echthaar schenken.

Kunsthaarperücken sind, so Marvin Wagner, vom Look und Tragekomfort nicht annähernd vergleichbar: „Zwischen Echthaar- und Kunsthaarperücken besteht ein Riesenunterschied, den ich schon einige Meter vorher nur mit dem Auge erkennen kann. Auch im Tragekomfort liegen Welten zwischen beiden: eine künstliche Perücke ist nicht atmungsaktiv und fühlt sich auf der Kopfhaut einfach synthetisch an“, so seine Meinung. Wie viel Handarbeit das Knüpfen einer einzigen Echthaarperücke ist, hat Marvin Wagner auch während seiner Ausbildung in Österreich selber erfahren. Dort ist Haare­knüpfen Teil der Gesellenprüfung. „Ich hatte nur einen Quadratzentimeter zu knüpfen und war über eine halbe Stunde mit dieser Sisyphusarbeit beschäftigt.“ Etwa 80.000 bis 90.000 Haare sind in einer Echthaarperücke einzeln in ein Haarnetz eingeknüpft.

Es sollten mindestens 30 Zentimeter sein

Seit Beginn der Zusammenarbeit mit dem Haarspendeverein konnte Marvin Wagner schon einige Haarpakete nach Österreich schicken. Manche kommen zur Haarspende in den Salon, andere bringen abgeschnittene Zöpfe auch einfach zur Abgabe vorbei. Die Haarspenden werden fein sortiert und einzeln zwischen Zeitungspapier gelagert und regelmäßig nach Österreich geschickt. Etwa zwei- bis viermal im Monat kommt es vor, dass jemand für den guten Zweck bei LUQX die Haare spendet. „Ich freue mich über jeden, der kommt“, so Marvin Wagner. Allerdings sollten es schon mindestens die 30 Zentimeter sein, weil beim Knüpfen auch ein guter Teil verloren geht und für die Perücke schon eine gute Bopplänge herauskommen sollte, zumal fast alle Echthaarperücken dann an Mädchen gehen.

Mit einem Rabatt von 20 Euro bekommen alle Spender hinterher noch die Haare im Massagesessel gewaschen und einen neuen Haarlook verpasst. „Hier gehen wir mit Leidenschaft unserem Beruf nach und wollen in diesem wunderbaren Jugendstilhaus eine entspannte Atmosphäre schaffen, die bewirkt, dass Kunden zum Friseur wollen und nicht müssen.“

Meine Tochter hat das Haarewaschen im Massagesessel richtig genossen. Ihre Haare wurden einzeln zu Zöpfen gebunden, und als die Schere kam, durfte sie die einzelnen Zöpfe festhalten. Der kleine Bruder Johannes leistete ihr Beistand und schaute allem aufmerksam zu. Am liebsten würde er, so meinte er spontan hinterher, sich auch die Haare ganz lang wachsen lassen, um sie dann, gleich seiner Schwester, für den guten Zweck spenden zu können.