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Lesung mit Lia Tilon abgesagt

Die niederländische Schriftstellerin Lia Tilon sollte im Rahmen des Literarischen Sommers/Literaire Zomer am Sonntag, 23. August, um 11 Uhr, im Museum Schloss Moyland aus ihrem Roman “Der Archivar der Welt” lesen. Die Lesung wurde allerdings abgesagt.

Literarischer Sommer

Das deutsch-niederländische Literaturfestival Literarischer Sommer/Literaire Zomer hat sich als Sommer-Highlight in der Kulturregion Niederrhein etabliert und setzt ein positives Zeichen für das kulturelle Zusammenwachsen Europas und die Verbundenheit der Nachbarländer. Das gesamte Pro-gramm ist auf www.literarischer-sommer.eu abrufbar.

Eine spannende Spurensuche

Die „wort.werk“-Galerie in der Busmannstraße bezieht ihre Qualität daraus, dass sie auf komprimiertem Raum Kunstwerke interessanter Maler, Bildhauer und anderer Kreativer zeigt und sich in entspannt-kleiner Runde interessanten Literaten und historischen Geschichten zuwendet. An diesem Abend lag der Fokus auf der „literarischen“ Seite, denn Galerie-Inhaberin Eva-Maria Zacharias hatte sich zum wiederholten Mal die Düsseldorfer Schauspielerin, Dramaturgin und Übersetzerin Barbara Engelmann eingeladen, die diesmal die Rolle als Erzählerin vor einem Dutzend interessierter Zuhörer übernahm.
Es gehe an diesem Abend auf eine „besondere Spurensuche“, richtete Zacharias die Aufmerksamkeit auf das Thema des Abends, den Lebensweg des 1571 geborenen italienischen Frühbarock-Malers Michelangelo Merisi, wegen seines Heimatortes kurz „Caravaggio“ genannt.
Caravaggio sei schon zu Lebzeiten ein Mythos gewesen, so Zacharias. „Im Kosmos der Kunst galt er als Revolutionär“ und im Leben als Person, die ständig in Gewalttätigkeiten verwickelt war und sogar mit einem Mord in Verbindung gebracht wurde. In seinem „Ringen um Wahrhaftigkeit“ und den Anspruch nach dem Neuerleben der Kunst habe er „alles gegeben und dazu auch Gesetze übertreten“.
Barbara Engelmann bezeichnete Caravaggio als „genialen Maler und extreme Persönlichkeit“, deren „prägender Aspekt die Beziehung zur Gewalt war.“
Man wisse im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern von ihm sehr viel, weil es auch eine Reihe von Prozess- und Gerichtsakten mit detaillierten Protokollen und Aussagen von ihm gebe, denen zufolge er einen „ungestümen Charakter und viel mit der Polizei“ zu tun“ hatte. Allein im Staatsarchiv Rom lägen 70 Aktenbände zu seinen juristischen Angelegenheiten. „Ein Sonderfall.“
Sie lebe das halbe Jahr in Italien, so Engelmann, habe 2010 viele Veranstaltungen zum Caravaggio-Jahr besucht und mit Kollegen sogar ein Theaterstück über ihn geschrieben. Im Folgenden ging sie der Frage nach, welche Rolle die Gewalt in seinem Leben hatte und welchen Ausdruck sie in seiner Kunst fand.
Dazu streifte sie verschiedene Lebensstationen – wie die Ankunft in Rom mit 21 Jahren, die Verbindung zu gönnerhaften Kirchenkreisen, die ihm im Verlauf des Lebens immer wieder aus der Patsche helfen, und Verbindungen zu einer Kunstszene, die „das revolutionäre Element der Macht des Ausdrucks aus dem Alltäglichen“ heraus zunehmend erkennt.
Denn er „malt die Menschen, die ihm in der Stadt und bei seinen nächtlichen Exzessen“ begegnen – so zum Beispiel Prostituierte und Kurtisanen wie Fillide Melandroni, die für die Magdalena in dem Bild „Martha bekehrt Magdalena“, die Heilige Katharina sowie für die Judith in „Judith und Holofernes“ Modell gestanden haben soll.
Sie las dann aus der Ingrid Noll-Erzählung „Das weiße Hemd der Hure“ vor, in dem diese Fillide Meladoni fiktiv von ihrer Arbeit und den Erlebnissen mit Cavaggio berichtet. Dabei streifte sie seinen sexuellen Hang zu „einem bestimmten Knabentyp, etwas dicklich mit was Schläfrigem“, ihre Auswahl als Judith, die Feier eines fertiggestellten Bildes mit einer Orgie und das Halbtotschlagen eines Zechbruders durch Caravaggio. Der Textauszug endet mit der Ermordung ihres Vergewaltigers durch sie selbst, um aus des Malers Sicht authentischer auf dem „Judith und Holofernes“-Bild zu wirken – und dem „wie wahnsinnigen Malen“ des Toten, dem Caravaggio noch die Kehle durchschnitt.
Parallel zu der Erzählung blendete sie auch die beschriebenen Kunstwerke auf einem Laptop ein. „Er hat tatsächlich auch Tote gemalt“ , ordnete Engelmann den fiktiven Aspekt der Geschichte dem zu, was sich über Caravaggio nachweisen lässt.
Die Liebe siegt über alles

In der Pause konnten die Zuhörer den Bildband einer Künstlergruppe, die einige Szenen seines Lebens nachgezeichnet hatte, und einen italienischen Band mit den „alltäglichen Gesichtern“ Caravaggios im heutigen Fotogewand betrachten.
Im zweiten Teil beschrieb Engelmann seine mehrfachen Verhaftungen und seine rhetorische Gewandheit vor Gericht. Und sie las aus der zweiten Erzählung „Die Liebe siegt über alles“ von Gerhard Falkner. Sie stellt ein fiktives Verhör zwischen einem Jesuitenpater und Caravaggio im Anschluss an den Streit nach, bei dem Caravaggio im Jahr 1606 einen Mann getötet haben soll.
In diesem „Verhör“ kamen nochmal viele Aspekte des Werks fiktiv eingeflochten zur Sprache – wie seine kolportierte Homosexualität oder die „Obszönität“, eine tote Prostutierte als Heilige gemalt zu haben. Caravaggios fiktive Antworten darauf beschreiben seine Philosophie: „Eine Kunst, die nicht empfunden wird, wird nicht nachempfunden“ und „Eine Heilige war gerade nicht zur Hand. Um eine Tote so zu malen, wie eine Tote aussieht, habe ich eine Tote gemalt“.
Danach schlug Engelmann wieder die Brücke zur Biographie, berichtete von den vier Jahren Flucht über Neapel, Malta und Sizilien bis zu seinem mysteriösen Tod 1610 in Porto Escole, um den sich diverse Spekulationen – von der Tuberkulosekranheit bis zum Auftragsmord – drehen. „Er beschloss sein Leben auf jeden Fall so dramatisch, wie er gelebt hat“, meinte die Schauspielerin zum Schluss.
Unter den Anwesenden entbrannte anschließend noch eine kurze Debatte darüber, ob man die Person Caravaggio auch moralisch bewerten oder Werk und Person voneinander getrennt betrachten sollte. Wilfried Renard jedenfalls zeigte sich erstaunt, „dass er trotz seiner Gewalttätigkeit künstlerisch so was drauf hatte.“

Von Hexen, Dieben und Torwächtern

Nur ein gutes Dutzend Zuhörerinnen hatte den Weg zur Lesung in den Veranstaltungssaal des Wohnstiftes gefunden. Das heiße Wetter und die „Landpartie“ trugen ihren Teil dazu bei, dass die Resonanz auf diese letzte Veranstaltung des Wohnstifts vor der Sommerpause nicht allzu groß ausfiel.

Der Autorin Susanne Wingels machte dieser Umstand wenig aus. Der Industriekauffrau und gelernten Übersetzerin aus Hasselt war die Freude darüber, dass sie ihre Arbeiten vor einem Auditorium zum Besten geben konnte, durchaus anzusehen.

Ihre literarische „Karriere“ habe begonnen, als sie festgestellt habe, dass es Orte gibt, an denen Eltern mit ihren Kindern nicht willkommen sind, erzählte die 49-Jährige zum Einstieg. Daraufhin habe sie den „Pagina“-Verlag angeschrieben und die Idee vorgestellt, eine Art Führer für Familien-Ausflugsziele am Niederrhein zu schreiben. „Da haben wir mit der Familie und Verwandten dann diverse Orte besucht.“

Vom „Kinderbuch“ zur „Grusel“-Autorin

Aus der Idee entstanden dann zwei Bücher – und vom Wartberg-Verlag folgten zwei weitere Auftragsarbeiten: einmal über „100 Freizeittipps am Niederrhein“ und eben ein Buch über den „Düsteren Niederrhein“, das sie an diesem Nachmittag in kleiner Runde vorstellte.

„Ein Zeitungsartikel hat mich dazu angeregt. Ich habe viele Recherchen im Netz und vor Ort gemacht – und viele Gespräche mit dem Leiter des Weseler LVR-Museums Niederrhein, Veit Veltzke, geführt“, erläuterte sie, welche Quellen die Grundlage für die insgesamt 21 teils gruseligen, aber auch amüsanten Geschichten waren.

Und dann tauchte sie – ergänzt durch Diabilder der einzelnen Orte und Objekte, um die es ging, mit den Zuhörern in die Welt des „düsteren Niederrhein“ ein.

Sie erzählte die Geschichte der „Hexe von Moyland“. In dieser ist von der Zeit der Hexenverfolgung und von einem Dorf namens Liedberg die Rede, das in der Nähe des heutigen Museumsschlosses gelegen haben soll, 1635 aber von kroatischen Söldnern dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Dort lebte die Waise Elgar, die von den Dorfbewohnern für eine Fee gehalten wird, weil sie die Soldaten des ersten Kroatenangriffs mit ihrer Anmut in ein Moor gelockt hatte und für den Ausbruch der Pest mitverantworlich gemacht wurde. Daraufhin wurde sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Geschichten lebendig erzählen

Kurzweilig erzählte Wingels vom „Schinderhannes vom Niederrhein“ Wilhelm Brinkhoff, aus dem 19. Jahrhundert – dem Gauner, Dieb und Frauenheld, der als Held verehrt wurde, weil er seine Beute mit den Kolonisten der Bönnighardt teile. Dort fand er stets Unterschlupf und verprasste sein Geld, nachdem er in den USA reich wurde. Er begann wieder mit dem Rauben und konnte sich schlussendlich vollends der Justiz entziehen.

Spannend geriet auch die Erzählung des „treulosen Torwächters“ Poorte Jäntje vor, der als ehemaliger Wächter des Vosstores in Goch die Stadt an die Spanier verraten wollte, indem er einen Wachsabdruck des Torschlüssels anfertigte. Er wurde allerdings auf frischer Tat ertappt, zum Tod durch Vierteilen verurteilt, konnte sich aber mit einer Giftkapsel durch Selbstmord entziehen.

Warum man ihm nahe des ehemaligen Standortes an der Voßstraße ein Denkmal gesetzt hatte, wusste auch Wingels nicht zu sagen. „Vielleicht gab es damals Menschen, die die Stadt gerne den Spaniern überlassen hätten“, konnte sie da nur spekulieren.

Am Ende konnte sich die Organisatorin des Nachmittags, Irmgard Hard, für den Vortrag nur auf das Allerherzlichste bedanken. Und Wingels kündigte an, dass ein neues Werk über „Burgen und Schlösser am Niederrhein“ schon in Arbeit ist. „Das wird dann etwas sachlicher und weniger gruselig“, meinte sie mit einem Augenzwinkern.

„Mädelsabend“ mit vielen tollen Momenten

Die Augen wurden immer größer und der Mund wollte sich gar nicht mehr schließen: Staunend beobachtete Anne Gesthuysen, die an einem kleinen Tisch in der Mitte der Bühne des Kevelaerer Konzert- und Bühnenhauses bereits Platz genommen hatte, was geschah, als sich die Eingangstür zum großen Saal öffnete. Der Zustrom der Zuhörerinnen und Zuhörer wollte nicht enden. Sogar die Empore musste geöffnet werden, denn im Parkett war kein einziger Platz mehr frei. „Sowas kenne ich eigentlich nur von der „lit.COLOGNE“, sagte die beliebte Moderatorin und Buchautorin. Der Vergleich mit dem hochrangigen Kölner Literaturfestival schmeichelte der Wallfahrtsstadt gleichermaßen wie der Autorin selbst.
Neugier auf den „Mädelsabend“
Die Neugier auf ihren dritten Roman „Mädelsabend“ hatte die zahlreichen Zuschauer zu ihrer dritten Lesung ins Bühnenhaus gelockt – ursprünglich sollte die von Gertrud Aengenheyster initiierte Veranstaltung mal in ihrer „Bücherstube im Centrum“ stattfinden. Doch nach dem Verkaufserfolg ihres jüngsten Buches und der gerade im TV ausgestrahlren Verfilmung ihres „Erstlings“ war bald klar, dass die Bücherstube bei weitem nicht ausreichen würde (das KB berichtete).
Dass die Lesung keinesfalls zu einer anonymen Massenveranstaltung wurde, sagt viel über die ohnehin mit hohen Sympathiewerten ausgestattete, authentisch wirkende Autorin, lag aber auch daran, dass Anne Gesthuysen viele Charakterzüge und nicht zuletzt Sprüche ihrer Romanfiguren aus dem eigenen Erleben und dem engeren Verwandten- und Bekanntenkreis speist. Stichwort: schwarzer Humor am Niederrhein. Den nimmt sie als Niederrheinerin gar nicht mehr so sonderlich wahr, der gehöre einfach dazu. Und er kommt in ihrem dritten Roman gleich mehrfach und in zumeist so trockener Darreichungsform vor, dass einem schnell die Augen tränen – vor lauter Lachen.
Berührend und kämpferisch
Doch auch einige berührende, ja sogar kämpferische Momente trug Gesthuysen aus ihrem „Mädelsabend“ vor – und kommentierte sie ausgiebig, was den besonderen Charme ausmachte. Schließlich geht‘s nicht nur um um den schwarzen Humor, der den Niederrheiner und in Falle von „Mädelsabend“ besonders die Niederrheinerin halbwegs aufrecht durch die Land- und Leidenschaften gehen lässt. Sondern auch um Zusammenleben, Ehe, Kinder, Karriere, Emanzipation. Ein voller Griff ins wahre Leben also – der nicht immer und für alle Beteiligten ein Glücksgriff ist. Das zumeist weibliche Kevelaerer Publikum bedankte sich mit langanhaltendem Applaus.

Lesung mit Anne Gesthuysen

Am 28. Januar 2019 veranstaltet Gertrud Aengenheyster, Inhaberin der Bücherstube im Centrum in Kevelaer, eine Lesung mit der niederrheinischen Autorin Anne Gesthuysen. Aufgrund des großen Interesses findet diese nun um 20 Uhr im Konzert- und Bühnenhaus statt. Der Einlass beginnt um 19.30 Uhr. Im Fokus steht ihr neuer Roman „Mädelsabend“. Geschickt verwebt Anne Gesthuysen darin Gegenwart und Vergangenheit und erzählt von einem bewegten Frauenleben am Niederrhein, das den Bogen vom Zweiten Weltkrieg über die pfiffigen Fünfziger- und die wilden Siebzigerjahre bis in die Jetztzeit spannt. Humorvoll, warmherzig und feinfühlig spürt sie der Frage nach, was zwei Menschen zusammenhält und welche Bedeutung Freiheit und Selbstverwirklichung haben. Eindrücklich zeigt sie, dass es keine einfachen Antworten gibt, nur individuelle Wege zum Glück. Die Eintrittskarten für diese Veranstaltung sind zum Preis von 10 Euro in der Bücherstube im Centrum zu erwerben. Schüler erhalten eine Ermäßigung von 5 Euro. (Hauptstraße 50, Tel.: 02832/5563, kontakt@buecherstube-kevelaer.de).

„Wer je gelebt in Liebesarmen, Der wird im Leben nie verarmen“

„Ich freue mich, hier zu sein, um Ihnen Theodor Storm nahe zu bringen“, begrüßte ein entspannt aufgelegter Georg Adler die Gäste in dem passabel gefüllten Forum des Kevelaerer Wohnstifts. Der Duisburger Schauspieler und Rezitator, der an diversen Theatern, etwa in Düsseldorf, Neuss, Wuppertal, Berlin, Bonn oder Duisburg und in verschiedenen Fernseproduktionen zu sehen war, hatte sich für diesen Nachmittag einige Werke des großen Heimatdichters, „einen der ganz großen Lyriker seiner Zeit“, auf seine Fahnen geschrieben.
„Es war ja Schullektüre“, konnte er leicht an die Erinnerungen der anwesenden ZuhörerInnen anknüpfen, für die der Autor naturgemäß eine bekannte Größe war.
Entsprechend führte der erfahrene Vorleser die Gäste des Nachmittags zunächst nur kurz in die Biographie des Husumer Lyrikers ein. Er war der erste Sohn des Justizrates Johann Casimir Storm, und schrieb als 15-Jähriger seine ersten Gedichte.
Husum
Er stellte einen jungen Mann vor, der in Lübeck über Ferdinand Röse Zugang zur damals zeitgenössischen Literatur wie Goethes „Faust“, Heines „Buch der Lieder“ und Eichendorffs „Prosa und Lyrik“ erhielt, eine Anwaltskanzlei in Husum eröffnete, seine Cousine heiratete und mit ihr sieben Kinder hatte.
Er berichtete von der unbezahlten Anstellung Storms am Kreisgericht von Potsdam, der 1849 geschriebenen Novelle „Immensee“, von der schon zu Storms Lebzeiten 50 neue Ausgaben herausgegeben worden seien, von dessen Liebe zu einer Minderjährigen und dessen Abscheu gegen den „preußischen Menschenverbrauch im Staatsmechanismus“.
Danach war die Zeit gekommen, ins Werk von Storm einzusteigen. Siebzig Minuten lang rezitierte er mit theatralischer Gestik, zurückgenommener, mal erhobener Stimme, die Zeilen des berühmten Mannes – wie „am grauen Strand, am grauen Meer“ in „Die Stadt“, der Heimat Storms, Husum.
Er zitierte Auszüge aus „Immensee“, einem Werk, dass der Dichter selbst als „Perle der Literatur“ sah, das die „Atmosphäre der Liebe“ einfangen sollte. Entsprechend trug Adler die Zeilen aus „Elisabeth“ („Meine Mutter hat‘s gewollt, Den andern ich nehmen sollt“) oder aus dem „Lied des Hafenmädchens“ („Heute, nur heute. Bin ich so schön; Morgen, ach morgen. Muß alles vergehn!“) vor.
Und in „Die Möwe und das Herz“ kam mit Zeilen wie „Hin gen Norden zieht die Möwe, Hin gen Norden zieht mein Herz“ die Sehnsucht des zurückbleibenden Wanderers zum Ausdruck.
Viele Gedichte seien nicht nur seiner ersten Liebe, sondern auch seiner ersten Frau gewidmet, führte der 81 Jahre alte Adler aus, der zwischenzeitlich zum Lesen Platz nahm, dabei aber genauso konzentriert und betont bei der Sache blieb.
Ausführlich widmete sich Adler der Novelle „Pole Poppenspäler“, um die Geschichte von Paul und Lisei, wo Lisei mit ihren Puppenspieler-Eltern in die Stadt kommt und Paul kennenlernt, und der Geschichte der jungen Erwachsenen Paul und Lisei, die sich zufällig wiederfinden und gegen alle Konventionen ihre Familie gründen.
Mit dem „Kleinen Häwelmann“ entführte er die Zuhörer überzeichnend-humorvoll vortragend in die Welt des kleinen Häwelmanns, der übertriebene Aufmerksamkeit für sich fordert. Und mit den Zeilen „Wer je gelebt in Liebesarmen, Der kann im Leben nie verarmen“ endete ein unterhaltsamer Nachmittag, den die Zuhörer mit Applaus honorierten.

Vorweihnachtlicher Vortragsabend im Goldenen Apfel

Kevelaer. Eine beeindruckende Lesung mit Texten von Erich Kästner, James Krüss, Heinz Erhardt und zeitgenössischen Schriftstellern wurde im Hotel Goldenen Apfel geboten. Der vorweihnachtlichen Abend, den der ehemalige Lehrer Willi Caelers aus Bochum den gut 40 Zuhörern bot, war erstklassig und sorgte neben lustigen Passagen überwiegend für einen zeitkritischen Blick auf Weihnachten. Zunächst gab Caelers einen groben Überblick über das Leben von Kästner und dessen Sicht auf das Christfest.
Erich Kästner, der ein inniges Verhältnis zu seiner Mutter hatte, konnte die gemeinsamen Weihnachten in der Familie kaum ertragen. „Oh wie schön wäre es gewesen, wenn ich alleine mit den Geschenken gewesen sei.“ Denn er musste als „Zeremonienmeister“ verhindern, dass ausgerechnet am Weihnachtstag die offensichtlich zerbrochene Ehe zwischen seinen Eltern (er selbst war noch nicht einmal seines Vaters Kind, sondern das des jüdischen Sanitätsrates Dr. Emil Zimmermann) in einer Explosion endete. Kästner war schon als junger Schriftsteller ein zeitkritischer Geist. Caelers zitierte „Die Entwicklung der Menschheit“: „Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt, behaart und mit böser Visage. Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt und die Welt asphaltiert und aufgestockt, bis zur dreißigsten Etage… Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn, in zentralgeheizten Räumen. Da sitzen sie nun am Telefon. Und es herrscht noch genau derselbe Ton wie seinerzeit auf den Bäumen.“
Kästner erkannte um 1930 den sozialen Sprengstoff, der, nicht nur in Deutschland, von der Armut breiter Schichten ausging und der heute nicht weniger aktuell zu sein scheint. Er textete dagegen: „Lieber, guter Weihnachtsmann, weißt du nicht, wie‘s um uns steht? Schau dir mal den Globus an. Da hat einer dran gedreht…. Lege die Industriellen kurz entschlossen übers Knie. Und wenn sie sich harmlos stellen, glaube mir, so lügen sie.“ Und in Abwandlung („chemisch gereinigt“) eines Weihnachtsliedes: „Morgen, Kinder, wird’s nichts geben! Nur wer hat, kriegt noch geschenkt. Mutter schenkte Euch das Leben. Das genügt, wenn man’s bedenkt. Einmal kommt auch eure Zeit. Morgen ist’s noch nicht soweit…“
Das Gedicht von Sigrid Heuer, welches Caelers vortrug, beschäftigte sich, in Abwandlung des Gedichts von Freiherr Josef von Eichendorff, zeitkritsch mit unserer Konsumgesellschaft: „Markt und Straßen, volle Gassen, hell erleuchtet jedes Haus, hektisch strömen Menschenmassen, nirgends sieht es festlich aus. All die Fenster haben Frauen oder Männer reich bestückt, nicht, damit die Kinder schauen, nein, damit der Umsatz glückt! … Und ich wandre aus den Mauern bis hinaus ins freie Feld. Denke traurig mit Bedauern, wie so arm doch ist die Welt!“
Aber der ehemalige Lehrer aus dem Ruhrgebiet ließ auch die Lachmuskeln ihre Aufgabe wahrnehmen. Bei James Krüss „Frieda die Letzte“ („Will das müde Jahr sich neigen, und der Winter kommt ins Land, fallen Blätter von den Zweigen und die Fliegen von der Wand…“), Loriots „Advent“ („…In dieser wunderschönen Nacht hat sie den Förster umgebracht. Er war ihr bei des Heimes Pflege seit langer Zeit schon sehr im Wege…“) oder von Heinz Erhardt „Ostern mit Humor“ („Wer ahnte, dass zum Weihnachtsfest
Cornelia mich sitzen lässt?…“) und „Eine Weihnachtsgans“ (Tiefgefroren in der Truhe liegt die Gans aus Dänemark.Vorläufig lässt man in Ruhe sie in ihrem weißen Sarg…“), erschallte herzhaftes Lachen durch den ganzen Gastraum.
Zum Abschluss gab Caelers eine Antwort von Rolf Krenzer auf die Frage: „Wann fängt Weihnachten an? Wenn der Schwache dem Starken die Schwäche vergibt, wenn der Starke die Kräfte des Schwachen liebt, wenn der Habewas mit dem Habenichts teilt, wenn der Laute mal bei dem Stummen verweilt und begreift, was der Stumme ihm sagen will, wenn der Leise laut wird und der Laute still, wenn das Bedeutungsvolle bedeutungslos, das scheinbar Unwichtige wichtig und groß, wenn mitten im Dunkel ein winziges Licht Geborgenheit, helles Leben verspricht, und du zögerst nicht, sondern du gehst, so wie du bist, darauf zu, dann, ja dann fängt Weihnachten an.“